Viel gefeilscht, nichts erreicht Syriza muss in der Realität ankommen
06.05.2015, 15:38 Uhr
Das Duo Yanis Varoufakis und Alexis Tsipras spielen "bad guy" und "good guy" mit den europäischen Politikern.
(Foto: REUTERS)
Große Töne hat das Duo Tsipras und Varoufakis bei seinem Amtsantritt in Athen gespuckt. 100 Tage später sind die Linkspopulisten kleinlaut. Aber den Ernst der Lage begreifen sie immer noch nicht. Noch mal 100 Tage haben sie nicht.
Die Bilanz der griechischen Links-Rechts-Regierung unter Alexis Tsipras ist erschütternd - für die Europartner ebenso wie für die Griechen. Vor drei Monaten versprach die linkspopulistische Syriza-Partei den Wählern den Himmel auf Erden. Wirklichkeit wurde davon in 100 Tagen Amtszeit nichts. Die griechische Krise ist schlimmer als zuvor und die Regierung kleinlaut.
Die Linken waren angetreten, das schuldengeplagte und durch harte Sparauflagen gebeutelte Land vom Kopf auf die Füße stellen. Ihr Wahlsieg am 25. Januar war ein Paukenschlag, die Erwartungen der Griechen hoch. Die Skepsis der europäischen Partner und Geldgeber waren mindestens genauso groß.
Der Syriza-Chef vergeudete keine Zeit. Er wurde als Ministerpräsident vereidigt, nur einen Tag danach stand seine Regierung. Die Rolle des notwendigen Koalitionärs übernahmen die Rechtspopulisten der Partei der Unabhängigen Griechen. Ihr gemeinsamer Plan: Sie wollten die Griechen vom "Joch" der Troika befreien, Wachstum bringen und Arbeitslosigkeit bekämpfen.
Statt danach zielstrebig mit den Gläubigern zu verhandeln, begann allerdings das große Feilschen. Selbst die hartgesottensten Verhandlungspartner staunten - und staunen immer noch - angesichts der griechischen Penetranz. Das Duo Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis hat sich in den zurückliegenden drei Monaten regelmäßig damit übertroffen, alle vor den Kopf zu stoßen. Fakt ist: Beide haben ihre Möglichkeiten maßlos überschätzt.
Griechische Listen - die neue Lachnummer
Tsipras hat einmal behauptet, Griechenland brauche keine neuen Kredite mehr. Er wollte die Geldgeber überreden, weiter zu zahlen, bis er eigene Reformschritte umsetzen würde. Mit diesem Vorschlag konnte er jedoch nicht landen. Die Geldgeber stellten klar, dass es nur noch im Gegenzug mit Reformen Geld geben würde. Seitdem legt Athen immer wieder neue Listen mit Maßnahmen vor, die von den Geldgebern genauso häufig als mangelhaft abgelehnt werden. Griechische Listen sind die neue Lachnummer Europas.
Alexis Tsipras hat geglaubt, er könne "durch plumpe Drohgebärden Europa zwingen, ihm seine unbezahlbaren Wahlversprechen zu finanzieren. Das war infantil", sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank. So konnte das nichts werden. Gläubiger und Schuldner drehten sich bei ihren Verhandlungen im Kreis. Gleichzeitig rückte die Lösung des griechischen Finanzproblems in immer weitere Ferne. "Der Kreis verwandelt sich zunehmend in eine Schlinge, die um den Hals des Landes immer enger wird", sagt ein Diplomat in Athen.
100 Tage nach Amtsantritt sind die Kassen noch leerer. Unternehmer wollen nicht mehr investieren, Tausende Geschäfte haben bereits geschlossen. Das Gesundheitswesen ist praktisch zusammengebrochen. Die Arbeitslosigkeit ist schwindelerregend hoch. Und die Aussichten sind düster. "Die vereinten Populisten haben über 50 Milliarden Euro an Kapital aus dem Lande getrieben und die Wirtschaft nach dem vielversprechenden Aufschwung des Jahres 2014 in eine neue Rezession gestürzt", sagt Schmieding. Von den vollmundigen Versprechungen ist nichts übrig geblieben.
