Wirtschaft

Stadt ohne Mitspracherecht Zwingen Heizversorger Berlin "superteure" Gas-Alternative auf?

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Das Heizwerk Scharnhorststraße in Berlin-Mitte versorgt unter anderem das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, die Charité und Bürobauten der Deutschen Bahn mit Wärme - aus Erdgas.

Das Heizwerk Scharnhorststraße in Berlin-Mitte versorgt unter anderem das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, die Charité und Bürobauten der Deutschen Bahn mit Wärme - aus Erdgas.

(Foto: picture alliance/dpa)

Nicht nur Eigenheimbesitzer, auch große Städte müssen die Wärmewende angehen. Der Status quo für die meisten Berliner lautet: Fernwärme mit Erdgas, bereitgestellt von Vattenfall und der GASAG. Deren Plänen für die Zukunft sind simpel, sie wollen Erdgas vorwiegend durch grünen Wasserstoff ersetzen. Ökonomen schreien auf, denn "Wasserstoff wird ein superteurer Energieträger sein", sagt Franziska Holz vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Die Ökonomin hat den Wärmeplan für das DIW untersucht und warnt im "Klima-Labor" von ntv nicht nur vor den Kosten: Stand jetzt kann die Stadt Vattenfall und die GASAG nicht stoppen.

ntv.de: Wer plant eigentlich die Berliner Wärmewende?

Franziska Holz: "Planen" ist das falsche Wort. Es gibt zwar seit Ende letzten Jahres das Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung. Alle Kommunen, also Städte, müssen bis Mitte 2026 einen Wärmeplan erstellen, aber der hält eigentlich nur Leitplanken und Rahmenbedingungen für einzelne Bezirke oder Quartiere fest: Wo kann unter welchen Bedingungen Fernwärme genutzt werden? Dieses Dokument wird nicht vorschreiben: Diese Straße wird an Fernwärme angeschlossen, diese Leute müssen ihre Gasheizung abstellen.

Weiß man denn, wie in welcher Straße und in welchem Viertel geheizt wird?

Ungefähr, aber das sind keine Dokumente, die wir als Wissenschaftler einsehen können.

Das müssen die Wärmeversorger erst erstellen?

Die Wärmeversorger werden wissen, wer ans Fernwärmenetz angeschlossen ist. Für die kommunale Wärmeplanung ist in Berlin aber die Senatsverwaltung zuständig. Die muss sich mehr oder weniger detailliert einen Überblick verschaffen, woher die Wärme aktuell kommt und was in Zukunft möglich ist.

Der Senat klopft jetzt überall an die Tür und fragt, wie geheizt wird? Oder wie darf man sich das vorstellen?

Ich verstehe es so, dass der Senat aggregiert, also auf Quartiersniveau schauen wird, welche Wärmeträger vorhanden sind, welche Gasnetze und welche Wärmenetze. Das wird nicht auf Ebene der einzelnen Wohnungen passieren.

Und daraus kann man ableiten, was künftig wohin muss?

Das wäre nur die Bestandserhebung. Zusätzlich gibt das bundesdeutsche Recht vor, bis 2045 eine komplett emissionsfreie Energie- und Wärmenutzung zu erreichen. Daraus muss Berlin einen Pfad ableiten. Das ist ein komplexes Zusammenspiel, weil Senat und Stadt die Fernwärmeversorgung gar nicht organisieren. Ungefähr 45 Prozent der Berliner heizen mit Erdgas: Das Fernwärmenetz wird von Vattenfall Wärme betrieben, das Gas in der Regel von der GASAG geliefert. Das sind zwei private Anbieter.

Die müssen die Vorgaben umsetzen?

Ja. Wobei es noch keine konkreten Vorgaben gibt. Sie müssen einen Pfad suchen.

Aber Vattenfall und die GASAG sind gemeint, wenn der Berliner "Tagesspiegel" schreibt: "Klatsche für Berlins größte Wärmeversorger: Ökonomen halten Wasserstoffstrategie für gefährlich"?

