Kommt der Abwertungs-Hammer? Pfund droht größter Absturz aller Zeiten
07.07.2016, 20:02 Uhr
Dem britischen Pfund könnte noch eine zweite Abwertungswelle blühen. Aber diese Augen lassen sich nichts anmerken.
(Foto: REUTERS)
London muss schnell einen Plan für ein Freihandelsabkommen präsentieren, sagt Allianz-Ökonom El-Erian. Sonst drohe ein Absturz des britischen Pfunds in nie dagewesene Tiefen. Dieser könnte den Briten richtig weh tun.
Lang, lang ist's her: Anfang der 70er Jahre war ein britisches Pfund sage und schreibe 8,50 D-Mark wert, umgerechnet 4,35 Euro. Seitdem hat die Währung kontinuierlich an Wert verloren. Vor dem Votum für einen EU-Austritt bekam man noch rund 1,30 Euro für ein Pfund, auf dem Tiefpunkt nach der Abstimmung waren es kurzzeitig weniger als 1,17 Euro.
Der Schock vor allem bei den Briten sitzt tief. Auch wenn sich das Pfund mittlerweile etwas erholt hat, gebannt ist die Gefahr einer weiteren Abwertung nicht. Liefert London nicht schnell Vorschläge, wie es weitergehen soll, besteht laut Mohamed El-Erian die Gefahr einer zweiten heftigen Abwertungswelle. "Stellen Sie sich das Pfund Sterling vor, das auf einen doppelten Hammerschlag wartet, ohne einen starken Rettungsanker zu haben", sagt der Finanzmarktberater des größten europäischen Versicherungskonzerns Allianz im Interview mit Reuters.
Je länger die politische Unsicherheit anhalte, desto höher das Risiko einer Rezession, erklärt der ehemalige Pimco-Vorstand. Im schlimmsten Fall könnte das britische Pfund bis zur Parität mit dem US-Dollar abstürzen. El-Erian appelliert dringend an die britischen Politiker, Entscheidungen zu treffen. London müsse schnell einen vertrauenwürdigen Plan B mit einer Freihandelsoption vorlegen.
Briten leben über ihre Verhältnisse
Die Unsicherheit in Großbritannien werde vorerst hoch bleiben, prognostiziert Christian Apelt, Währungsexperte bei der Landesbank Hessen-Thüringen: "Die Konjunktur wird sich vermutlich spürbar verlangsamen und die Geldpolitik expansiver werden." In einem solchen Umfeld werde wohl auch das Pfund weiter nachgeben.
Der Währungsverfall wird das Insel-Königreich ins Mark treffen. Großbritannien hatte im ersten Quartal mit sechs Prozent das höchste Leistungsbilanzdefizit aller westlichen Industrieländer. Den letzten Überschuss gab es 1982. Dass die Briten seit über 30 Jahren mehr importieren, als sie exportieren, bedeutet nichts anderes, als dass sie jahrzehntelang über ihre Verhältnisse gelebt haben.
Möglich war das nur, weil massiv ausländisches Kapital ins Land floss. London mauserte sich genau in diesen Jahren zum zweitgrößten Finanzzentrum der Welt neben New York. Die britische Wirtschaft hängt am Tropf der Finanz- und Immobilienbranche. Wird immer mehr Kapital abgezogen, entzieht das der britischen Wirtschaft ihre Grundlage.
Die Brexiters zahlen die Zeche
Die Briten werden ihre Gürtel enger schnallen müssen. Nicht nur Reisen ins Ausland werden teurer. Auch an der heimischen Supermarktkasse werden die Menschen auf der Insel die Zeche zahlen. Bei einem Währungsverfall werden alle importierten Waren teurer.
Die deutsche Exportwirtschaft stellt sich bereits auf magere Zeiten ein. Nur zwei Wochen nach dem Brexit-Votum senkte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) seine Prognose für die Ausfuhren nach Großbritannien. Für dieses Jahr rechnet er mit einem Prozent weniger, nachdem er bislang von Plus fünf Prozent ausgegangen war. Für 2017 erwartet der DIHK sogar einen Rückgang von fünf Prozent. Zur Begründung verweist der Verband auf die kräftige Abwertung des Pfunds und die konjunkturelle Schwächung der Wirtschaft im Vereinigten Königreich gerade bei Investitionen.
Umgekehrt hat Großbritannien leider nicht viel, was es mit dem billigen Pfund günstig feilbieten könnte. Die besten Tage der Industrialisierung hat die Nation schon lange hinter sich. Der Export fällt als Stütze der Wirtschaft weg. Hinzu kommt, dass nicht nur Geldwerte und Handel schrumpfen. Alle Vermögen leiden unter dem Verfall der Währung.
Wer zum Beispiel eine Eigentumswohnung in Großbritannien besitzt, muss damit rechnen, dass diese ein Fünftel ihres Wertes einbüßt, schätzen Immobilienexperten. Auch das Sozialsystem ächzt unter dem Kursverfall. Finanzminister George Osborne hat bereits durchblicken lassen, dass die Leistungen gekürzt werden müssen. Das trifft besonders die unteren Schichten - also genau die, die für den Brexit gestimmt haben.
Alle sollen bleiben, wo sie sind
London steckt in der Bredouille. Die Regierung denkt bereits über eine Senkung der Unternehmenssteuer nach, um die Abwanderung der Wirtschaft zu verhindern. Die Bank of England regierte ebenfalls und versprach die Banken im Notfall zu stützen. Um einem Engpass vorzubeugen, setzte die Zentralbank die Einführung einer wichtigen Kreditregel für britische Banken aus. Diese Maßnahmen werden alleine aber nicht ausreichen. Das Wohl und Wehe der Briten hängt an ihrem weiteren Verhandlungsgeschick.
Trösten können sie sich derzeit nur damit, dass der Brexit-Crash langfristig betrachtet nicht der Dramatischste ist. Seinen Tiefpunkt hatte das Pfund im Februar 1985 bei der Auflösung des Empires. Damals kostete ein Pfund 1,0438 Dollar. Am "Schwarzen Freitag" 1992, als das Pfund aus dem Europäischen Währungssystem flog, büßte die heimische Währung schlagartig 30 Prozent ein, Ende 2008 in der Finanzkrise waren es 25 Prozent. Von solchen Szenarien ist man im Moment zumindest noch entfernt.
Quelle: ntv.de