Auch Gastronomie unter Druck Im Handel droht wegen Inflation Pleitewelle
02.06.2023, 18:30 Uhr Artikel anhören
Experte Funder sieht vor allem den mittelpreisigen Textilbereich, Schuh- und Accessoires-Händler, aber auch den Online-Handel unter Druck.
(Foto: picture alliance / Daniel Kubirski)
Die Kauflaune der Deutschen ist im Keller. Für einige Branchen wird diese Zurückhaltung in Kombination mit gestiegenen Beschaffungskosten zur existenziellen Gefahr.
Infolge der hohen Inflation droht im Einzelhandel eine Pleitewelle. Handelsexperte Jörg Funder sieht Unternehmen in Gefahr, die sich mit ihrem Angebot an die breite Masse richten, wie er im Gespräch mit ntv.de erläutert. "Denn das ist zwar der größte Markt, aber auch der am heißesten umkämpfte", sagt Funder, der das Institut für Internationales Handels- und Distributionsmanagement der Hochschule Worms leitet. Im mittelpreisigen Textilbereich sei bereits eine deutliche Zunahme von Betriebsschließungen zu beobachten.
Als aktuelles Beispiel nennt er die Insolvenz des Modehändlers Peek & Cloppenburg, der früher noch im hochpreisigen Segment unterwegs war. Das Problem der Händler: Die Deutschen halten sich angesichts der hohen Inflation beim Einkaufen zurück. "Unprofitable Anbieter scheiden dann aus", sagt Funder. Besonders zu kämpfen haben laut dem Experten Anbieter von Schuhen und Accessoires. "Das sind oft kleine mittelständische Unternehmen, die hören mittelfristig auf", berichtet der Branchenkenner. Wegen fehlender Ertragsaussichten würden sie nicht mehr an die nächste Generation übergeben. "Da steht uns noch etwas bevor."
Der Handelsverband Deutschland (HDE) befürchtet, dass in diesem Jahr insgesamt bis zu 9000 Geschäfte schließen müssen, wie ein Sprecher gegenüber ntv.de erläutert. Im vergangenen Jahr machten zwar rund 11.000 Läden dicht, laut dem Sprecher teilweise noch als Folge der Corona-Pandemie. Doch vor den aktuellen Krisen schlossen demnach mit durchschnittlich etwa 5000 deutlich weniger Geschäfte für immer ihre Türen.
"Große Konsolidierungswelle im Online-Handel"
Funder erwartet auch im digitalen Einzelhandel eine große Konsolidierungswelle. "Dort scheiden quer durch die Bank viele Unternehmen aus." Zur Konsumflaute kämen hier gestiegene Transport- und Energiekosten. Daneben rechnet der Professor in der Gastronomie mit vermehrten Betriebsschließungen. Gastronomen kämpfen nicht nur mit den eklatant gestiegenen Lebensmittelpreisen und höheren Energiekosten, sondern auch noch mit fehlenden Servicekräften.
Wegen des akuten Fachkräftemangels in der Branche müssten die Betriebe höhere Gehälter zahlen, was die Preise für die Kunden zusätzlich in die Höhe treibt, so Funder - ein Teufelskreis: Geben die Unternehmen die gestiegenen Eigenkosten nicht weiter, machten sie keinen Gewinn mehr. Doch wenn das Schnitzel plötzlich 30 statt 19 Euro kostet, gehen die Gäste noch seltener essen. Dabei fehlen ohnehin schon Kunden, weil diese weniger Geld ausgeben und seltener zum Einkaufen in die Innenstädte kommen, wo viele Restaurants sitzen. "In dieser Gemengelage steigen viele Gastronomen aus", sagt Funder. Die Branche ist ohnehin schon stark gebeutelt von der Corona-Krise.
Eine Strukturbereinigung sei allerdings nicht grundsätzlich schlecht, stellt der Experte klar. Manche Schließung sei schlicht der Tatsache geschuldet, dass ein Unternehmen nicht am Puls der Zeit agiere. "Das entscheidet der Kunde mit den Füßen", sagt Funder. "Die besten Angebote überleben und können sich dann auch neu ausrichten."
Von einer allgemeinen Insolvenzwelle über viele Branchen hinweg ist aktuell nicht auszugehen. Im langjährigen Vergleich ist die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland zurzeit niedrig. Der Kreditversicherer Allianz Trade prognostizierte im April: "Selbst Ende 2023 dürfte Deutschland das Niveau von vor der Pandemie noch nicht erreicht haben."
Quelle: ntv.de