Warum noch mit Athen verhandeln? Die Logik befiehlt: Weitermachen!
11.06.2015, 11:12 Uhr
Gute Stimmung in kleiner Runde: Bundeskanzlerin Merkel spricht am Rande des EU-Lateinamerika-Gipfels in Brüssel zwei Stunden lang mit Griechenlands Ministerpräsident Tsipras und mit Frankreichs Premier Hollande.
(Foto: picture alliance / dpa)
Was sich zwischen Griechenland und den Geldgebern abspielt, würden Psychologen als klassische On-Off-Beziehung bezeichnen: Viel Drama, viel Adrenalin, Annäherungen, gefolgt von immer neuen Fast-Trennungen. Theoretisch könnte das so weitergehen.
Missverständnisse, Deadlines, gegenseitige Schuldzuweisungen, Drohungen, Krisengipfel - die Verhandlungen im griechischen Schuldendrama drehen sich im Kreis. Zigmal haben die Geldgeber EU, EZB und IWF gedroht, genug von dem griechischen Schuldentheater zu haben. Unzählige Male hieß es, die Zeit laufe endgültig ab. Aber passiert ist nichts. Aus Frust oder Hilflosigkeit, dass keine Verhandlungsrunden gefruchtet haben, verlegen sich die Partner erst einmal auf einen Meinungsaustausch im kleinen Kreis. Immerhin. Ein Schlussstrich sieht anders aus. Aber richtig weiter bringt es die Verhandlungspartner auch nicht.
Das Problem beim Dauerbrenner griechische Schuldenkrise ist, dass weder Griechenland noch die Geldgeber bislang in der Lage sind, sich das Offensichtliche einzugestehen: Keiner wird in diesem Theater seinen hundertprozentigen Willen bekommen. Es mangelt schlicht an der Kompromissfähigkeit für eine vernünftige Annäherung. Bleibt es so, könnte die Hängepartie theoretisch ewig so weitergehen. Denn Athen ist schon lange Pleite. Griechenland anzuzählen, "jeder Tag zählt", suggeriert falsche Tatsachen. Es gibt ungeahnte Möglichkeiten, Zahlungen zu vertagen - einige davon haben wir bereits gesehen. Griechenland ist schon lange am Ende, trotzdem wird weiterverhandelt. Aber wer will so noch lange weitermachen, wenn es nirgendwo hinführt? Eigentlich keiner. Aber ein Grexit ist eben genausowenig erwünscht.
Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone gilt immer noch als historische Schlappe für die Währungsunion. Das gilt es unbedingt zu verhindern. Zudem würde ein Grexit oder ein Graccident für Griechenland ökonomisch eine dramatische Verschlechterung bedeuten. Im Grunde wissen beide Seiten, dass sie miteinander deutlich besser fahren. Wie in jeder turbulenten Beziehung gibt es also viel Grund dranzubleiben.
Bei allen Abnutzungs- uns Ermüdungserscheinungen lohnt es sich vielleicht daran zu erinnern, dass Griechenland und die Währungsunion etwas Wichtiges gemeinsam haben. Die Athener Regierung und die Euro-Krisenmanager haben die griechische Krise nicht verursacht, sie verwalten sie nur. Griechenland hat sich mit gefälschten Statistiken in die Währungsunion hineingepfuscht. Die aktuelle Tsipras-Regierung hat das Chaos nicht verursacht. Verantwortlich sind andere Regierungen. Persönliche Befindlichkeiten und Schuldzuweisungen haben in diesem Streit also nichts verloren.
Alle wollten Griechenland im Euro
- Rentenkürzungen: Die Gläubiger fordern Kürzungen in Höhe von einem Prozent des griechischen BIP und weitere 800 Mio. Euro durch Einschnitte bei Renten für Geringverdiener. Athen lehnt das strikt ab. Die Rentner haben bereits 40 Prozent ihrer Einkommen verloren.
- Mehrwertsteuer: Die Geldgeber fordern eine zweistufige Steuer von 11 und 23 Prozent. Die Griechen bieten 7, 14 und 22 Prozent an.
