China-Filter abgeschaltet Google riskiert und poliert
23.03.2010, 16:25 UhrMit dem Ende der Selbstzensur setzt Google seine Zukunft in dem schnell wachsenden Markt von China aufs Spiel. Der Internet-Gigant kann aber auch sein angekratztes Image im Westen aufpolieren. Möglicherweise ist ihm das sogar wichtiger als ein wenig einträgliches China-Geschäft.
Angeblich wochenlange Verhandlungen mit der chinesischen Regierung hatten am Ende nicht zu einem erhofften Kompromiss geführt. Seit dem 22. März weigert sich Google, seine Inhalte selbst nach Vorgabe der Behörden zu zensieren. Stattdessen leitet der Konzern sein Angebot unzensiert auf seine Server in der Sonderverwaltungszone Hongkong um und bietet von dort aus den Festlandchinesen einen für ihre Sprache zugeschnittenen Dienst.
Nur Zeit gewonnen
Mit diesem kleinen Trick muss Google seine Präsenz in der Region nicht völlig aufgeben, für die Nutzer in der Volksrepublik dürfte er aber keinen wirklichen Fluchtweg aus der Zensur bieten. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass Google.com.hk am Ende genauso aggressiv wie Google.com geblockt wird, möglicherweise sogar noch aggressiver", sagte Ben Schachter, Analyst der Marktforschung Broadpoint AmTech in San Francisco, der Finanzagentur Bloomberg.
Das ist auch Google-Mitbegründer Sergey Brin klar. In einem Interview mit der New York Times sagte er, er hoffe zwar, dass der Dienst in Hongkong lange Zeit für die Festlandchinesen erreichbar bleibt, "aber die Geschichte ist noch nicht vorbei".
Die Entscheidung Googles hat die Regierung in Peking offen brüskiert. Die Behörden sehen darin eine Vertragsverletzung und die unnötige Politisierung des Konflikts. Welche wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen die Haltung des Konzerns tatsächlich haben wird, bleibt abzuwarten.
Brin sagt zwar, dass die US-Regierung nicht involviert sei, aber "Google spielt ein sehr gefährliches Spiel", kommentierte Rob Enderle, Chef-Analyst der Enderle Group in San Jose (Kalifornien) den Schritt. "Sie könnten damit am Ende mehr Schaden anrichten als Gutes tun." Als durchaus wahrscheinlich gilt zumindest, dass Google damit seine Zukunft in dem lukrativen und schnell wachsenden Markt für längere Zeit verspielen könnte.
400 Millionen Internet-Nutzer
China ist einer der am schnellsten wachsenden Märkte der Welt und gilt mit seinen fast 400 Millionen Internet-Nutzern als El Dorado auch der Internet-Branche. Google hatte im Jahr 2000 erstmals eine chinesisch-sprachige Suchmaschine gestartet, sie in den ersten Jahren allerdings noch von Servern in den USA betrieben. Nach der Anwerbung von Kai-Fu Lee, einem ehemaligen Mircrosoft-Mitarbeiter und ausgewiesenen Kenner des chinesischen Marktes, startete Google 2006 erstmals eine Suchmaschine google.cn in China. Das neue Geschäft dürfte für Sergej Brin seit Beginn für Unbehagen gesorgt haben.
Für Google und sein vielzitiertes Firmen-Motto "Don't be evil" ("Tue nichts Böses") dürfte sich das damals neue Geschäft in China von Anfang an als moralischer Spagat erwiesen haben. Sich der staatlich verordneten Zensur zu beugen und Datenschutzverletzungen in Kauf zu nehmen, widerspricht dem Leitspruch des Unternehmens. Dennoch hatte sich Google zunächst der Politik des Landes gebeugt. Erst ein massiver Hacker-Angriff zur Jahreswende - mit Spähsoftware und geknackten E-Mail-Konten von Menschenrechtsaktivisten - auf Google sowie eine Anzahl weiterer US-Unternehmen hatte den offenen Protest bei Google geschürt.
Datenkrake zeigt Moral
Die riskante und überraschend harte Haltung, die Google nun gegenüber der chinesischen Regierung an den Tag legt, könnte dem Unternehmen in den westlichen Ländern allerdings auch sehr zugute kommen. Vor allem in Europa kämpft das Unternehmen gegen das gewachsene Image einer "Datenkrake", die unersättlich Daten sammelt, es dabei aber an Transparenz fehlen lässt. Zuletzt hatte auch der neue Dienst StreetView, eine Erweiterung des Kartendienstes Google Maps, die Gemüter von Nutzern europaweit erregt und eine heftige politische Debatte um Datenschutz ausgelöst. Der Konflikt in China könnte Google nun zu einem besseren Image verhelfen.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) hat die Entscheidung des US-Unternehmens Google, die Zensur der chinesischen Version seiner Suchmaschine aufzuheben, begrüßt. "Die chinesische Regierung lehnt weiterhin ein offenes und unzensiertes Internet ab. Wir begrüßen die Abschaltung der chinesischen Version der Suchmaschine, Google.cn und hoffen, dass diese Entscheidung eine umfassende Debatte zum Thema Zensur in China auslöst", erklärte ROG in einer Stellungnahme. "Wir appellieren an andere Internet-Konzerne in China, sich nicht länger der massiven Einschränkung von Presse- und Meinungsfreiheit zu beugen und ihre Haltung gegenüber der Zensurpolitik in der Volksrepublik zu überdenken", erklärt ROG.
Kein großer Verlust
Auch wenn Google sich den Zugang zu einem der wichtigsten Zukunftsmärkte verbaut: Selbst einen kompletten Rückzug dürfte der Konzern zumindest mittelfristig leicht verschmerzen. Denn bis heute hatte der weltweit führende und erfolgsverwöhnte Anbieter in China nur wenig Erfolg. Gerade einmal ein bis zwei Prozent macht das dortige Geschäft am Gesamtumsatz des Unternehmens aus, sagte Youssef Squali, Analyst bei Jefferies, dem "Wall Street Journal". Mit einem Marktanteil von rund 42 Prozent blieb Google nach Erhebungen der US- Marktforscher GlobalStats auch noch im März deutlich hinter dem führenden chinesischen Anbieter Baidu (56 Prozent) zurück.
Quelle: ntv.de, kwe/dpa