Unsere falsche Angst hilft Putin Schluss mit der Gas-Panikmache!
20.07.2022, 16:14 Uhr
Die Angst vor dem Druckabfall macht Deutschland gefügig.
(Foto: picture alliance / SVEN SIMON)
Liefert er? Liefert er nicht? Voller Angst starrt Deutschland auf die Nord-Stream-Pipeline, ob Putin wieder Gas liefert oder uns in eine Wirtschaftskatastrophe stürzt. Diese Gas-Panikmache, der Politik und Wirtschaftsvertreter Vorschub leisten, ist übertrieben und macht Deutschland zu Putins Spielball.
Im Brandfall lautet die erste Verhaltensregel immer: Ruhe bewahren! Gerade wenn die Gefahr akut ist, gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren und überlegt vorzugehen, um sich selbst und andere zu schützen. Das hilft nicht nur, wenn es etwa im Hotelzimmer brennt. Es hilft auch in politischen Krisensituationen.
Das Bild, das die Bundesregierung und manche Wirtschaftsvertreter angesichts eines drohenden Gasstopps seit Monaten abgeben, ist das Gegenteil: Wie ein panischer Hotelgast schreiend durch die Flure und damit eventuell der Gefahr entgegenläuft, verbreiten sie Horrorszenarien vom drohenden Untergang der deutschen Wirtschaft, die nicht nur übertrieben sind, sondern die Lage noch verschlimmern und dem russischen Machthaber Wladimir Putin in die Hände spielen.
Klar: Warnungen vor den Folgen einer möglichen Gasknappheit sind grundsätzlich richtig. Aber Gewerkschaften, Arbeitgeber und zahlreiche Branchenverbände malen schwärzest mögliche Szenarien aus, sollte gerade ihnen jeweils etwas weniger Energie als gewohnt zugeteilt werden. Das ist schlicht Lobbyismus. Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck wollen offenbar mit drastischen Warnungen vor Armut und Massenarbeitslosigkeit private wie gewerbliche Verbraucher wachrütteln, damit diese nicht erst mit dem Energiesparen anfangen, wenn die Krise eingetreten ist.
Bisher allerdings haben wir noch keine Gasknappheit! In den vergangenen Monaten wurde trotz bereits stark gedrosselter Lieferungen aus Russland europaweit etwa so viel Gas importiert wie im Vorjahr auch. Die Gasspeicher in der EU sind erheblich besser gefüllt, als es vor einem Jahr der Fall war. Selbst bei einem sofortigen Lieferstopp stehen wir Russland gegenüber erheblich besser da, als es noch vor ein paar Monaten zu erwarten gewesen wäre.
Das heißt leider nicht, dass es im kommenden Winter in Deutschland nicht zu erheblichen Problemen kommen könnte, auf die wir uns durch weitere Maßnahmen, wie Energieeinsparungen und Ersatz von Gas durch andere Energieträger wo immer möglich, noch besser vorbereiten sollten. Das wird teuer. Wir verlieren an Wohlstand. Die Bundesregierung könnte darauf allerdings ähnlich wie in der Corona-Krise mit Hilfsmaßnahmen reagieren.
Karten nicht offenlegen
Was keineswegs droht, ist eine unbeherrschbare Katastrophe. Diese immer wieder heraufzubeschwören, hat bereits Schaden angerichtet: Aufgrund der Krisenangst und dem Gerede von der Alternativlosigkeit des russischen Gases hat die Bundesregierung ein Embargo kategorisch ausgeschlossen und immer wieder versichert, um nahezu jeden Preis den Gasfluss aus Russland aufrechtzuerhalten. Darauf verlassen sich nun zu viele Unternehmen, statt mit den nötigen Anstrengungen nach Alternativen zu suchen.
Vor allem aber ist Deutschlands Gaspanik ein zentrales Element in Putins Strategie, Europa in Geiselhaft zu nehmen, die EU-Mitglieder zu spalten und angesichts des Ukrainekriegs politisch weitgehend zu lähmen. Dank der immer wieder öffentlich ausgebreiteten Angst der deutschen Führung vor einem Lieferstopp, bringt der russische Präsident uns dazu, die eigenen Sanktionen aufzuweichen und zu verletzen. Er diktiert beispielsweise den europäischen Unternehmen, wie genau sie ihre Gasrechnungen zu begleichen haben. EU-Kommission und Bundesregierung können die entsprechenden Vorgaben des Kremls nur abnicken. Deutschland setzt aktuell alle Hebel in Bewegung, um eine Gasturbine so schnell wie möglich nach Russland bringen zu lassen, was wohl eher einer Machtdemonstration Putins gegenüber Deutschlands dient, als dazu, den Gasfluss in der Nord-Stream-Röhre aufrechtzuerhalten.
Wichtig für Putins Erpressungsstrategie ist dabei weniger, wie sehr wir sein Gas tatsächlich brauchen, sondern vor allem, dass insbesondere der Bundeskanzler seit Monaten diese Abhängigkeit immer wieder betont und versichert, die Importe auf keinen Fall gefährden oder gar von deutscher Seite im Rahmen eines Embargos stoppen zu wollen. Selbst wenn man zustimmt, dass die Abhängigkeit derart groß und das russische Gas wirklich unersetzlich sein sollte, darf man das nicht öffentlich herausposaunen. Putin kann in diesem Machtpoker ohne Risiko aufs Ganze gehen - die Bundesregierung hat ihm ja selbst verraten, dass sie ganz schlechte Karten hat.
Der Erfolg, den wir Putin ermöglicht haben, wird ihn ermuntern, genauso weiterzumachen in den kommenden Monaten. Um unsere Angst weiter zu schüren, wird er auf keinen Fall ausreichend Gas liefern, um etwa unsere Speicher schnell zu füllen, sondern nur gerade so viel, um uns abhängig und erpressbar zu halten. Zugleich wird er immer mehr und weitergehende Bedingungen stellen. Wir müssen dringend eine rote Linie ziehen und mit der Gas-Panikmache sofort aufhören.
Quelle: ntv.de