Ersatz für Feuer und Hitze "Remscheid ist ein versteckter Erfinder-Standort"
15.06.2024, 18:32 Uhr Artikel anhören
"Remscheid war die große Metallschmiede Deutschlands."
(Foto: picture alliance / Roland Weihrauch/dpa)
In Remscheid leben 110.000 Menschen - eingekeilt zwischen Düsseldorf und Köln und umgeben von sehr viel Industrie. "Man sieht Feuer und spürt Hitze, wenn man die Unternehmen besucht", sagt Peter Heinze, der Baudezernent der Stadt, im neuen "Klima-Labor" von ntv. "Das sind nach wie vor alles gefragte Produkte." Doch Stahlschmieden und Werkzeughersteller wissen: Wenn sie ihre Waren auch in Zukunft in die ganze Welt verkaufen wollen, müssen sie Energiesysteme und Schmiedeöfen umstellen oder ersetzen. "Das ist aber in der Schwerindustrie, in der Metalle mit Gas stark erhitzt werden, ungleich schwerer als in anderen Branchen, weil alternative Technologien bisher nicht vorhanden, nicht ausgereift oder nicht wirtschaftlich sind", sagt Heinze. Diese Herausforderung will die Werkzeugstadt dennoch annehmen, mit Erfindergeist und großen Investitionen. Nicht einmal das strenge Heizungsgesetz kann die Stimmung von Heinze und der Stadt trüben: "Vaillant bietet auf einmal Wärmepumpen an. Deswegen bin ich natürlich dafür, sie möglichst oft zu verbauen."
ntv.de: Wenn man mit den Bewohnern von Remscheid spricht, hört man wenig Gutes: Die Stadt hat den Wandel verschlafen, wurde abgehängt, ist ein Dinosaurier, viele Menschen ziehen lieber nach Köln und Düsseldorf. Ist das so?

Peter Heinze ist Beigeordneter für Stadtentwicklung, Bauen und Wirtschaftsförderung der Stadt Remscheid und seit 2022 Mitglied der FDP. In der Stadt regiert wie in Berlin die Ampel. "Auf jeden Fall geräuschloser", wie Heinze im Gespräch betont.
(Foto: Klaus Helmer)
Peter Heinze: Nein. Remscheid ist eine Industriestadt. Hier werden Produkte hergestellt, es gibt viele Automobilzulieferer und viel Metallindustrie. Remscheid ist die Werkzeugstadt. Wenn man durch die Unternehmen geht, sieht man Feuer und spürt die Hitze der Metallbearbeitung. Aber das sind nach wie vor alles gefragte Produkte, die auf dem Weltmarkt Anklang finden und gebraucht werden. Deshalb ist Remscheid eigentlich ein moderner Produktionsstandort.
Haben Sie deswegen kleine Schraubenzieher an die Besucher des Future Cleantech Festivals verteilt?
Ja. Das sind Qualitätsprodukte, die ewig halten. Dafür steht die Remscheider Werkzeugindustrie. Die müssen kontinuierlich weiterentwickelt werden und das passiert auch. In Remscheid sitzt etwa das Unternehmen Kirschen. Das stellt Feilen und Hobel für Zimmerleute her, inzwischen mit farbigen Holzgriffen aus alten Skateboards. Und wie wir beim Festival gelernt haben, werden damit auch Musikinstrumente gefertigt.
Die weltbesten Gitarren.
Genau. Es ist spannend zu sehen, wie die Unternehmen solche Entwicklungen aufgreifen und dauerhaft neue Kunden für ihre Produkte finden. Wir haben auch Spitzenunternehmen im Maschinenbau, wo das Arbeiten relativ sauber abläuft, aber diese Firmen stehen bei der Wahrnehmung nicht in der ersten Reihe. Remscheid ist besser als sein Image.
Wie erklären Sie sich, dass viele Remscheider ihre Stadt anders wahrnehmen?
Wir sehen natürlich eine Abkehr von der Produktion selbst. Die findet nicht mehr so stark in Deutschland statt, sondern insbesondere in China. Das ist für alles Mögliche die Werkstatt der Welt. In Remscheid halten sich Nischenprodukte oder Unternehmen, die den Schritt zu High-End-Lösungen geschafft haben, wie in der Automobilzulieferindustrie. Es gibt auch Unternehmen, die sich grundsätzlich wandeln. Vaillant etwa bietet mit der Wärmepumpe auf einmal ein anderes Produkt als früher an. Das gerät manchmal in Vergessenheit. Natürlich haben viele Betriebe eine dreckige Fertigung. Diese Themen muss man mit Erfindergeist und Ingenieurskunst angehen, um die Produkte weiterzuentwickeln und auch in Zukunft vor Ort herstellen zu können.
Wünschen Sie sich mehr Unterstützung von der Bundesregierung in Berlin?
Es gibt einen allgemeinen Trend, sich auf andere Dinge zu fokussieren. In den 90er Jahren war die Dienstleistungsgesellschaft das große Thema, jetzt geht es um Digitalisierung. Beides ist wichtig, die Produktion spielt aber auch eine große Rolle in der Wertschöpfung. Denn das Ergebnis kann man hinterher anfassen und hilft uns weiter. Es ist wertvoll, etwas handwerklich umzusetzen und damit haptisch agieren zu können. Wollen wir diesen Teil unserer Kultur erhalten? Diese Debatte muss man führen.