Genau. Beide haben letztes Jahr Dokumente vorgelegt, wie sie sich diesen Pfad zur Klimaneutralität vorstellen und beide Gedankenspiele enthalten verhältnismäßig viel Wasserstoff. Bei der GASAG ist die Idee, dass ein relativ großer Teil des Gasnetzes auf Wasserstoff umgestellt wird. Vattenfall möchte, dass ein Teil der großen Strom- und Heizwerke, die Anlagen für Kraft-Wärme-Kopplung, auf Wasserstoff umgestellt werden. Die werden heute zum Teil noch mit Kohle, aber vor allen Dingen mit Gas betrieben.

Dieser Plan würde die Bundesvorgaben aber theoretisch erfüllen?

Insofern, als sie tatsächlich alle sagen: Spätestens ab 2045 werden keine fossilen Energieträger mehr verwendet. Aber aus Erdgas und Kohle will Berlin ohnehin bis 2030 raus.

Sie haben diesen Plan allerdings überprüft und festgestellt: Das klappt nicht.

So könnte man das sagen. Wir haben berechnet, wie man das Berliner Energiesystem und damit auch die Wärmeerzeugung optimal betreiben könnte. Wasserstoff spielt keine große Rolle, weil der ein superteurer Energieträger sein wird. Am besten schneiden Strom nutzende Anlagen ab. Vor allem Wärmepumpen, weil sie effizient verschiedene Formen von Umweltwärme nutzen können - mit Strom als Ergänzung. Auf diese Weise kann man kostengünstig Wärme erzeugen.

Auch in Hochhäusern mit 13 Geschossen?

Wärmepumpen gibt es in verschiedenen Größenordnungen: für das Einfamilienhaus, für ein Mehrfamilienhaus. Sie können aber auch ein ganzes Wärmewerk ersetzen. Das sind sogenannte Großwärmepumpen, die man etwa an der Spree als Flusswärmepumpen installieren könnte oder im Abwassernetz. Dort ist der Temperaturunterschied gerade im Winter so groß, dass man die Wärme von Abwasser über Wärmepumpen gut ins Wärmenetz einspeisen könnte.

Wie erklären denn Vattenfall und die GASAG ihren Plan? Wo soll der Wasserstoff herkommen? Es muss natürlich grüner Wasserstoff sein, der blaue Wasserstoff aus Erdgas nützt nichts …

Sie wollen keinen Wasserstoff selbst erzeugen, denn dafür benötigt man sehr viel erneuerbare Energien, für die in Berlin der Platz fehlt. An Windkraftanlagen und Solarparks müssten auch noch Elektrolyseure drangehängt werden. Das wird in großen Städten ein Problem. Deswegen sagen Vattenfall und die GASAG sehr dezidiert: Berlin muss an das bundesdeutsche Wasserstoffnetz angeschlossen werden.

Und dieses Wasserstoffnetz wäre ein neues Pipelinenetz, in das an einem anderen Ort hergestellter grüner Wasserstoff eingespeist und durch Röhren nach Berlin geschickt wird? Oder reicht das bestehende Netz, insofern man die Röhren umrüsten kann?

Wir haben zwei verschiedene Ebenen: Die erste ist der Hochdrucktransport über weite Strecken, zum Beispiel vom LNG-Hafen oder anderen Stellen, an denen wir momentan norwegisches Erdgas importieren. Wir haben das vor Kurzem noch einmal geprüft: Tatsächlich könnten wir einen Großteil des Pipelinenetzes für Wasserstoff verwenden, ohne es groß umrüsten zu müssen - je nachdem, woraus die Pipelines bestehen und wie alt die sind. Man muss nur damit leben, dass Wasserstoff den Stahl angreift und die Röhren durch diese Art von Korrosion nicht so lange genutzt werden können wie im Fall von Erdgas. Zwei, drei Jahrzehnte würde das aber funktionieren

Dann muss der Wasserstoff von der See kommen.

Genau. Die Norweger wollen uns auch gerne Wasserstoff verkaufen, es ist aber noch offen, ob der tatsächlich grün oder doch blau wäre. Es gibt auch Ideen, Wasserstoff verflüssigt per Schiff zu importieren, aber diese Schiffe gibt es noch gar nicht.

Australien, Chile und der Nahe Osten bieten das an. Alles nicht um die Ecke …

Namibia auch, die Anbieter sind nicht das Problem. Man müsste eher schauen, ob sich Verdichter bei diesen Importen im bestehenden Netz an den richtigen Stellen befinden, denn Pipelines werden immer in eine bestimmte Richtung betrieben: Gase fließen von der Stelle des höheren Drucks in Richtung des niedrigeren Drucks. Das ist aktuell schon ein Problem, weil wir kein Gas mehr aus Russland beziehen, sondern aus Norwegen und über die LNG-Terminals.