- Primärüberschuss: Die Ansage an Athen lautet, ein Prozent für 2015 und zwei Prozent für 2016. In dem neuen Vorschlag aus Athen fällt dieses Ziel um ein Viertel weniger ehrgeizig aus.: 0,75 Prozent (2015) und 1,5 Prozent (2016).
Auch das politische Europa hat ein schweres Erbe. Die ersten elf Euroländer haben sich 2001 klar dafür ausgesprochen, dass Griechenland der Währungsunion beitritt. Alle Skepsis gegenüber Griechenlands Eignung wurde damals beiseite gewischt. Bei den Aufnahmekriterien drei Prozent Haushaltsdefizit und 60 Prozent Schulden hatten sich zuvor schon viele Staaten durchgepfuscht. Bilanzkosmetik war also kein Alleinstellungsmerkmal für Griechenland, das damals eine Schuldenquote von über 100 Prozent hatte.
Die Europäische Union trägt also durchaus mit Schuld daran, dass der Euro zu einem Problem für Griechenland wurde. Dem Land den Euro zu geben, war unverantwortlich. Heute weiß man, Griechenlands schwache Wirtschaft hätte niemals Zugang zu so viel Geld bekommen dürfen - ohne die Chance, eine eigene Währung abwerten zu können. Wiedergutmachung von seiten der Europartner ist vor diesem Hintergrund durchaus ein Thema.
Aber auch wenn die Fehler von damals ärgerlich sind: Sie sind Geschichte. Heute ist wichtig, die Idee der politischen Union Europas nicht zu beschädigen. Darin sind sich die meisten immer noch einig. Die Eurozone sollte kein Club sein, den man nach Belieben wieder verlassen kann.
Und damit gilt: Auch wenn es ermüdend oder gar frustrierend ist, die Zeichen stehen weiter auf Verhandeln - mit dem Ziel eine für beide Seiten tragbare, und zukunftsweisende Lösung zu finden. Nur wäre es an der Zeit, so etwas wie den Reset-Knopf zu drücken. Die griechische Regierung sollte der Bevölkerung reinen Wein einschenken: Das Land wird nicht ohne Blessuren aus dem Schuldensumpf kommen. Die Sparprogramme werden noch lange wehtun. Umgekehrt wird Griechenland dafür aber Teil einer gemeinsamen europäischen Zukunft sein. Die Tsipras-Regierung muss dafür in der Bevölkerung um Rückhalt werben - auch weil der weitere Kurs möglicherweise sein Linksbündnis sprengen wird.
Reformen und Schuldenerlass - Zug um Zug
Auch die andere Seite ist gefordert: Die Reformen in Griechenland sollten Hand in Hand mit Schuldenabschreibungen der Gläubiger gehen. Aus einem einfachen Grund: Die Abschreibung der Schulden ist das weniger schmerzhafte Szenario. Zumal es sich doch längst herumgesprochen hat, dass Griechenland seine Schulden mit großer Wahrscheinlichkeit nie zurückzahlen kann. Irgendwann werden die Geldgeber den Steuerzahlern und Wählern beibringen müssen, dass es zu weiteren finanziellen Einbußen kommen wird. Deshalb ist der einzig richtige Plan, Griechenland jetzt mit finanziellen Erleichterungen zu Wachstum zu verhelfen. Nur damit wäre allen geholfen – Griechenland genauso wie den Geldgebern.
Gibt es also noch eine Chance für eine Annäherung? Ja, wenn beide Seiten aufhören, sich etwas vorzumachen. Alexis Tsipras hat die Syriza-Partei bereits dazu aufgerufen, die Regierung in der jetzigen kritischen Phase der Verhandlungen zu unterstützen. Noch lehnen die Vertreter des linksradikalen Flügels Kompromisse mit den Geldgebern ab. Wichtig ist, dass weiterverhandelt wird. Nicht weil Griechenland es aufgrund herausragender Tugenden besonders verdient hätte, sondern weil es schlicht und ergreifend die Logik des Euro ist. Mitgefangen, mitgehangen. Insofern ist es gut, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel immer noch sagt: "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg." Allen ist mittlerweile klar, dass es ein deutlich längerer Weg ist, als gedacht.
Quelle: ntv.de