Wirtschaft

Neue Technik fürs Schlachtfeld Wie Startups die Rüstungsbranche aufmischen

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Die Münchener Drohnenfirma Quantum Systems ist auf die Entwicklung und Produktion autonomer, KI-gestützter unbemannter Flugsysteme (UAS) für Verteidigungs- und Sicherheitsanwendungen spezialisiert.

Die Münchener Drohnenfirma Quantum Systems ist auf die Entwicklung und Produktion autonomer, KI-gestützter unbemannter Flugsysteme (UAS) für Verteidigungs- und Sicherheitsanwendungen spezialisiert.

(Foto: IMAGO/Sven Simon)

Noch dominieren große Player wie Rheinmetall die deutsche Rüstungsindustrie. Doch inzwischen mischen auch immer mehr sogenannte Defense-Startups den Verteidigungssektor auf – und beeinflussen, welche Waffen Deutschland künftig einsetzt.

Die Auftragsbücher der führenden deutschen Rüstungsunternehmen sind voll. Angesichts steigender staatlicher Ausgaben für das Militär boomt die Branche, Firmen investieren stark in den Ausbau ihrer Produktionskapazitäten. Während etablierte Player wie Rheinmetall von Rekord zu Rekord eilen, gewinnen gleichzeitig sogenannte Defense-Startups, die sich auf die Entwicklung innovativer Technologien für den Sicherheits- und Verteidigungssektor spezialisiert haben, immer mehr an Bedeutung. Die Dominanz der alten Rüstungskonzerne gerät damit ins Wanken.

"Krieg ist ein Treiber von Innovation. Das war schon immer so, und das sehen wir momentan besonders in der Rüstungsindustrie – auch in Deutschland", sagt Patrick Keller, der Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, im Gespräch mit ntv.de. Der Krieg in der Ukraine zeige, dass es dringend notwendig sei, sich auf neue Formen der Kriegsführung vorzubereiten. Die neu gegründeten Rüstungs-Startups fokussieren sich hierzulande vor allem auf Drohnentechnologie und Künstliche Intelligenz.

Die Bundesregierung plant aufgrund des Kriegs in der Ukraine und der Bedrohung durch Russland ihr Verteidigungsbudget bis 2029 auf 162 Milliarden Euro zu verdoppeln. Davon wollen auch Wagniskapitalgeber profitieren. Investoren haben ihre Scheu gegenüber der Kriegsbranche längst abgelegt. Während Rüstung jahrelang ein Tabuthema war, öffnen Geldgeber inzwischen ohne zu zögern ihre Portemonnaies. Eine Erhebung des Nato Innovation Funds und der Analysefirma Dealroom zeigt: Deutschland ist inzwischen Europameister bei privaten Investitionen in Verteidigungs- und Sicherheitstechnologie. Rund 1,3 Milliarden US-Dollar (umgerechnet 1,25 Milliarden Euro) steckten Risikokapitalgeber 2024 in deutsche Startups, die Hightech-Lösungen für Europas Sicherheit entwickeln.

Einfluss von Rüstungs-Startups auf Politik wächst

"Die Zeitenwende und die Grundgesetzänderung haben so viel Geld in die Kassen gespült, dass inzwischen neben den etablierten Rüstungskonzernen auch Platz für neue Player ist", sagt Christoph Marischka vom rüstungskritischen Verein Informationsstelle Militarisierung (IMI) ntv.de. Mit Rüstungs-Startups wie dem auf KI-Anwendungen spezialisierten Unternehmen Helsing, dem Hersteller von zivilen und militärischen Überwachungsdrohnen Quantum Systems oder dem Entwickler von Kamikaze-Drohnen Stark entstehe gerade ein zweiter Industriezweig neben den etablierten Rüstungsunternehmen. Seiner Einschätzung nach vertreten Rüstungs-Startups dabei eine Position, die noch offensiver auf Aufrüstung, Beschleunigung und Technologie setzt.

Die Erhebung der Nato zeigt auch: Technische Durchbrüche in der Militärtechnologie entstehen nicht mehr nur in staatlichen Forschungseinrichtungen. Sicherheitsexperte Keller sieht darin ein Problem, da militärisch-technologischer Fortschritt so stärker von Gewinninteressen oder Ideologie geprägt sein könnte. Auch der IMI-Experte Marischka befürchtet, dass politische und letzten Endes auch militärische Kontrolle auf der Strecke bleiben könnten, wenn Risikokapital die Technologieentwicklung bestimmt und beschleunigt.

Eine Studie der Informationsstelle Militarisierung geht sogar noch weiter. Die Untersuchung zu Rüstungs-Startups und deren wachsendem Einfluss auf Politik und Strategie kommt zu dem Schluss, dass sich Gründer und Investoren immer stärker aktiv in die Debatte einmischen, ob und wie Deutschland aufgerüstet werden soll. "Während idealtypisch die Strategie bestimmt, welche militärischen Technologien entwickelt und angeschafft werden müssen, erleben wir aktuell im Bereich Drohnen und KI eine Umkehr des Prozesses: Die Interessen des Risikokapitals prägen die Technologie und damit auch die Strategie", sagt der Verfasser der Studie, Franz Enders.

Übernahmen unterstreichen Bedeutung

Laut Keller sind Startups mit ihren punktuellen Angeboten eine ernstzunehmende Konkurrenz für etablierte Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall. Das liege zum einen an der Geschwindigkeit, mit der sie ihre Produkte auf den Markt bringen. Der Sicherheitsexperte weist aber auch darauf hin, dass Startups mit ihren flachen Hierarchien gerade für junge Menschen auch ein attraktiver Arbeitgeber sind. "Das ist ein Problem für etablierte Unternehmen, die im Wettbewerb um die besten Köpfe nicht ins Hintertreffen geraten wollen." IMI-Experte Marischka sieht auch in Übernahmen ein Indiz dafür, dass Rüstungs-Startups den etablierten Unternehmen gefährlich werden können. Zuletzt hat Helsing etwa den bayerischen Flugzeughersteller Grob Aircraft gekauft.

Startups seien dabei den etablierten Konzernen nicht per se über- oder unterlegen, betont Keller. "Es ist im Interesse der Bundeswehr und des Landes, dass es beides gibt." Er attestiert Rüstungs-Startups jedoch einen nachhaltigen Wachstumsimpuls für den Verteidigungssektor. "Als Treiber von technologischen Innovationen sind Rüstungs-Startups in Zukunft nicht mehr wegzudenken." Allerdings zeichne sich die Gründer-Kultur auch dadurch aus, dass viele Unternehmen an den Start gehen, es aber nur manche über die Ziellinie schaffen. Keller schließt zwar nicht aus, dass das eine oder andere junge Unternehmen zu einem echten Champion der Branche aufsteigt. "Aber das halte ich eher für die große Ausnahme."

Über die Zukunft und den wirtschaftlichen Erfolg der Defense-Startups wird nicht zuletzt auch der weitere Verlauf des Kriegs in der Ukraine entscheiden. Darüber sind sich beide Experten einig. "Sobald die Bedrohungslage abnimmt, droht Deutschland wieder die Puste auszugehen, und die Investitionen in Verteidigung könnten sinken", sagt Keller. "Käme es jetzt zu einem Friedensschluss und einer Verständigung auf eine neue Sicherheitsarchitektur, die nicht auf Hochrüstung basiert, dann hätten Investoren richtig viel Geld verbrannt", gibt auch Marischka zu bedenken.

Quelle: ntv.de

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