Ein Stern geht auf Die Comeback-Story von Daimler
21.12.2015, 09:44 Uhr
Prägnant: Das Mercedes-Design zeigt wieder klare Kante.
(Foto: dapd)
Totgesagte leben länger. Nach dem Schremppschen Hochzeitswahn ist Daimler ausgeblutet, fährt der Konkurrenz hinterher. Doch dann übernimmt ein Mann mit Schnauzer das Lenkrad - und ein Autokonzern erlebt seine Sternstunde.
"Über sieben Brücken muss du gehen, sieben dunkle Jahre überstehen …" Wie wahr, wie wahr! Gerade mal drei Jahre ist es her, dass der Verfasser an gleicher Stelle eine Kolumne über Daimler betitelte: "Ein Stern verglüht!" Damals steckte die Marke mit dem Stern im tiefsten Tief, weit abgeschlagen hinter dem blauweißen Erzrivalen BMW - und sogar noch vom eher imageblassen Audi aus Ingolstadt auf den dritten Platz unter den deutschen Premium-Herstellern verwiesen. Die unseligen Konzern-Visionen von Edzard Reuter und Jürgen Schrempp fanden ein unrühmliches Ende: Alle Mutationsversuche, aus dem grundsoliden schwäbischen Nobel-Automobilkonzern, unangefochten die Nummer Eins im Premiumsegment, einen "Integrierten Technologiekonzern" oder einen "Welt-Automobilkonzern" zu machen, mündeten im Desaster. Am Ende des Schremppschen Chrysler-Hochzeit-Abenteuers war Daimler finanziell ausgeblutet, bar eines Ankerinvestors und mit einer veralteten Modellpalette jenseits des Zeitgeistes. Wie gesagt: "Ein Stern verglüht."
Und dann kam Dieter Zetsche - und mit ihm die Rückbesinnung auf die DNA der alten Daimler Benz AG. Zunächst wurde der Mann mit dem Seehund-Bart noch müde belächelt, wenn er als Ziel verkündete, wieder vor BMW die Nummer eins zu werden. Doch der Stern ging wieder auf, erst allmählich und mühsam nach der finanziellen Durststrecke, dann immer schneller. Fast so wie in der Formel 1, wo man lange Zeit hinter Exoten-Teams herfuhr, heute aber unangefochten die Poleposition übernommen hat.
Der Abstand wird kleiner

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.
Und der Stern begann wieder zu glänzen! Nach Absatzzahlen hat die Marke Mercedes Audi bereits überrundet und liegt nur noch wenige Tausend Fahrzeuge hinter dem Erz-Rivalen BMW. Die drei deutschen Oberklassen-Hersteller liegen allerdings so nah zusammen wie noch nie. Dazu sagt Dieter Zetsche auf der diesjährigen IAA: "Vergangenes Jahr um diese Zeit lagen unsere Münchener Wettbewerber noch 120.000 Autos vor uns. Dieses Jahr sind es nur noch rund 25.000. Das ist ein Abstand, den man aufholen kann."
Den man aufholen wird! Schon bald. Da die Geschäfte von Audi und BMW in China erkennbar schlechter laufen, während Daimler dort noch im nachholenden Steigflug ist, ist es nur eine Frage von Monaten, bis die Nobel-Schwaben an den Nobel-Bayern vorbeiziehen und die alte Rangordnung in der deutschen Automobilindustrie wieder hergestellt ist.
Eigene Schwächen ausgemerzt
Dabei profitiert Daimler anders als früher nicht von den Schwächen von Audi und BMW, sondern von der Beseitigung der eigenen hausgemachten Schwachpunkte. Die da waren: ältere Modell als der Wettbewerb, verschwommenes Design, Vernachlässigung von betuchten Jungen wie sportlichen Älteren. Das hat sich alles geändert.
BMW konnte Daimler - trotz vergleichbarer Qualität - überholen, weil es modernere, umweltfreundlichere und vor allem technologisch innovativere Autos als Mercedes auf den Markt brachte. Und weil es seine Angebotspalette mit vielen neueren Fahrzeugkonzepten und Crossover-Modellen schneller auf die Bedürfnisse einer alternden Gesellschaft mit anderen Komfortansprüchen eingestellt hat - ohne sein sportliches Image alle 14 Tage in der Formel 1 unter Beweis stellen zu müssen. Das hat sich nachhaltig geändert, Mercedes hat an allen Fronten auf- und Audi bereits wieder überholt.
Diese Schmerzen sind ein Segen
Wichtiger als die Frage nach der Poleposition im Premium-Segment ist etwas ganz anderes: So sehr dieser Triathlon von Audi, BMW und Mercedes an der Spitze der deutschen Automobilindustrie zu einem scharfen Wettbewerb führt, der jedem einzelnen Unternehmen natürlich weh tut (und wehtun muss!), so sehr ist dieser Wettbewerb ein Segen für die deutsche Automobilindustrie insgesamt und damit auch für die deutsche Wirtschaft.
Der Wettkampf an der Spitze zwischen BMW, Mercedes und Audi um die Poleposition hat die deutsche Autoindustrie an die Spitze der Weltautomobilindsutrie geführt: Die US-Hersteller - gerade der Insolvenz entkommen - sind Regionalspezialisten. Die Bedrohung durch das "made in Japan" ist verdammt lang her. Europäische Hersteller sind bis auf Renault und Peugeot verschwunden, aufgekauft oder fusioniert. Lediglich die britisch-indische Traditionsmarke Jaguar ist aus dem Koma erwacht und setzt zum neuen Sprung an. Die Offensive der koreanischen Marken ist festgefahren. Chinesische Hersteller sind nicht weltmarktkompatibel.
Das Erfolgsgeheimnis der deutschen Automobilindustrie auf dem Weltmarkt ist genau der harte Wettbewerb der drei großen Premiumhersteller untereinander: Man schaukelt sich gegenseitig hoch! Und treibt die Zulieferkette an. Denn das exzellente Image von Qualität und Zuverlässigkeit verdanken die Hersteller letztlich nur einer überragenden lokalen und tiefgegliederten Zulieferindustrie. Da stehen Weltmarktgiganten wie Bosch, Continental/Schaeffler und ZF neben Hunderten von "hidden champions" aus dem Heer mittelständischer Familienunternehmen wie etwa Brose, Dräxlmaier, Woco und so weiter. Namen, die den wenigsten Autokäufern bekannt sind, obwohl sie täglich damit zu tun haben.
Mercedes wird über kurz oder lang, ich tippe auf eher kurz, wieder die Nummer eins unter den deutschen Nobelmarken sein. Und wird sich damit den Verdruss einhandeln, den BMW heute hat: Statt zu jagen zum Gejagten zu werden. Aber diese Situation kennen die Schwaben ja aus früheren Jahrzehnten.
Quelle: ntv.de