Varoufakis' "produktive Undeutlichkeit" floppt
Eine zentrale Rolle bei den Verhandlungen spielt Tsipras' "Pop-Star-Finanzminister" Yanis Varoufakis. Das Motto seiner Politik ist die "produktive Undeutlichkeit", wie er es nennt. Im Grunde ist es nichts anderes, als das Fehlen einer klaren Vorstellung von dem, was er genau will und wie er es umsetzen will. Er spielt und improvisiert auf hohem Niveau. Für ihn ist es ein Finanz-Pokerspiel, bei dem beide Spieler - Athen und die Geldgeber - bluffen. Wer die stärkeren Nerven hat, gewinnt.
Gebracht hat dieses ganze Theater nur eins: Dieses "Nervenspiel" ging der Eurogruppe gehörig auf die Nerven. "Um das Land und um die Verhandlungen mit den Kreditgebern wäre es besser bestellt, wenn er öfter mal einfach geschwiegen hätte, statt die Gläubiger seines Landes belehren oder sogar beleidigen zu wollen", sagt der Schmieding. Zum Sündenbock eignet sich der Finanzminister mit dem lässigen Look, dem Charme und dem diabolischen Lächeln jedoch nicht - die unmöglichen Wahlversprechen "gehen auf das Konto des charismatischen wie unerfahrenen Premierministers", so der Volkswirt weiter.
Tsipras großspurige Pläne floppten genauso fulminant wie die von Vouroufakis. Er glaubte, ein Bündnis der Südländer gegen das aus Brüssel diktierte Sparprogramm schmieden zu können. Portugal und Spanien wollten davon jedoch nichts wissen. Italiens Regierungschef Matteo Renzi empfing Tsipras zwar freundlich, klopfte ihm aber auf die Schulter und riet ihm, sich an die Regeln zu halten.
Syriza - ein kunterbuntes Sammelsurium
Kommentatoren in Athen spekulieren inzwischen darüber, wo eigentlich das Problem zu suchen ist. Eine Vermutung liefern die griechischen Medien: In fast allen Traditionszeitungen Athens war am Wochenende vor dem 100-Tage-Jubiläum zu lesen, dass Tsipras zu viel auf seine Partei höre - ein buntes Sammelsurium von Sozialisten, Ex-Kommunisten, Maoisten, Trotzkisten und anderen kleineren linken Komponenten.
"Syriza muss lernen, dass die Welt schlicht nicht so funktioniert, wie man sich das als krawallstarker Linksradikaler oder als altbackener Marxist Moskauer Schule so vorstellt", so Schmieding. Ein "schmerzhafter Lernprozess" habe begonnen. Tsipras hat seinem Finanzminister einen "Berater" zur Seite gestellt. Die Verhandlungen mit den Geldgebern hat der untergeordnete Finanzexperte Eukleides Tsakalotos übernommen. In EU-Kreisen wird mit Blick auf Finanzminister Yanis Varoufakis und anderer griechischer Vertreter bereits von einer "Charmeoffensive" gesprochen.
Langsam scheint zur griechischen Regierung durchzudringen, dass Anspruch und Wirklichkeit in den 100 Tagen weit auseinander gedriftet sind. Dass Griechenland ohne neue harte Sparmaßnahmen und ohne die Sanierung des Rentensystems unweigerlich abstürzen muss. "Das Risiko einer griechischen Katastrophe liegt bei etwa 30 Prozent", so Schmieding. Noch ist nichts verloren. Die Regierung in Athen hat 100 Tage Zeit gehabt, sich auszuprobieren. Nun langt es: Sie muss ihren Kurs korrigieren. Noch mal 100 Tage hat sie hierfür nicht.
Quelle: ntv.de