Unverständnis über Bahn-Streik Nach "Denkfehler" wächst der Druck auf Weselsky
06.03.2024, 17:40 Uhr Artikel anhören
Soll zu den Spielregeln einer geregelten Tarifauseinandersetzung zurückkehren: GDL-Chef Weselsky muss sich inzwischen sogar von der SPD harte Vorwürfe anhören.
(Foto: picture alliance/dpa)
Eigentlich wollte der GDL-Chef am Nachmittag auf einer Kundgebung sprechen. Doch nachdem Weselsky einen Denkfehler einräumen musste, hagelt es von allen Seiten Vorwürfe, dass der Streik trotzdem stattfinden soll. Weselsky geht in Deckung und schickt seinen Vize vor.
Der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, hat mit der falschen Darstellung eines Zwischenstands bei den Bahn-Tarifverhandlungen Unverständnis ausgelöst. Der Präsident des Bundesverbands Schienennahverkehr, Thomas Prechtl, äußerte zwar Verständnis, dass es nach zahlreichen Runden zu Fehlinterpretationen kommen könne. Es dürfe aber nicht passieren, "dass Millionen Fahrgäste ab Donnerstag wegen eines solchen Denkfehlers erneut nicht zur Arbeit kommen können, weil streikbedingt keine Züge fahren".
Hintergrund sind Schilderungen Weselskys über einen Kompromissvorschlag, den der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther als Moderatoren bei den wochenlangen Verhandlungen zwischen den beiden Tarifparteien unterbreitet hatten. Dieser sah eine Senkung der Wochenarbeitszeit in zwei Schritten auf 36 Stunden bis 2028 bei vollem Lohnausgleich vor. Die Bahn hatte den Vorschlag angenommen. Die GDL lehnte jedoch ab. Die Gespräche scheiterten deshalb vergangene Woche, und die Gewerkschaft rief zum nächsten Streik auf.
Weselsky stellte den Vorschlag der Vermittler bei einer Pressekonferenz am Montag anders dar: Diese hätten eine Absenkung auf lediglich 37 Stunden bei vollem Lohnausgleich ins Spiel gebracht. Eine weitere halbe Stunde Reduzierung wäre lediglich optional und mit finanziellen Einbußen für die Beschäftigten verbunden gewesen. Im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" räumte Weselsky am Dienstag ein, ihm sei bei dieser falschen Darstellung ein "Denkfehler" unterlaufen. Das ändere aber nichts an seiner Haltung, fügte er hinzu.
Stellvertreter verteidigt harten Kurs
"Umso unverständlicher ist es für uns, dass man auf Maximalforderungen beharrt, sich um keinen Millimeter bewegt, aufsteht und die Verhandlungen verlässt", sagte ein Bahnsprecher in Berlin mit Blick auf die Ablehnung der GDL. "Wir waren bereit, auch über unsere eigene Schmerzgrenze hinüberzugehen und diesen Vorschlag anzunehmen." Die GDL will in dem Tarifstreit unter anderem eine Senkung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden für Schichtarbeiter bei vollem Lohnausgleich durchsetzen - also eine Reduzierung von drei Stunden anstatt der von den Moderatoren vorgeschlagenen zwei Stunden.
Einen geplanten Auftritt vor GDL-Mitgliedern in Wuppertal am Nachmittag sagte Weselsky ab. Stattdessen verteidigte sein Stellvertreter, Mario Reiß, die Forderungen der Gewerkschaft. "Es ist falsch, wenn da draußen jemand tönt, dass wir dem Arbeitgeber nicht entgegenkommen", sagte Reiß. Die GDL-Verhandler seien etwa bereit gewesen, bei den Entgeltforderungen von 555 Euro mehr pro Monat auf 420 Euro pro Monat herunterzugehen. In dieser Höhe habe die GDL auch schon Abschlüsse mit 28 anderen Eisenbahnunternehmen erzielt. Dort sei auch die 35-Stunden-Woche verankert.
Allerdings stehen diese Tarifverträge unter dem Vorbehalt des Abschlusses bei der Deutschen Bahn. Sollte die GDL die dreistündige Arbeitszeitabsenkung dort nicht durchsetzen, werden die bereits geschlossenen Verträge bei den Wettbewerbern noch einmal angepasst. Weselsky selbst sprach Anfang der Woche von einem Junktim. Außer der Lokführergewerkschaft hat für diese Woche auch die Gewerkschaft Verdi zu Warnstreiks bei der Lufthansa aufgerufen. Mit neuerlichen Arbeitskämpfen gleich mehrerer Berufsgruppen legt Verdi an diesem Donnerstag wichtige Teile des deutschen Luftverkehrs lahm. Passagiere müssen sich auf hunderte Flugausfälle und Verspätungen einrichten.
Zweifel auch aus der SPD
Der Präsident des IFO-Instituts, Clemens Fuest, warnte vor einem Machtmissbrauch der Gewerkschaften. "Wir können diesen Streik natürlich überhaupt nicht gebrauchen, weil er die Lage verschlimmert", sagte Fuest dem Fernsehsender "Welt TV". "Das Streikrecht ist wichtig, aber es darf nicht missbraucht werden. Meines Erachtens wird es hier tatsächlich problematisch eingesetzt."
Deutliche Kritik an Weselsky kam auch von den Sozialdemokraten: SPD-Fraktionsvize Detlef Müller sagte dem "Tagesspiegel", es liege ein einigungsbereiter Vorschlag auf dem Tisch. "In Tarifverhandlungen kann keine Partei 100 Prozent ihrer Forderungen erreichen." Er fügte hinzu: "Es geht um einen Kompromiss." Mit ihrem harten Kurs schade die GDL sich selbst, meinte Müller. "Es nützt nichts, wenn die GDL Weselskys Linie unterstützt, aber die Bevölkerung diese ablehnt." Der SPD-Fraktionsvize empfahl der Lokführergewerkschaft, zu den Spielregeln einer geregelten Tarifauseinandersetzung zurückzukehren.
Für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch warb auch der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, Udo Schiefner. "Mein Appell ist ganz einfach: Das Streikrecht ist das eine, Verantwortungsbewusstsein ist das andere", sagte der SPD-Politiker der "Bild"-Zeitung.
Quelle: ntv.de, mau/dpa