Dadurch hat sich die Fließrichtung verändert?

Deswegen werden gerade im deutschen Erdgasnetz Verdichter an neuen Stellen hingestellt. Das müsste bei Wasserstofflieferungen erneut bewerten werden, denn wir werden später nicht so viel Wasserstoff benötigen, wie wir heute Erdgas verwenden. Dementsprechend benötigen wir einen kleineren Teil des bestehenden Netzes. Das ist ja viele Zehntausende Kilometer lang.

Das klingt nicht nach Problemen, die man nicht lösen könnte.

Richtig. Die entscheidende Frage, bei der wir in Berlin sehr skeptisch sind, ist: Hätten wir überhaupt ausreichend Wasserstoff? Denn selbst wenn wir Wasserstoff importieren, ist unklar, ob die Mengen reichen, sobald mehrere Wärmeversorger in Deutschland statt Erdgas künftig ebenfalls Wasserstoff verwenden wollen.

Wird der Wasserstoff nicht auch an anderer Stelle eher benötigt?

Ja, in der Prozesswärme. Die Industrie muss sehr hohe Temperaturen erreichen, wie sie heute Kohle oder Gas liefern. Das werden stromgeführte Anlagen wahrscheinlich nicht schaffen.

Aber dieses Problem müssen Vattenfall und die GASAG doch bedacht haben.

Wir haben das Gefühl, dass man das Problem einfach nach hinten schieben möchte, bis sich bessere Lösungen ergeben oder in zehn Jahren geklärt ist, was mit dem Gasnetz der Stadt passiert. Es gibt in Berlin viele Gasnutzer und ein großes Verteilnetz. Wird daraus ein "Stranded Asset", das einfach nicht mehr genutzt wird, wie wir Ökonomen sagen? Denn das Kernmodell der GASAG ist trotz aller anderen Ideen der Gasverkauf. Offensichtlich gibt es keine andere Strategie. Man möchte einfach auf andere, sogenannte "erneuerbare Gase" wie Wasserstoff oder auch synthetisches Methan umsteigen. Damit werden die Leute aber nur hingehalten. Wenige stellen ihre Heizung um, obwohl die CO2-Preise auch im Wärmesektor steigen, das Heizen mit Erdgas bald also sehr teuer wird. Und wie gesagt: Es ist unklar, ob es in zehn Jahren überhaupt genug Wasserstoff gibt, um Wärme erzeugen zu können.

Hat die Stadt Berlin bei diesen Planungen denn kein Mitspracherecht? Die will doch genau aus diesem Grund das Fernwärmenetz von Vattenfall kaufen, oder?

Wenn der Kauf wie geplant vollzogen wird, ja. Im Moment hat der Berliner Senat ein kleines Mitspracherecht, weil er bei der GASAG ein ganz kleiner Anteilseigner ist. Ansonsten sind Vattenfall und die GASAG privatwirtschaftliche Unternehmen.

Und die dürfen ganz allein entscheiden, was mit der Berliner Wärmeversorgung passiert?

Solange sie versprechen, dass sie bis 2045 emissionsfrei ist, ja. Das ist das Problem von Technologieoffenheit: Man sieht sehr viele nicht optimale Energieträger wie Wasserstoff in den einzelnen Plänen, auch wenn man fairerweise sagen muss, dass Vattenfall für seine Fernwärmeerzeugung einen Mix an Erzeugungstechnologien vorsieht - nur halt mit einem relativ großen Wasserstoffanteil von bis zu 35 Prozent.

Mehr zum Thema

Haben Sie denn mal eine Rückmeldung vom Senat oder anderen Bereichen der Berliner Politik zu Ihrer Untersuchung erhalten?

Man hat uns gesagt: Ihr habt ja recht, wir müssen da noch mal ran. Man kann also relativ optimistisch sein, dass andere und strengere Pläne durchgesetzt werden, wenn es zum Kauf des Fernwärmenetzes kommen sollte.

Mit Franziska Holz sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.

Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?

Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed

Sie haben Fragen an uns? Schreiben Sie eine E-Mail an klimalabor@ntv.de.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen