Deutsche E-Books von Amazon Kindle besser als iPad?
16.05.2011, 15:35 UhrSeit rund drei Wochen bietet Amazon auch deutsche E-Books an und verkündet stolz: "Deutschland liest jetzt auf dem Kindle". Aber hat der Reader hierzulande wirklich eine Chance? Technisch gesehen spricht vieles für das Gerät, doch es gibt auch noch einige Fragezeichen. Eins ist aber klar: Als Lesegerät stellt das Kindle nicht nur das iPad in den Schatten.
E-Books lesen hierzulande im Vergleich zu den USA nur sehr wenige Menschen. Das liegt sicher an der Vorliebe der Deutschen für gedruckte Bücher. Aber auch die bisherige Zurückhaltung von Amazon hat einen E-Book-Boom ausgebremst. Doch jetzt bietet der weltgrößte Online-Buchhändler auch deutsche E-Books an und rührt für sein Lesegerät Kindle kräftig die Werbetrommel. n-tv.de hat sich Amazons Komplettpaket einmal genauer angesehen. Hat es tatsächlich das Zeug, Deutschland zum Kindle-Land zu machen?
Tablets mit Leseschwäche
Alle aktuellen Tablet-Rechner haben auch eine Reader-App, die es Nutzern erlaubt, E-Books optisch anspruchsvoll "durchzublättern". Doch so schön elektronische Bücher auf Touchscreens auch aussehen mögen, können sie in der Realität streng genommen nicht mal mit gewöhnlichen Taschenbüchern mithalten. Die leuchtenden Bildschirme ermüden schnell das Auge, selbst das rund 600 Gramm leichte iPad 2 liegt schon nach ein paar Minuten schwer in der Hand, im hellen Tageslicht sind sie praktisch unbrauchbar und die Akku-Leistung mancher Modelle reicht nicht mal für eine Kurzgeschichte.
E-Book-Reader sind da als Spezialisten unschlagbar. Ihre Bildschirme funktionieren ähnlich wie magische Tafeln. "Elektronisches Papier" leuchtet nicht, auf E-Ink-Tafeln werden Partikel mit elektrischer Spannung angeordnet. Die Technik verbraucht sehr wenig Strom, weswegen E-Books viele Tage ohne Steckdose auskommen. Die Geräte sind leicht und sind in der Sonne problemlos zu lesen. Farbe ist bei E-Book-Readern allerdings derzeit noch kein Thema.
Den Amazon Kindle gibt es bereits in der dritten Generation. Aktuell kostet er in der WLAN-Version ohne 3G-Funktion 139 Euro. Mit integrierter SIM-Karte ist er 50 Euro teurer, dafür ist der 3G-Empfang grundsätzlich kostenlos. Preislich ist der Kindle damit zwar nicht der billigste Reader, aber angesichts von Qualität und Funktionsumfang sicher ein günstiger.
Ausdauerndes Leichtgewicht
Der Kindle ist mit 190 x 123 x 8,5 Millimeter ungefähr so groß wie ein Taschenbuch und bringt nur 241 Gramm auf die Waage. Sein Bildschirm ist 6 Zoll groß, löst mit 600 x 800 Pixeln auf und bietet 16 Graustufen. Buchstaben werden gestochen scharf dargestellt und Texte sind auch in extremen Blickwinkeln noch zu lesen.
3 Gigabyte interner Speicher bieten theoretisch Platz für rund 3.500 Bücher. Der Akku hält laut Amazon ohne eingeschalteter WLAN-Funktion bis zu vier Wochen durch, mit aktiviertem WiFi-Modul drei Wochen. Im Test war der Kindle-Tank nach zwei Wochen regelmäßiger Nutzung und eingeschaltetem WLAN noch deutlich mehr als viertelvoll.
Unter dem Bildschirm hat der Kindle eine QWERTY-Tastatur, wobei sich Umlaute und Sonderzeichen unter der Sym(bol)-Taste befinden. Nutzer steuern den Kindle mit Navigationstasten und dem Menü-Button. Touch-Funktionen bietet der Kindle nicht. Um bequem vor- und zurückzublättern hat das Gerät seitlich große Kipptasten. Unter der Aa-Taste kann man die Schriftgröße, Zeilenabstand und Schriftstil anpassen. Außerdem bietet der Kindle hier die Möglichkeit von Hoch- auf Querformat zu wechseln.
Man spricht nicht Deutsch
Die Tasten haben einen angenehmen Druckpunkt und bieten auch großen Fingern ausreichend Treffsicherheit. Die Bedienung des Kindle ist einfach, auch wenn Amazon den Reader ärgerlicherweise ohne deutschsprachiges Menü ausliefert. Warum man das deutsche Kindle-Handbuch erst umständlich als HTML-Datei herunterladen und umwandeln lassen muss, bleibt ein Geheimnis von Amazon. Deutschsprachige Geräte plane Amazon derzeit nicht, teilte man n-tv.de auf Anfrage mit.
