Haftbefehl von Interpol Zweitpass half Ghosn wohl bei Einreise
02.01.2020, 12:04 UhrEx-Nissan-Chef Carlos Ghosn gelingt es, trotz strenger Auflagen in den Libanon zu fliehen. Wie er aus Japan entkommen und auch in der Türkei unbehelligt Zwischenstation machen konnte, ist Gegenstand von Ermittlungen. Mutmaßliche Hintermänner spüren bereits Konsequenzen.
Nach seiner überraschenden Flucht aus Japan in den Libanon wird der frühere Autoboss Carlos Ghosn jetzt per internationalem Haftbefehl gesucht. Aus libanesischen Justizkreisen hieß es, die internationale Polizeibehörde Interpol habe ein entsprechendes Gesuch im Auftrag der japanischen Regierung an die Generalstaatsanwaltschaft in Beirut geschickt. Demnach soll Ghosn in der kommenden Woche im Libanon zu den Vorwürfen befragt werden. Danach werde entschieden, ob japanische Experten an den dortigen Ermittlungen beteiligt würden. Aus Regierungskreisen in Beirut hieß es zugleich, Ghosn sei mit einem gültigen neuen französischen Pass in den Libanon eingereist.
Zweitpässe werden von eigenen Nationen genehmigt - unter anderem wenn der Antragsteller in Länder reist, in denen bei der Einreise der Stempel aus einem anderen Land Probleme bereiten kann. Der öffentlich-rechtliche japanische Sender NHK berichtete, ein Gericht habe ihm gestattet, seinen französischen Zweitpass zu behalten, sofern dieser von seinen Anwälten weggeschlossen werde.
Der Ex-Topmanager besitzt die französische, die brasilianische und die libanesische Staatsangehörigkeit. Sein Anwalt Junichiro Hironaka hatte erklärt, die Anwälte seien im Besitz von drei Pässen Ghosns. NHK zufolge reiste Ghosn mit einem französischen Pass in den Libanon ein. Ermittler durchsuchten derweil in Tokio das Haus des Ex-Autobosses. NHK zufolge sollen Aufnahmen von Überwachungskameras an dem Wohnsitz und anderen Aufenthaltsorten des 65-Jährigen ausgewertet werden.
Mutmaßliche Helfer festgenommen
In der Türkei sind zudem aktuell sieben mutmaßliche Helfer Ghosns festgenommen worden. Darunter seien vier Piloten. Sie würden verdächtigt, Ghosn bei der Flucht mit einem Privatjet von Japan über Istanbul in den Libanon geholfen zu haben. Dabei soll der inzwischen für den regulären Betrieb geschlossene Atatürk-Flughafen in Istanbul genutzt worden sein.
Die japanische Bevölkerung ist geschockt. Einige Menschen sind der Meinung, Ghosn hätte mit Geld nachgeholfen. "Als ich die Nachrichten geschaut habe, dachte ich, wenn du das Geld hast, kannst du dir alles erlauben", so Chiaki Kurimoto, ein Teilzeitarbeiter aus Osaka. Aus dem Außenministerium in Tokio hieß es, Japans Regierung sei nun auf Hilfe der libanesischen Behörden angewiesen, da kein Auslieferungsabkommen mit dem Mittelmeerstaat bestehe.
Ghosn könnte sich auch in Frankreich sicher fühlen. "Wenn Herr Ghosn nach Frankreich käme, würden wir Herrn Ghosn nicht ausliefern, denn Frankreich liefert niemals seine eigenen Staatsangehörigen aus", sagte die Staatssekretärin im französischen Wirtschafts- und Finanzministerium, Agnès Pannier-Runacher, dem Sender BFMTV. Pannier-Runacher erinnerte allerdings erneut daran, dass niemand über dem Gesetz stehe. Die französischen Behörden hatten nach eigenen Angaben von Ghosns überraschender Flucht aus den Medien erfahren.
Ghosn hatte eine Fluchtabsicht klar bestritten
Ghosns Verteidiger hatten mehrfach versucht, ihren Mandanten gegen Zahlung einer Kaution freizubekommen. Sie scheiterten zunächst damit, weil die Staatsanwaltschaft Fluchtgefahr sah. Ghosn hatte eine Fluchtabsicht bestritten und erklärt, er wolle sich vor Gericht verantworten, um seine Unschuld zu beweisen. Seine Anwälte argumentierten zudem, er sei viel zu bekannt, um unerkannt das Land verlassen zu können.
Ghosn war im November 2018 in Japan festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem vor, Firmenkapital zweckentfremdet und private Verluste auf Nissan übertragen zu haben. Ghosn sprach von einer Verschwörung bei Nissan, um ihn loszuwerden. Grund sei, dass er Nissan noch näher an den französischen Autobauer Renault heranführen wollte.
Der Manager war einst in Japan als Star gefeiert worden. Er schmiedete die Allianz zwischen Renault und Nissan und half dem japanischen Hersteller aus der Krise. Er machte beide Unternehmen weltweit erfolgreich. 2016 holte Ghosn auch Mitsubishi ins Boot. Von seinen Spitzenposten bei Nissan und Mitsubishi wurde Ghosn nach seiner Festnahme entlassen. Später trat er auch als Renault-Chef zurück.
Quelle: ntv.de, can/AFP/dpa