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Klinikleiter kritisiert Jammerei "Die Pflege ist lobbyistisch schlecht unterwegs"

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"Die Pflegebranche schafft es nicht, ihre Interessen gut darzustellen", sagt David-Ruben Thies.

"Die Pflegebranche schafft es nicht, ihre Interessen gut darzustellen", sagt David-Ruben Thies.

(Foto: picture alliance/dpa)

David-Ruben Thies will die Krankenhauswelt verändern. Der Geschäftsführer der Waldkliniken Eisenberg setzt in seinem Thüringer Krankenhaus auf allerbeste Versorgung und hochmoderne Technologie. Denn "Hospital" kommt vom lateinischen "hospitalis" und bedeute "Gast", erklärt der frühere Krankenpfleger im Podcast "So techt Deutschland". Die Waldkliniken sind deshalb von Hotels inspiriert - und Kalifornien: "Wir haben unsere eigene digitale Patientenakte entwickelt", sagt Thies stolz. Er verspricht auch: Die Cloud-Lösung ist einbruchssicher.

ntv: Sie sind seit 2008 Geschäftsführer der Waldkliniken Eisenberg, haben aber als Krankenpfleger angefangen. Wie kam das?

David-Ruben Thies war früher Krankenpfleger in München - heute ist er Chef der Waldkliniken Eisenberg.

David-Ruben Thies war früher Krankenpfleger in München - heute ist er Chef der Waldkliniken Eisenberg.

(Foto: IMAGO/Andre Lenthe)

David-Ruben Thies: Eigentlich wollte ich Hebamme werden, habe mich um 1987 herum beworben und natürlich fürchterlich viele Antworten bekommen von anderen Hebammen, aber auch Schulen, die teilweise in kirchlicher Trägerschaft waren, was mir denn einfallen würde und so. Nach dieser Abfuhr habe ich stattdessen ein Praktikum auf der Intensivstation gemacht und '89 eine Ausbildung zum Krankenpfleger begonnen, die ich eigentlich gleich wieder hinschmeißen wollte, weil schon damals alle nur gejammert haben. Aber es gab einen coolen Krankenhausdirektor, der gesagt hat: Warum willst du gehen? Typen wie dich brauchen wir im Gesundheitswesen! Gründe doch eine Jugend- und Auszubildendenvertretung, also eine Art Betriebsrat für die Kleinen.

War das damals Jammern auf hohem Niveau? Ist es heute gerechtfertigt?

Das größte Problem der Pflege ist das eigene Selbstverständnis: Was ist eigentlich unsere Rolle in einer großen Klinik? Warum sind wir Profis und nicht - ich sage es bewusst despektierlich - Saftschubsen? Die Pflege tut sich tatsächlich bis heute schwer, das zu beantworten. Wenn ein imaginärer Bundesgesundheitsminister anbietet, die Branche besserzustellen, kommen Tausende Organisationen empor und sind sich fürchterlich uneins, was sie wollen. Das hat sich die Pflege in gewisser Hinsicht selbst eingebrockt. Sie ist lobbyistisch schlecht unterwegs, widerspricht sich teilweise ganz und schafft es nicht, ihre Interessen gut darzustellen.

Inzwischen leiten Sie die Waldkliniken Eisenberg, von denen es heißt, das sei ein Vier-Sterne-Hotel für Kassenpatienten. Was läuft anders? Gab es mehr Geld aus Thüringen?

Die Waldkliniken erinnern weder von außen noch ...

Die Waldkliniken erinnern weder von außen noch ...

(Foto: picture alliance/dpa)

Das Allerwichtigste ist, dass wir das zusammen geschafft haben, nicht ich allein. Das Miteinander, der Umgang mit den Patienten, das ist eine kollektive Leistung des gesamten Teams. Da ist wirklich jeder dabei, von der Reinigungskraft bis zum Chefarzt - das machen nicht viele. Dazu kommen zwei lateinische Wörtchen, mit denen ich gerne meine Vision beginne: Das erste ist "Patient", das vom lateinischen "patiens" kommt und "ertragen" oder "erdulden" bedeutet. Das ist eine Top-Beschreibung für das deutsche Gesundheitssystem, in dem man sich glücklich schätzen kann, wenn man einen Termin bekommt und das medizinische Personal Zeit hat.

