Ist das der "Wendepunkt"? Ölmultis investieren wieder in Großprojekte
08.07.2016, 19:52 Uhr
Ein Arbeiter von KazMunaiGas bei Wartungsarbeiten auf einem Ölfeld im Süden Kasachstans.
(Foto: REUTERS)
Trotz Niedrigpreisen am Rohstoffmarkt wagen die Ölgiganten Chevron und Exxon Mobile erstmals wieder ein Mega-Projekt: Die Zeit für Investitionen sei "ausgezeichnet", heißt es. Tatsächlich?
Die Ölbranche scheint die Lähmung, die sie nach dem Preiskollaps 2014 befallen hat, abzuschütteln. Trotz erlittener Milliardenverluste und anhaltend niedriger Ölpreise wollen die Ölgiganten Chevron und Exxon Mobil in Kasachstan Milliarden investieren, schreibt das "Wall Street Journal". Zuvor haben dem Blatt zufolge bereits die Energieriesen BP und Eni neue Energie-Projekte in Ägypten und Indonesien auf den Weg gebracht.
Chevron, Exxon Mobile und ihre Partner KazMunaiGas und Lukoil wollen das Ölfeld Tengiz im Westen Kasachstans für 37 Milliarden US-Dollar ausbauen. Laut Branchenexperten handelt es sich um die größte Investition, seitdem die Ölpreise vor zwei Jahren zu kollabieren begannen. Die Betreiber hatten zuvor dieselbe Summe in die Ausbeutung des Ölfelds gesteckt, weitere Investitionen jedoch wegen des Preisverfalls im vergangenen Jahr auf Eis gelegt.
Wieso jetzt?
Jetzt sei eine "ausgezeichneten Zeitpunkt", um Milliarden in dieses Megaprojekt zu stecken, zitiert das "Wall Street Journal" Chevron-Explorationsmanager Todd Levy. Die Branche wertet die Entscheidung als Signal wachsenden Vertrauens in die Stabilisierung der Weltwirtschaft und als Zeichen für eine mögliche Erholung der Ölpreise. Trotzdem kommt der plötzliche Enthusiasmus auch ein wenig überraschend.
Die Ölpreise verharren immer noch knapp unter der Marke von 50 Dollar pro Fass. Auch wenn das Tief vom Jahresanfang überwunden ist: Für die meisten Öl-Produzenten lohnt die Ölförderung auf diesem Niveau noch nicht. Experten warnen zudem vor der Konkurrenz, die ebenfalls in den Startlöchern stehe und den Ölpreis mit einer zusätzlichen Rohstoffschwemme schnell wieder unter Druck setzen könnte. Bei Preisen um 50 Dollar je Barrel lohnt sich auch für viele US-Fracking-Firmen die Ölförderung wieder. Ein Preisknick in dieser Woche um fünf Prozent nach unten wurde beispielsweise damit begründet, dass die Fracking-Industrie die Pumpen wieder anschmeiße.
Das Projekt in Kasachstan ist zudem sehr ambitioniert: Es ist eines der größten Ölfelder weltweit. Die Fördermenge soll von rund 800.000 Barrel Öläquivalent pro Tag auf bis zu eine Million steigen. Chevron hat mit solchen Großprojekten bereits mehrfach schief gelegen, zuletzt machte die Finanzkrise einen Strich durch die Rechnung für solche Großprojekte. Allerdings soll aus dem Feld in Kasachstan erst 2022 Öl sprudeln. Bis dahin kann noch viel passieren - zum Beispiel der Ölpreis weiter steigen.
Die Konkurrenz schläft nicht
Ein Grund für dieses Investment könnte gerade die Konkurrenz sein. Nicht nur die Fracking-Unternehmen sind am Start, auch der Iran hat sich auf den Markt zurückgekämpft. Trotz Ölschwemme hat er nach dem Wegfall der Sanktionen Abnehmer für seine zusätzlichen Öl-Barrels gefunden. Nach eigenen Angaben ist das Ziel, das Exportniveau aus der Zeit vor den westlichen Sanktionen zu erreichen, fast geschafft. Außerdem hat antizyklisches Investieren Vorteile: Das Öl ist billig, aber auch die Ausrüstung und selbst die Arbeiter sind günstig zu haben; günstiger als vor zwei Jahren. Geld für Investitionen, sprich Fremdkapital, gibt es zudem so günstig wie nie.
Außerdem gibt es Anzeichen, dass die Weltkonjunktur anspringen und nach dem Schmierstoff für Wachstum verlangen könnte. Die Wachstumslokomotive der Welt China kommt nach einem schwachen Jahresstart wieder in Fahrt. Ein von Bloomberg entwickelter Indikator, der auf Daten vom Mai aus der Industrie und vom Einzelhandel basiert, deutet auf ein Wachstum für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt von 6,9 Prozent in diesem Jahr hin. Auch der Autoabsatz, der sich durch Steuererleichterungen deutlich beschleunigt hat, spricht für Expansion. Im ersten Halbjahr wurden auf dem größten Automarkt der Welt 10,8 Millionen Fahrzeuge verkauft – ein Plus von 9,5 Prozent.
Hinzu kommt, dass sich eine neue Lokomotive in Bewegung setzt: Die indische Wirtschaft beschleunigt ihr Wachstum. Mit fast 1,3 Milliarden Einwohnern könnte der Subkontinent für die Weltwirtschaft die gleiche beflügelnde Kraft aufbringen wie China in den letzten zehn Jahren, prognostizieren Ökonomen. Im vergangenen Fiskaljahr wuchs die Wirtschaft um 7,9 Prozent.
Tengiz als Hoffnungsträger
Es sei ein "Wendepunkt" am Ölmarkt, zitiert das "Wall Street Journal" Ölanalyst Jason Gammel von der Investmentbank Jefferies. Es sei die erste Investition der Branche in Höhe von mehr als zehn Milliarden Dollar in diesem Jahr. Laut Angaben der norwegischen Beratungsfirma Rystad Energy wurden seit 2014 bis März diesen Jahres Projekte im Volumen von 270 Milliarden Dollar abgesagt oder aufgeschoben. Die Ölpreise waren von rund 115 Dollar je Barrel Mitte 2014 auf ein Tief von 27 Dollar im Januar abgestürzt. Nicht nicht nur die kleinen Produzenten, auch die Ölmultis mussten in den Sparmodus schalten, Zehntausende Jobs fielen der Ölpreisflaute zum Opfer.
Tengiz wird somit zum Hoffnungsträger. Analysten schätzen, dass es Chevron seit 1993 bereits mehr als 70 Milliarden Dollar Umsatz und 40 Milliarden Dollar Gewinne gebracht hat. Tengiz steht für eines der wenigen verbliebenen Ölfelder, wo der Rohstoff noch billig zu erschließen ist. Im laufenden Abschnitt von Tengiz liegen die Produktionskosten bei 6,50 je Fass. Es ist es also nicht nur ein "ausgezeichneter Zeitpunkt", sondern auch ein ausgezeichneter Standort.
Quelle: ntv.de