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Welche Masse hat ein Neutrino? Antikes Blei schützt Experiment

Eine Schiffsladung mit Bleibarren aus der Zeit der Römer soll in Italien eingeschmolzen werden, um ein physikalisches Experiment der Neuzeit möglich zu machen.

Frisch gewonnenes Blei enthält radioaktive Bestandteile. In dem Blei aus der Römerzeit gibt es keine Atome des Blei-Isotops 210 mehr.

Frisch gewonnenes Blei enthält radioaktive Bestandteile. In dem Blei aus der Römerzeit gibt es keine Atome des Blei-Isotops 210 mehr.

(Foto: picture alliance / dpa)

Lange ruhte das mehr als 2000 Jahre alte Blei in einem versunkenen Frachtschiff im Mittelmeer und hat dabei seine natürliche Radioaktivität weitestgehend verloren. Nun soll es ein modernes Experiment vor Strahlungen schützen. Frisch gewonnenes Blei hingegen enthält noch einen vergleichsweise hohen Anteil radioaktiver Bestandteile, die die geplanten Messungen empfindlich stören würden.

"Der Kommandant dieses Schiffes hat sich sicherlich nie träumen lassen, dass sein Blei 2000 Jahre später benutzt werden würde für etwas, das mit dem Universum und den Sternen zu tun hat", sagte der Präsident des italienischen Instituts für Kernforschung, Roberto Petronzio. Und auch Luca Votano, der Direktor des Forschungslaboratoriums in Gran Sasso, schwärmt: "Es ist doch schön und einzigartig, dass die modernsten und innovativsten Technologien auch etwas von der Archäologie und von der Technologie der alten Römer brauchen können."

Doppelter Betazerfall

Die 120 Bleibarren mit einem Gewicht von jeweils rund 33 Kilogramm wurden für das Experiment bereits aus einem Museum auf der Insel Sardinien zum Teilchenforschungslabor im italienischen Gran-Sasso-Massiv gebracht, berichte das Journal "Nature" auf seiner Homepage. Zu dem Labor gehören viele Schächte und Räume, die sehr tief in den Fels getrieben wurden. Diese sind gut von den zahlreichen Elementarteilchen abgeschirmt, die auf die Oberfläche der Erde einprasseln. In oberirdischen Experimenten wären sie Quelle unerwünschter Signale und würden viele Messungen stören.

Nun soll das antike Blei zu Platten geformt werden, um das CUORE-Experiment (Cryogenic Underground Observatory for Rare Events) auch noch gegen störende Strahlung aus dem umgebenden Gestein zu schützen. CUORE will eine bestimmte Form eines radioaktiven Zerfalls untersuchen, den sogenannten doppelten Betazerfall. Dabei werden für gewöhnlich neben zwei Elektronen auch zwei sogenannte Neutrinos ausgesendet, sehr leichte Elementarteilchen, die lange Zeit als masselos galten.

Flüchtige Teilchen

Die Forscher hoffen, mit ihrem über Jahre vorbereiteten Experiment einen bislang lediglich vorhergesagten Sonderfall des Betazerfalls zu beobachten, bei dem keine Neutrinos ausgesendet werden. Aus der Energiedifferenz der leicht messbaren Elektronen bei diesem Zerfall ließe sich die langgesuchte Masse der Neutrinos bestimmen. Die gesuchten Elektronen aus dem neutrinolosen Zerfall hätten eine größere Energie.

Neutrinos sind elektrisch neutrale Elementarteilchen, die vornehmlich bei Kernreaktionen entstehen. So rasen etwa in jeder Sekunden tausende Milliarden Neutrinos durch unseren Körper, die bei der Kernfusion im Inneren der Sonne entstehen. Die geisterhaften Teilchen sind aber so flüchtig, dass sie in der Regel sogar durch die gesamte Erdkugel fliegen, ohne stecken zu bleiben. Ihr Nachweis ist extrem schwierig.

Geringe Konzentration an Blei-210

Das CUORE-Team hofft auf neutrinolose Betazerfälle in einem 750 Kilogramm schweren Kubus aus Tellurium-Dioxid. Das alles geschieht zwar bereits in rund 1500 Metern Tiefe, muss aber zusätzlich vor Radioaktivität geschützt werden – und zwar mit dem Blei aus der Römerzeit. Darin gibt es inzwischen keine Atome des Blei-Isotops 210 mehr, das ebenfalls radioaktiv ist und daher zerfällt. Alle 22 Jahre ist die Hälfte dieser Isotope zerfallen – das hat die antiken Bleibarren über die Zeit zu einem extrem wertvollen Wertstoff für die Kernphysiker werden lassen. Die ins Metall getriebenen Schriftzeichen sollen herausgetrennt und der Nachwelt erhalten bleiben.

1988 hatte ein Taucher die Reste des Frachtschiffes in einer Tiefe von 28 Metern kurz vor der Küste Sardiniens gefunden. Ein Zeitungsbericht hatte Physiker auf den Fund aufmerksam gemacht, die den Wert der Barren für ihre Arbeit schlagartig erkannten. Der Leiter des Experimentes, Ettore Fiorini, hatte die Umstände des Fundes sowie eine Analyse des Metalls kurz nach dem Fund im Journal "Nuclear Instruments and Methods in Physics Research B" beschrieben. Nie zuvor hatten die Forscher Blei mit einer so geringen Konzentration von Blei-210 in den Händen.

Quelle: ntv.de, dpa

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