"Internet nicht von Natur aus neutral" Soll YouTube mehr bezahlen?
15.04.2010, 15:07 UhrIn der Frage der sogenannten Netzneutralität herrscht auf der Bloggertagung Re:publica und in Europa keine Einigkeit. Sollen Dienste, die viel Internet-Traffic verursachen, mehr bezahlen als Normal-Nutzer?
Straßen, auf denen nur Autos bestimmter Hersteller fahren dürfen? Auf denen für Trucks mit Nahrung ein Tempolimit gilt, während Fuhren mit Möbeln oder Kleidung freie Fahrt haben? Undenkbar. Geht es um das Internet - oft auch als Daten-Autobahn bezeichnet - ist der freie Verkehr hingegen keine Selbstverständlichkeit. Auf der Bloggertagung Re:publica (14. bis 16. April) in Berlin diskutierten Experten, wie die so genannte Netzneutralität gewährleistet werden kann. Demnächst wird das Thema auch bei der Bundesregierung auf der Tagesordnung stehen.
Was sich hinter dem sperrigen Begriff verbirgt: Netzbetreiber wie die Telekom, Vodafone oder O2 sollen alle Daten gleich behandeln und keine Inhalte sperren oder bremsen - egal ob der Nutzer gerade Videos auf YouTube anschaut, E-Mails schreibt oder einfach surft.
Neutralität fördert Wettbewerb
Das aber ist keine Selbstverständlichkeit. Gerade wenn die Nutzer große Datenmengen saugen, setzen die Anbieter auf Tempolimits und Sperren. Telekom und Vodafone erlaubten ihren Kunden zum Beispiel nicht, den Dienst Skype auf dem Handy zu nutzen - selbst wenn diese einen Pauschaltarif hatten. Denn der Dienst für Internet-Telefonie schadet dem eigenen Geschäftsmodell. Nach einigen Streitigkeiten können Nutzer nun darauf zugreifen - aber nur gegen Aufschlag. Netzneutralität hilft Wettbewerb
Befürworter sehen Netzneutralität als wichtige Voraussetzung für Wettbewerb und Innovationen. Sie argumentieren, dass das Prinzip "gleicher Zugang für alle" dem Wettbewerb diene - und damit dem Verbraucher. "Die Netzanbieter haben bei ihren eigenen Kunden ein Monopol", sagt Privatdozent Simon Schlauri von der Universität Zürich, der über Netzneutralität habilitierte. Wenn das Unternehmen beispielsweise mit einem Videoportal kooperiere und dessen Konkurrenten aussperre, nutze es diese Alleinstellung aus.
Fortschritt durch geringe Kosten
Zudem befeuert dieses Prinzip den technischen Fortschritt: Weil die Kosten für ein eigenes Blog oder ein Web-2.0-Portal recht gering sind, versuchen jedes Jahr Tausende Unternehmer ihr Glück. "Es ist ein gigantisches Spiel von Versuch und Irrtum", sagt Schlauri. Viele scheitern, einige schaffen es - auch heutige Größen fingen klein an. Wenn in den 90er Jahren die Internetanbieter einen Exklusivvertrag mit der damals populären Suchmaschine Altavista abgeschlossen hätten - wer weiß, ob es heute Google gäbe.
Netzbetreiber warnen vor Staus
Die Netzbetreiber wehren sich jedoch gegen eine uneingeschränkte Netzneutralität. Zum einen verweisen sie darauf, dass der wachsende Datenverkehr ohne Regulierung geradewegs in den Stau führen würde. Bereits heute bremsen daher manche Anbieter gezielt; Gigabyte-große Datenpakete von Tauschbörsen beispielsweise liefern sie oft langsamer aus als schlanke E-Mails oder Websites.
Damit nicht genug: Angesichts des rasant wachsenden Datenverkehrs wollen etliche Netzbetreiber zusätzlich eine Art Wegzoll einführen. "Zahlen müssen diejenigen, die die Netze stark beanspruchen", sagte Telekom-Chef René Obermann jüngst dem "Manager Magazin". "Was wäre Google ohne die Netzbetreiber?" Experte Schlauri bewertet das so: "Wenn Google im Internet prächtig Geld verdient, will die Telekom mitverdienen."
Kein Gesetz zu Netzneutralität
In Deutschland gibt es derzeit kein Gesetz, dass Internetanbieter ausdrücklich zur Netzneutralität verpflichtet. Allerdings hat die Europäische Kommission kürzlich im Rahmen der Telekommunikations- Richtlinie Regeln vorgegeben, welche die EU-Mitgliedstaaten nun in nationale Gesetze gießen müssen. Dabei hat der Gesetzgeber jedoch einigen Spielraum.
Die Richtlinie sieht unter anderem vor, dass der Internetanbieter den Kunden informieren muss, wenn er den Datenverkehr beispielsweise drosselt. Zudem besteht die Möglichkeit, Mindestvorschriften für die Verbindungsgeschwindigkeit zu erlassen. Cara Schwarz-Schilling von der Bundesnetzagentur bezeichnete diesen Rahmen auf der Re:publica als "nützlich". "Wettbewerb dient der Netzneutralität", sagte sie.
"Internet nicht von Natur aus neutral"
Die zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes bekannte sich auf einer Konferenz der französischen Regulierungsbehörde Arcep grundsätzlich zu den Prinzipen der Netzneutralität: Bürger sollen frei auf legale Inhalte zugreifen sowie ihre Anwendungen und Dienste frei wählen dürfen. Sie sollen unterschiedliche Zugangsgeräten benutzen dürfen und die Wahl zwischen verschiedenen, miteinander konkurrierenden Diensten haben.
Kroes will aber höhere Gebühren für Anbieter, die viel Traffic verursachen, nicht grundsätzlich ausschließen. Das Internet sei "nicht von Natur aus eine neutrale Plattform", sagt sie. Sie will zu dem Thema noch in diesem Jahr eine öffentliche Anhörung. Die europäischen Behörden müssten sich entscheiden, ob Internet Service Provider (ISP) bestimmte Arten von Internet-Traffic stärker belasten dürften. Viele Provider hätten ihr gegenüber diesen Wunsch geäußert.
Sollten Traffic-abhängige Gebühren erlaubt werden, könnte dies für Dienste wie YouTube enorme Auswirkungen haben. Indirekt würde eine höhere Belastung von großen Traffic-Verbrauchern auch die Normal-Nutzer treffen. Beispielsweise könnten bisher gratis angebotene Leistungen kostenpflichtig oder eingeschränkt werden.
Quelle: ntv.de, kwe/dpa