Da der Kindle mit dem Amazon-Konto des Käufers verknüpft ausgeliefert wird, kann man sofort nachdem der Reader in Sekundenschnelle einsatzbereit ist, im Kindle-Shop einkaufen. 25.000 deutschsprachige Werke findet man dort derzeit. Die Auswahl ist gut, für jeden Geschmack ist etwas dabei.
Preislich unterscheiden sich die E-Books leider kaum von gedruckten Büchern. Das liegt an der Buchpreisbindung und am Mehrwertsteuersatz, der für elektronische Schmöker volle 19 Prozent beträgt, während für gedruckte Bücher ermäßigte sieben Prozent gelten. Amazon hat aber einige Klassiker im Katalog, die gratis heruntergeladen werden können.
Kein offenes System
E-Books aus anderen Quellen schluckt der Kindle erst, wenn sie in PDFs umgewandelt wurden - Amazon Kindle ist kein offenes System. Trotzdem muss man erworbene Bücher nicht ausschließlich auf dem Kindle lesen. Amazon bietet kostenlose Lese-Programme für PCs und Mac-Rechner an. Für Android-Smartphones, iPhones und iPads und Windows Phone 7 gibt's Gratis-Apps.
Nutzer können in den E-Books Lesezeichen und Anmerkungen einfügen oder Bereiche markieren. Außerdem kann man ein Buch nach Begriffen durchsuchen. Eingefügte und hervorgehobene Texte fasst der Kindle in einer Übersicht zusammen. Um Ordnung auf dem Kindle zu halten, können Nutzer Bücher in virtuellen Regalen (Collections) sortieren.
Per USB findet der Reader Kontakt zum PC und kann so mit eigenen Inhalten bestückt werden. Dabei unterstützt das Gerät allerdings nur PDF-Dateien. TXT- oder DOC-Dateien und Bilder können Nutzer nur über einen Umweg aufs Kindle bringen: Sie müssen sie sich per E-Mail an ihre automatisch eingerichtete Kindle-Adresse schicken. Die Adresse findet man unter "Settings" - "Device-E-mail". Amazon wandelt die geschickten Dateien um und leitet sie an den Reader weiter. Das ist zwar sehr umständlich, kann aber auch sehr praktisch sein, wenn man den Kindle nicht am PC hat oder Arbeitskollegen Texte schicken. Spam ist ausgeschlossen, denn jede Absender-Adresse muss zuvor freigeschaltet werden. Grundsätzlich sollte man die E-Mail-Umwandlung nur nutzen, wenn eine WLAN-Verbindung besteht, da via 3G Gebühren fällig sind.
Akustische Qualitäten
Wer beim Lesen gerne Musik hört, kann mit dem Kindle auch MP3-Songs abspielen. Dazu hat das Gerät auf der Rückseite Stereo-Lautsprecher und eine Klinkenbuchse für Kopfhörer. Außerdem gibt der Amazon-Reader Audible-Hörbücher ab. Die Klangqualität ist nicht schlecht und es ist eigentlich unverständlich, warum der Kindle seine akustischen Qualitäten im Menü unter "Experimental" versteckt.
Berechtigterweise findet man im experimentellen Bereich dagegen die Möglichkeit, Texte vom Kindle vorlesen zu lassen. Denn bisher unterstützen nur englischsprachige E-Books die Funktion. Ganz verzichten müssen deutsche E-Leseratten vorerst noch auf eine Funktion, die US-Nutzer schon zu schätzen wissen: Sie können Anmerkungen und Markierungen mit Freunden in sozialen Netzwerken teilen.
Amazon hat dem Kindle auch einen Webbrowser eingebaut. Er funktioniert recht passabel, allerdings ist die Darstellung von Webseiten keine Stärke des E-Ink-Displays. Via Webmail kann man so aber wenigstens E-Mails abrufen und die mobile Version von n-tv.de sieht auch ganz gut auf dem Reader aus.
Inhalte gesucht
Der Amazon Kindle hat durchaus das Zeug, um auch hierzulande erfolgreich zu sein. Ob man seinen Gute-Nacht-Krimi auf dem Reader lesen möchte, ist sicher Geschmackssache. Wer aber gerne viele Bücher griffbereit hat, findet im Kindle sicher einen guten Begleiter. Ideal ist das Gerät für Leute, die sich intensiv mit Büchern beschäftigen und viele Anmerkungen und Lesezeichen setzen möchten, ohne ein Buch zu verschandeln.
Perfekt könnte der Kindle für Schüler, Studenten oder Wissenschaftler sein, die so ganze Bibliotheken mit sich herumtragen und auf dem Schreibtisch den Überblick behalten können. Noch aber ist das Angebot an (deutschen) wissenschaftlichen Werken, die auf dem Kindle gelesen werden können, verschwindend klein. Es bleibt also abzuwarten, ob Deutschland wirklich bald Kindle liest.
Quelle: ntv.de