Das zweite Wort ist "Hospital". Das kommt vom lateinischen "hospitalis" und bedeutet "Gast" und "Gastlichkeit". Dieser Wortstamm steckt nicht nur in Hospital, sondern auch in "hospitality", also der Hotellerie. Dann haben wir uns gefragt: Verdammt noch mal, was unterscheidet uns eigentlich von einem tollen Hotel? Deswegen sprechen wir nicht mehr von Patienten, die wir ertragen und erdulden müssen, sondern tatsächlich von Gästen - auch wenn unser Hotel ein wenig speziell ist und Räume hat, die "OP" oder "Röntgen" heißen. Deswegen haben wir uns beim Bau auch keinen Krankenhaus-Architekten genommen, sondern jemanden, der vornehmlich Hotels und Spa-Bereiche baut.

Und Probleme wie Fachkräftemangel, schlechte Bezahlung oder die Arbeitsbelastung spielen keine Rolle?

... von innen stark an ein Krankenhaus.

... von innen stark an ein Krankenhaus.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Wir haben keinen Fachkräftemangel. Gelegentlich gibt es eine offene Stelle, klar. Aber wenn ich das vergleiche, geht es uns saugut. Aber dafür haben wir was getan. Wir haben etwa einen Haustarifvertrag mit Verdi, der weit über die üblichen Verhältnisse hinausgeht, Stichwort: 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Wer möchte, kann aber trotzdem 40 Stunden arbeiten und mehr Geld verdienen oder die Stunden auf einem Lebensarbeitszeitkonto sammeln, wo man es später für ein Sabbatical, Erziehungszeiten oder für einen Pflegefall in der Familie nutzen kann. Die meisten nutzen es, um früher ohne Abschläge in die Rente gehen zu können.

Bei Ihnen in der Klinik gibt es auch schon eine eigene, digitale Patientenakte?

Genau. Das habe ich bei einer Dienstreise in Kalifornien an der Uniklinik in San Francisco gesehen und war völlig begeistert, dass bei denen schon seit zehn Jahren etwas funktioniert, was Deutschland in 21 Jahren nicht für 19 Milliarden Euro geschafft hat. Das war eine Cloud-Lösung von Salesforce, die ich mir sozusagen "ausgeliehen" habe, um zu schauen, ob das auch bei uns funktioniert. Wir haben ja eigene Hausärzte, Fachärzte, ambulante Physiotherapie, also das deutsche Gesundheitswesen einmal im Kleinen. Jetzt können die Leute entspannt zu Hause die Anamnese ausfüllen und sich die Aufklärung angucken. Es sind alle Dokumente sichtbar. Auch bei uns, wenn die Ärzte etwas ausfüllen. Sobald das freigegeben wird, kann das jeder in der Akte sehen. Andere Ärzte, die Pflegefachkraft in der Klinik, die Tagespflege und und und. Ohne eigene Software. Durch die Cloud arbeiten alle mit ihrem bestehenden System, weil wir uns über Schnittstellen drangehängt haben.

Und das erlaubt der Datenschutz?

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Wir haben von Anfang an den Thüringer Landesdatenschutzbeauftragten ins Boot geholt, denn Patientendaten sind Ländersache, nicht Bundessache. Das scheinen nicht alle in Berlin verstanden zu haben. Der war natürlich hochkritisch, als er von der amerikanischen Cloud hörte. Aber die Daten werden alle in Rechenzentren innerhalb der Europäischen Union gespeichert. Die liegen in Frankfurt, Paris und demnächst auch in Dublin. Kein Amerikaner kann darauf zugreifen und es kommt auch keiner rein. Wir haben Spezialisten gebeten, einzubrechen. Es hat niemand geschafft. Das ist sicherer als jeder Krankenhausserver unten im Keller, wo man nur eine Tür aufbrechen muss und die Festplatten mitnehmen kann. Inzwischen ist die Erlaubnis, die wir in Thüringen erhalten haben, EU-weit gültig.

Mit David-Ruben Thies sprachen Frauke Holzmeier und Andreas Laukat. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "So techt Deutschland" anhören.

So techt Deutschland

In "So techt Deutschland" haken die ntv-Moderatoren Frauke Holzmeier und Andreas Laukat bei Gründern, Investoren, Politikern und Unternehmern nach, wie es um den Technologie-Standort Deutschland bestellt ist.

Alle Folgen finden Sie in der ntv App, bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify und im RSS-Feed.

Sie haben Fragen für Frauke Holzmeier und Andreas Laukat? Dann schreiben Sie eine E-Mail an sotechtdeutschland@ntv.de

Quelle: ntv.de, cam

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