Zappelphilipp-Syndrom Computerprogramm soll helfen
14.05.2004, 13:10 UhrMit einem Lernprogramm am Computer können in Schweden schwer konzentrationsgestörte Kinder mit Zappelphilipp-Syndrom ihr Arbeitsgedächtnis trainieren.
Letzteres ist die Fähigkeit des Gehirns, Informationen kurzzeitig zur Bewältigung von Arbeit zu speichern, etwa zum Wählen einer Telefonnummer. Nach den positiven Ergebnissen seit den ersten Tests vor gut vier Jahren hat die kleine Stockholmer Firma Cogmed jetzt zusätzlich ein Trainingsprogramm für Erwachsene mit Funktionsstörungen im Hirn etwa nach einem Schlaganfall entwickelt. In Göttingen haben Forscher nun ebenfalls ein Computerprogramm für diese Kinder vorgestellt.
Geeignet ist die schwedische Therapie für Kinder mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom) im Alter zwischen 8 und 15 Jahren, die sich meist weder konzentrieren können noch dauerhaft aufmerksam sind. Sie absolvieren jeweils fünf Wochen lang ein Training mit dem Programm RoboMemo von Cogmed. Die Kinder sollen dabei jeden Tag (ohne Wochenende) zwischen 30 und 45 Minuten spielerisch Aufgaben mit steigendem Schwierigkeitsgrad am Computer lösen.
Auch in Deutschland können Zappelphilipp-Kinder inzwischen am Bildschirm ihre Konzentrationsfähigkeit trainieren - Neurofeedback heißt die neue Therapie. Die Psychiater Aribert Rothenberger und Tobias Banaschewski von der Universität Göttingen haben die neue Behandlungsmethode entwickelt, bei der die Kinder lernen sollen, ihre Hirnströme mit dem eigenen Willen zu beeinflussen. Aufmerksamer und gelassener werden: Das ist das Ziel.
In der Zeitschrift Gehirn und Geist (Bd. 3, 2004, S. 61) beschreiben sie ein Beispiel aus der Praxis: Die Kinder sehen eine Zeichentrick-Maus beim Stabhochsprung. Wenn sie die Maus besonders aufmerksam verfolgen, können sie ihr damit beim Sprung über die Latte helfen. Das Kind soll dabei auch lernen, sich selbst zu beobachten und stärker zu kontrollieren. Nach Angaben der Universität werden bereits die ersten Patienten in der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie behandelt.
Beim schwedischen Programm trifft sich das Kind zunächst mit dem Psychologen und wird von diesem auch während der gesamten Trainingsperiode von fünf Wochen gecoacht. Dann allerdings vorwiegend Online und durch Telefonkontakte mit den Eltern. Die Psychologen werten Antworten, Schnelligkeit und Arbeitsausdauer aus und können wiederum Online die jeweiligen Anforderungen verändern und anpassen. Verschiedene Testreihen hätten ergeben, dass bei 82 Prozent der Beteiligten deutliche Verbesserungen der Symptome eintraten, 57 Prozent nicht mehr die Kriterien für die ADHS-Diagnose erfüllten und 90 Prozent auch nach drei Monaten noch positive Veränderungen aufwiesen.
Auf die Frage nach dem wirklich Neuen bei der Entwicklung des Computerprogramms zögert der Hirnforscher Torkel Klingberg vom Karolinska Institut in Stockholm keine Sekunde: Wir haben herausgefunden, dass die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses nicht wie bisher angenommen konstant, sondern veränderbar ist. Das hätten Messungen per funktionaler Kernspintomographie an genau als Arbeitsgedächtnis lokalisierten Hirnzonen von Testpersonen am Astrid- Lindgren-Kinderkrankenhaus gezeigt. Klingberg veröffentlichte die Forschungsergebnisse zusammen mit seiner Kollegin Pernille J. Olesen und der Psychologin Helena Westberg im Fachjournal Nature Neuroscience (Bd. 1, 2004, S. 75) vom Januar.
Das zusammen mit Spielsoftwarespezialisten entwickelte Computerprogramm wird in Schweden einschließlich der Betreuung durch Cogmed kommerziell vertrieben. Die auch für schwedische Verhältnisse relativ hohen Kosten von 7000 Kronen (760 Euro) tragen in vielen Fällen staatliche Stellen, teilweise aber auch Eltern von ADHS- Kindern privat.
Wir arbeiten wie ein normales Pharmaunternehmen und sehen RoboMemo auch als eine Art Medizin, sagt Geschäftsführer Jonas Jendi über die Geschäftsphilosophie von Cogmed. Entscheidende Starthilfe gab dabei das Karolinska Institut, an dem jedes Jahr über die Vergabe des Medizin-Nobelpreises entschieden wird, über eine Tochterfirma zur kommerziellen Nutzung eigener Forschungsergebnisse.
Quelle: ntv.de