"Kryonik" will ewiges Leben verwirklichen Der Tod - eine überwindbare Grenze?
22.01.2011, 07:17 UhrSeit Jahrtausenden ist die eigene Sterblichkeit den Menschen ein Dorn im Auge. Doch was wäre, wenn der Tod gar nicht erst eintritt? Was, wenn man ihn überwinden und ewig körperlich leben könnte?
Ewiges Leben ist seit jeher ein Traum der Menschen. Und ein Thema, das seit Jahrtausenden nicht nur Philosophen und Theologen beschäftigt. Dabei wähnen sich die einen im Himmelreich, die anderen träumen vom Nirwana; überzeugte Atheisten sehen im Tod die Auslöschung des körperlichen und geistlichen Daseins. Die Wissenschaft schweigt zu der Frage, was nach dem Tod kommt - und gibt diesen Raum somit für Spekulationen, Hoffnungen und Ängste frei.
Doch was, wenn man gar nicht erst sterben müsste? Gehört der Tod wirklich unweigerlich zum Leben dazu? Michael Saxer kennt die Ängste, die mit dem Sterben verbunden sind. "Schon als Jugendlicher habe ich ein Unbehagen gespürt, wenn ich an mein Älterwerden oder meinen Tod gedacht habe", sagt der heute 49-Jährige im Interview mit n-tv.de. "Ich habe noch nie an die unsterbliche Seele glauben können." In seinen Jugendjahren sei er oftmals an der Vorstellung verzweifelt, dass mit dem Tod alles vorbei sein wird. Aus. Ende. Nichts.
"Doch dann kam ein Hoffnungsschimmer", so der gelernte Programmierer. In einem Zeitschriftenartikel las Michael Saxer über die Ursachen der Sterblichkeit. "Darin wurde erklärt, dass Altern und Tod genetische und biologische Ursachen haben." Saxer ist seitdem davon überzeugt: Was biologische Ursachen hat, kann durch Wissenschaft und Forschung verändert werden. Durch gleichgesinnte Mitmenschen kam der geborene Koblenzer schließlich zur "Kryonik" - einer Technologie, die für ihn die Lösung des Problems darstellt. Sterben? Nein, danke.
Schockgefrostet im Stickstoff-Tank
Der Begriff "Kryonik" leitet sich aus dem griechischen Wort "kryos" für "kalt" ab. Kryoniker lassen sich nach dem Tod bei Temperaturen von minus 196 Grad Celsius konservieren - in der Hoffnung, in der Zukunft wiederbelebt zu werden. Dem Tod wäre damit ein Schnippchen geschlagen. Denn aufgetaut würde man erst wieder in einer Zeit, in der die Wissenschaft so weit fortgeschritten ist, dass sie die Alterungsgene manipulieren kann. "In einigen hundert Jahren werden die Leute mit dem Kopf schütteln, dass wir uns heute mit 80, 90 Jahren zufrieden geben."
Saxer ist nicht alleine. In den USA etwa gibt es seit knapp 40 Jahren zwei Unternehmen, die "Kryonik" anbieten. Beim "Cryonics Institute" in Michigan und der "Alcor Life Extension Foundation" in Arizona lagern bereits mehr als 200 Leichname kopfüber in Behältern mit flüssigem Stickstoff. Mehrere tausend Menschen sind Mitglieder, die sich nach ihrem Ableben entsprechend konservieren lassen wollen. Saxer gründete im Jahr 2004 die erste Firma für kryonische Dienstleistungen in Deutschland . Noch steckt sie in den Kinderschuhen, aber das Jahr 2011 soll große Fortschritte bringen: Ein Team zur fachmännischen Konservierung soll ausgebildet, ein Behälter zur Überführung des präparierten Leichnams in die USA gebaut werden. Die derzeitige Rechtslage erlaubt es in Deutschland nicht, konservierte Leichname länger als zehn Tage zu lagern.
