Wirtschaft

Elektrifizierung am Limit Schleppender Netzausbau bremst die Energiewende

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Die Stromnetze müssen für eine klimaneutrale Zukunft massiv umgebaut werden.

Die Stromnetze müssen für eine klimaneutrale Zukunft massiv umgebaut werden.

(Foto: picture alliance / greatif)

Das Mantra der deutschen Klimaziele wird immer öfter wiederholt: Bis 2030 sollen 80 Prozent des Energiebedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Der Ausbau geht nur schleppend voran. Doch das viel größere Problem liegt woanders: bei den Stromnetzen.

Eine Wallbox an jeder Garagenwand. Photovoltaikanlagen auf jedem Dach des Landes. Wärmepumpen, elektrifizierte Industrie, batteriebetriebene Lkw: Das alles sind Bausteine der Energiewende. Aber Deutschland kann noch so viele Windparks bauen, um grünen Strom anzubieten, es würde nichts bringen. Denn Fakt ist: Die deutschen Stromnetze sind nicht auf die Energiewende vorbereitet. "Würden jetzt die für 2030 geplante Zahl an Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen angeschlossen, würde das die Netze heute in die Knie zwingen", schreiben Forscher vom Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI.

Der Verband hat eine Studie bei PWC in Auftrag gegeben, um den Zustand der deutschen Stromnetze zu untersuchen. Demnach wird der Investitionsbedarf zur Beseitigung der Leistungslücken auf 100 Milliarden Euro bis 2030 geschätzt. Eine hohe Summe, die innerhalb von sieben Jahren aufgebracht werden müsste. Doch es muss auch eine Menge angepasst werden. Seitdem der Strom in Deutschland nicht mehr nur aus zentralen Gas- und Kohlekraftwerken gespeist wird, muss das Stromnetz angepasst werden. "Die Erzeugungsstruktur ändert sich gerade grundlegend", sagt Sandra Maeding vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).

Stromnetz muss flexibler werden

In der Vergangenheit transportierten die Übertragungsnetze - also die großen Stromautobahnen - den Strom von den Kraftwerken in die Ballungszentren. Dort brachten dann die Verteilernetze den Strom zum Endverbraucher. "Heute ist die Stromerzeugung viel dezentraler", erklärt Maeding. Der Strom aus den Windparks in der Nordsee muss ebenso eingespeist werden wie der aus den Solaranlagen neben der Autobahn und auf jedem abgelegenen Dach. Die Bedeutung der kleineren Verteilungsnetze hat also stark zugenommen.

Jedes Mal, wenn jemand auch nur eine PV-Anlage auf seinem Balkon aufhängen will, bedeutet das eine Veränderung für das Stromnetz. "In der Vergangenheit wurden die Verteilnetze erweitert, wenn z. B. ein Neubaugebiet gebaut wurde", erklärt Simon Koopmann, CEO und Mitbegründer von envelio, einem Unternehmen, das die Transformation der Stromnetze vorantreiben will. "Aber heute geht es um eine ganz andere Dynamik, mit vielen neuen Netzanschlüssen durch PV-Anlagen, Wallboxen und Wärmepumpen, die integriert werden müssen."

Kurzum: Das Stromnetz muss für eine klimaneutrale Zukunft deutlich umgebaut werden. Die ZVEI-Studie geht davon aus, dass 39 "Funktionalitäten" im Stromnetz implementiert werden müssen, um für die Energiewende gerüstet zu sein. Dazu gehört die Installation bestimmter Sensoren oder Kommunikationswege, damit der Zustand der Netze überhaupt erfasst werden kann. Die Stromnetze müssen aber auch so umgerüstet werden, dass ein bidirektionales Laden und Speichern möglich ist - damit zum Beispiel auch Elektroautos als flexible Stromspeicher genutzt werden können.

Mindestens so wichtig: Digitalisierung

Der Ausbaubedarf ist also enorm. Allerdings ist zuvor eine Bestandsaufnahme essenziell, schreiben die ZVEI-Studienautoren im Vorwort. "Politik und Netzbetreiber sollten sich nicht allein auf den Trassenausbau konzentrieren, sondern, mindestens so wichtig, auf die Digitalisierung", sagt ZVEI-Chef Wolfgang Weber in einem Interview mit der FAZ.

Denn ohne fortgeschrittene Digitalisierung ist ein Ausbau für die Energiewende nur schwer durchsetzbar. Die Bundesregierung plant, das Stromnetz bis 2030 zu digitalisieren. Auch Smart Meter, die den Verbrauch an den Endgeräten in Echtzeit messen und an die Betreiber übertragen können, sollen schrittweise eingeführt werden. Doch um das Ziel der Bundesregierung zu erreichen, bis 2030 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien zu decken, müsste es deutlich schneller gehen.

Schon jetzt stoßen die Betreiber an ihre Grenzen: Die schleppende Digitalisierung bei den Netzbetreibern kann dazu führen, dass Anträge für neue PV-Anlagen oft erst Monate später genehmigt werden. Koopmann will das ändern: Mit envelio bietet er eine Software an, die Netzbetreibern hilft, ihre Netze zu digitalisieren und Prozesse zu automatisieren. "Zunächst bauen wir einen digitalen Zwilling des Netzes", erklärt Koopmann.

Mit dem digitalen Netzmodell setzen Koopmann und sein Team dann die Netzausbauplanung so effizient wie möglich um. Es kommen jeden Tag so viele PV-Anlagen, Wärmepumpen und Wallboxen hinzu, dass Betreiber gar nicht überall gleichzeitig ausbauen können. "Unsere Software analysiert, wo der Netzausbau wirklich nötig ist und wo wir vielleicht doch den Ausbau aufschieben oder vermeiden können, weil eine intelligente Steuerung möglich ist", erklärt Koopmann.

"Digitalisierung ist längst angekommen"

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Die Tatsache, dass ein Netz erweitert oder ausgebaut werden muss, ist natürlich nichts Neues. Die Netzplanung folge auch klaren Prozessen, erklärt Maeding. "Vor der Digitalisierung haben die Betreiber ihre Netze vielleicht noch per Hand berechnet", sagt sie. "Aber natürlich ist die immer weiter fortschreitende Digitalisierung längst in der Branche angekommen." So sieht sie das Problem des langsamen Ausbaus nicht darin, dass die Netzbetreiber nicht wollen. "Es wurde schon viel geleistet und die Herausforderungen sind epochal", erklärt Maeding. So seien die Netzanschlussbegehren in der Masse massiv angestiegen, es sei Netzausbau in nie da gewesenem Umfang erforderlich und dies gehe oft einher mit langen Genehmigungsverfahren. Dazu leide auch die Netzbranche unter einem Fachkräftemangel.

Um das besagte Ziel der Bundesregierung bis 2030 zu erreichen, muss der Netzausbau nun zügig voranschreiten. "Es muss mehr parallel passieren, wir sind nur ein Puzzlestück", sagt Koopmann. "Aber ich bin überzeugt: Wenn wir die bereits vorhandenen Lösungen zügig in die breite Anwendung bringen, können wir unsere Ziele erreichen und unsere Infrastruktur für eine umfassende Energiewende wappnen." Er plädiert auch dafür, schnell loszulegen und nicht ewig über Eventualitäten zu grübeln. Auch Maeding sagt, dass der Netzausbau jetzt vorangetrieben werden muss, "denn ohne die Netze lassen sich die erneuerbaren Energien gar nicht integrieren".

Quelle: ntv.de

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