Sie möchten gerne Produktion in Deutschland halten?
Remscheid war die große Metallschmiede Deutschlands. Es ist sehr viel Produktion abgewandert, nur die Hochqualitäts- und wettbewerbsfähigen Firmen sind übrig geblieben. Die haben jetzt auch Probleme auf dem Markt: das Image und natürlich auch den schwierigen Wettbewerb. Den sollte man nicht verzerren, aber stärker würdigen, dass haptisches Agieren ein Wert an sich ist und versuchen, dass man davon weiter gut leben kann.
Aber wo wollen Sie denn mit Ihrer Wirtschaft hin? Wir sind auf einem Festival für saubere Technologien und gerade alte Industrien benötigen Erdgas, haben einen hohen Energieverbrauch und Emissionen.
Das Festival zeigt, dass die Wirtschaft das Thema dankbar aufgreift. Unheimlich viele Unternehmen aus Remscheid unterstützen es und bringen sich ein. Deswegen funktioniert es bei uns so erfolgreich, obwohl das Image ein anderes ist: Die Themen berühren uns. Unternehmen wie Dirostahl zeigen eine große Bereitschaft, mit weniger CO2 zu produzieren. Das ist aber in der Schwerindustrie, in der Metalle mit Gas stark erhitzt werden, ungleich schwerer als in anderen Branchen, weil alternative Technologien bisher nicht vorhanden, nicht ausgereift oder nicht wirtschaftlich sind. Dirostahl produziert übrigens große Teile für Windräder. Auch deren Herstellung ist energieintensiv.
Investieren die Unternehmen auch in Remscheid und neue Technologien?
Alle. Wir sind ja ein versteckter Erfinder-Standort, das war schon immer so. Die NRW Bank hat uns gerade noch einmal attestiert, dass die Unternehmen in Remscheid extrem viel in Forschung und Entwicklung investieren. In den letzten 15 Jahren wurden die Investitionen um zwei Drittel erhöht. Im Bergischen Städtedreieck stehen wir mit Solingen und Wuppertal inzwischen bei 900 Millionen Euro. Das ist vielleicht auch eine Eigenart dieses Standorts: Positive Sachen werden mit größter Zurückhaltung nicht nach außen kommuniziert.
Wäre es nicht sinnvoll, häufiger darüber zu reden? Denn gerade bei solchen Themen herrscht derzeit Trauerstimmung. Gerade wegen der Klimaschutzpolitik halten viele Menschen den Wirtschaftsstandort Deutschland schon für verloren.
Bei diesem Punkt schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Wenn wir beim Kulturwandel bleiben wollen, sind die Stichworte "Heizungsgesetz" und "Wärmewende". Die sind jetzt Realität. Ich muss erklären, warum in der Bauordnung steht, dass ein Objekt zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien geheizt werden muss. Diese Kostensteigerungen sind da. Das ist ein riesiger Veränderungsprozess, der erst einmal sehr restriktiv wirkt und die Bauindustrie genauso belastet wie die höheren Zinsen. Deswegen tun wir gut daran, über einzelne Standards noch einmal nachzudenken. Das gilt nicht nur für Umweltstandards. Nach der Brandkatastrophe am Düsseldorfer Flughafen wurden die Sicherheitsstandards in Wohngebäuden unglaublich erhöht. Es gibt jetzt überall zwei Rettungswege, dadurch sind die Kosten enorm gestiegen. Es wäre sinnvoll, wenn Bundespolitik und Landespolitik gucken, ob sie das Thema so lösen können, dass es für Bauindustrie und Bauherren händelbar wird.
Sie sind selbst FDP-Mitglied und regieren wie Berlin mit einer Ampel. Läuft die Umsetzung des Heizungsgesetzes in Remscheid geräuschloser ab oder erleben Sie dieselben Streitereien?
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Auf jeden Fall geräuschloser. Wir versuchen selbstverständlich, uns nicht öffentlich zu streiten und eigentlich passiert das auch nicht. Aber das ist im kommunalen Rahmen einfacher als in Berlin, denn die öffentliche Wahrnehmung ist nicht so stark. Jetzt sind wir eben verpflichtet, Wärmeplanung zu betreiben und versuchen, eine Lösung zu finden - das macht federführend übrigens eine Kollegin, die CDU-Mitglied ist. Speziell für die Wärmepumpe gilt: Wir haben mit Vaillant einen Produzenten in Remscheid vor Ort, deswegen bin ich natürlich dafür, sie möglichst oft zu verbauen (lacht).
Dann hat es Sie vermutlich geärgert, dass gerade die FDP bei der Wärmepumpe in Berlin eine starke Anti-Haltung gezeigt hat?
Wir müssen vor Ort Lösungen finden, um einen vernünftigen Energiemix in den Gebäuden zu etablieren. Ich halte es für sehr schade, dass wir bei der Förderung noch keine Antworten haben, dass Investoren und Eigentümer bei Wärmepumpen sofort zugreifen. Aber unabhängig von der Gesetzeslage ist einheitliches und gemeinsames Handeln zwischen Verwaltung und Stadtrat notwendig, um solche Projekte überhaupt zu realisieren. Das ist das Entscheidende. Man darf sich nicht auseinanderdividieren lassen. Das klingt vielleicht banal, aber damit wird in der Regel auch Zufriedenheit bei Bürgerinnen und Bürgern erzeugt.
Mit Peter Heinze sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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Quelle: ntv.de