Das hört sich alles sehr abenteuerlich an. Und das ist es auch. Kryoniker selbst sprechen heute von einer Erfolgswahrscheinlichkeit zwischen einem und fünf Prozent. Das ist nicht besonders viel, weiß auch Saxer. Er verweist auf den technischen Fortschritt und ist optimistisch: "In zehn Jahren liegt die Wahrscheinlichkeit vielleicht schon bei fünfzig Prozent."
Tot ist tot
Ganz anders sieht das Ulrich Kutschera. Der renommierte Professor für Evolutionsbiologie an der Universität Kassel und in Stanford (USA) kennt sich aus mit dem Kryo-Konservieren von Lebewesen - es gehört zu seinem Alltagsgeschäft als Forscher. "Die Wahrscheinlichkeit für ewiges menschliches Leben liegt, heute wie auch in der Zukunft, bei null Prozent", hält er nüchtern fest. Kryoniker wie Saxer sind für ihn Esoteriker. "Lebewesen sind per definitionem zum Sterben verurteilt", sagt der Evolutionsforscher im Gespräch mit n-tv.de. Wer an Altersschwäche stirbt, ist und bleibt tot. "Selbst wenn der Mensch sich dann entsprechend konservieren lässt - revitalisieren lässt der Tote sich dann nicht mehr." Daran werde auch zukünftige Forschung nichts ändern. Auch eine Verjüngung durch zukünftige Altersgen-Manipulation ist nach Ansicht von Kutschera nicht möglich. Die Mechanismen, die Menschen altern lassen, kenne man bereits sehr genau. Und sie sind nicht aufzuhalten.
Denkbar sei aus wissenschaftlicher Sicht lediglich, dass sich ein lebender Mensch schockgefrieren lasse. Diesen könne man dann nach einigen Jahrhunderten wieder auftauen und reanimieren. "Vorausgesetzt natürlich, es gibt die entsprechende Technik dazu", schränkt Kutschera ein. Die, so sagt er, werde es jedoch in vermutlich 20 bis 30 Jahren geben. Bei kleineren Organismen und Einzellern sei dies bereits heute problemlos möglich.
Doch dann bleibt das Problem, das die "Kryoniker" umgehen wollen, bestehen: der Tod. Denn selbst wenn sich jemand im Alter von 50 Jahren schockfrieren ließe, 200 Jahre ein Dasein als Eiswürfel fristete, und schließlich erfolgreich aufgetaut würde - mehr als seine natürliche Lebenszeit bliebe ihm dann auch nicht mehr.
"Sinnvoll wie eine Blindarmentzündung"
"Kryoniker" loben ihre Technologie als "Durchbruch im Kampf gegen den Tod". Sie versprechen längeres, gar ewiges Leben auf der Erde. Getrieben von der Angst, irgendwann nicht mehr zu sein. 80, 90, vielleicht 100 Jahre sind ihnen nicht genug. Sie wollen mehr. Diese Angst - und den Wunsch nach einem längeren Leben - teilen sie mit vielen Menschen. Doch wagen wir das Gedankenspiel: Angenommen, die Methode der Kryonik für Menschen funktioniert. Wäre der Gedanke wirklich so viel beruhigender, in einigen hundert Jahren in einer völlig fremden Welt wiederaufzuerstehen, die alles uns Bekannte hinter sich gelassen hat?
"Der Tod ist grausam", schreibt der Kryoniker Saxer auf seiner Homepage. "Er mag seinen Sinn für Tiere und Pflanzen haben, aber für den Menschen ist er genauso sinnvoll wie eine Blinddarmentzündung." Ist das Sterben schlicht ein sinnloser Bestandteil unseres Lebens, den man abschaffen muss? Nein, könnte man dagegen halten. Und etwas philosophisch darauf antworten. Vielleicht ist der Sinn des Todes genau der: unser Leben zu begrenzen - damit wir dessen Wert erkennen.
Quelle: ntv.de