Wirtschaft

U-Ausschuss rückt näher 144 Hinweise auf Geldwäsche bei Wirecard

Die Geschäfte des Zahlungsdienstleisters Wirecard werfen immer mehr Fragen auf.

Die Geschäfte des Zahlungsdienstleisters Wirecard werfen immer mehr Fragen auf.

(Foto: REUTERS)

Wann wusste die Bundesregierung von Unregelmäßigkeiten bei Wirecard? Was hat sie dagegen unternommen? Die Opposition fordert Antworten - und könnte auch gegen den Willen der GroKo einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Die Anti-Geldwäsche-Einheit des Bundes prüft derweil 144 Vorgänge.

Die Opposition im Bundestag sieht die politische Aufarbeitung des Wirecard-Skandals noch lange nicht am Ziel. Auch aus Sicht der Grünen ist mittlerweile die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wird, wie der Grünen-Politiker Danyal Bayaz vor erneuten Sondersitzungen des Finanzausschusses im Bundestag sagte. FDP und Linke sind für einen U-Ausschuss, die Grünen wollten die Sondersitzungen des Ausschusses abwarten, die am Dienstag beendet sein sollen.

Der FDP-Obmann im Ausschuss, Florian Toncar, sagte, die Aufklärung im Fall Wirecard sei noch lange nicht am Ziel. Er sprach von einem "multiplen Staatsversagen" auf verschiedenen Ebenen. So habe die Finanzaufsicht Bafin trotz klarer Hinweise auf Unregelmäßigkeiten nötige Schritte nicht eingeleitet. Außerdem sei Verdachtsmeldungen auf Geldwäsche vor der Wirecard-Insolvenz nur ungenügend nachgegangen worden. Für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses muss im Bundestag ein Viertel der Abgeordneten stimmen. FDP, Grüne und Linke würden zusammen das Quorum erreichen.

Derweil prüft die Anti-Geldwäsche-Einheit des Bundes (FIU) mittlerweile 144 Vorgänge, die als relevant für die Vorwürfe gegen den Zahlungsdienstleister eingestuft werden. Sie teilten sich in 102 Verdachtsmeldungen und 42 sonstige Informationen auf, teilte ein Zoll-Sprecher in Bonn mit. Die Mehrzahl der Verdachtsmeldungen sei der FIU erst nach dem 22. Juni 2020 zugeleitet worden. An diesem Tag hatte Wirecard Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt.

Kanzlerin lobbyierte für Wirecard

Bis zum 22. Juni hätten der FIU im Rahmen ihrer Analyse zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zwei Verdachtsmeldungen im Zusammenhang mit den ersten Vorwürfen gegenüber Wirecard vorgelegen, erläuterte der Zoll-Sprecher weiter. Diese Meldungen seien bereits im Jahr 2019 an das zuständige Landeskriminalamt Bayern abgegeben worden. Zusätzlich sei die Finanzaufsicht Bafin unterrichtet worden. Die FIU habe insoweit ihr vorliegende relevante Erkenntnisse zu Wirecard unmittelbar weitergeleitet und sei damit ihrem gesetzlichen Auftrag vollumfänglich nachgekommen.

Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der inzwischen insolvente Zahlungsdienstleister seit 2015 Scheingewinne auswies und ermittelt wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs. Der Schaden für die kreditgebenden Banken und Investoren könnte sich auf 3,2 Milliarden Euro summieren.

Zentrale Fragen bei der politischen Aufarbeitung sind, wann genau die Bundesregierung von Unregelmäßigkeiten wusste und ob sie zu wenig dagegen unternommen hat. Bei einer Sondersitzung des Finanzausschusses Ende Juli hatte SPD-Finanzminister Olaf Scholz Vorwürfe gegen die Bafin zurückgewiesen.

Bei der Sitzung am Montag wurden Vertreter des Kanzleramts gehört, darunter der Wirtschaftsberater von Kanzlerin Angela Merkel, Lars-Hendrik Röller. Während einer China-Reise im September 2019 hatte die CDU-Politikerin für den Markteintritt von Wirecard in China geworben. Die Kanzlerin hatte darauf verwiesen, dass ihr damals Unregelmäßigkeiten bei Wirecard noch nicht bekannt gewesen seien.

Bund nicht für Marsalek-Auslieferung zuständig

Die SPD-Politikerin Cansel Kiziltepe sagte, der "Wirecard-Lobbyismus" im Kanzleramt sei erschreckend. Hintergrund ist auch, dass der Ex-Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche, sowie der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg Lobbyarbeit für Wirecard betrieben.

Im Finanzausschuss wurde auch Justizministerin Christine Lambrecht erwartet. Die SPD-Politikerin soll unter anderem zur geplanten Reform der Wirtschaftsprüfung und des Bilanzstrafrechts als Folge des Skandals befragt werden.

Eine Schlüsselrolle im Skandal spielt der flüchtige Ex-Vertriebsvorstand von Wirecard, Jan Marsalek. Wie das "Handelsblatt" unter Berufung auf Bekannte Marsaleks berichtete, befindet er sich auf einem Anwesen nahe Moskau. Dort stehe er unter Aufsicht des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR.

Die Bundesregierung schreibt in einer Antwort auf eine Anfrage des Linke-Politikers Fabio De Masi, ihr sei der aktuelle Aufenthaltsort von Marsalek nicht bekannt. Die Frage einer Auslieferung Marsaleks im Rahmen des gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens falle in die Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden und der Gerichte.

Quelle: ntv.de, tsi/dpa

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