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Solaranlage der ESA im All "Funktioniert wie die Mikrowelle in der Küche"

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Die Solaranlage im All würde etwa vier Quadratkilometer groß werden.

Die Solaranlage im All würde etwa vier Quadratkilometer groß werden.

(Foto: Roland Berger)

Solarenergie ist ein Schlüssel der Energiewende. Doch nachts scheint keine Sonne, ausreichende Speichermöglichkeiten sind nach wie vor rar. Die Europäische Weltraumorganisation ESA prüft deswegen eine Idee, von der bereits seit den 70er Jahren geträumt wird: Sie überlegt, eine riesige Solaranlage im Weltraum zu installieren. "Wir möchten mit dem Thema einen Beitrag leisten, grünen Strom rund um die Uhr dorthin zu bringen, wo er gebraucht wird", erzählt Martin Hoyer im "Klima-Labor" von ntv. Der Energieexperte des Beratungsunternehmens Roland Berger hat im Auftrag der ESA eine Kosten-Nutzen-Studie erstellt - und der PV-Anlage im All vor allem dank Elon Musk und SpaceX seinen Segen erteilt. Dennoch bleiben Probleme: Raketenstarts sind eine schmutzige und große Strukturen im Weltraum eine komplexe Angelegenheit. Für defekte PV-Module gibt es im All zwar einen Friedhofsorbit, aber keine Reparaturmöglichkeiten. Immerhin ist die Energieübertragung zur Erde geklärt. In der Lausitz könnte eine große Empfangsstation für Mikrowellen aufgebaut werden, die nicht nur Weltraumenergie auffängt, sondern zusätzlich eigene erzeugt.

ntv.de: Sie haben im Auftrag der ESA untersucht, wie wir Solarenergie im All gewinnen können. Warum das denn?

Martin Hoyer: Wenn wir die Energiewende betrachten, wissen wir bis 2030 ziemlich genau, was zu tun ist: Wir müssen sehr viel Fotovoltaik und Windräder bauen und unsere Verbräuche elektrifizieren wie bei der Wärmepumpe. Aber was passiert eigentlich, wenn wir uns mit den zweiten 50 Prozent unserer Dekarbonisierungsziele auseinandersetzen? Welche anderen Quellen können verlässlich grüne Energie liefern?Wir möchten mit dem Thema Energie aus dem All ebenfalls einen Beitrag leisten, um grünen Strom rund um die Uhr dorthin zu bringen, wo er gebraucht wird.

Es geht also nicht darum, derzeitige Solaranlagen und Windräder auf der Erde zu ersetzen, sondern darum, dass wir irgendwann so viel Energie benötigen, dass der Platz auf der Erdoberfläche dafür nicht mehr ausreicht?

Das ist das Thema. Vor allem, wenn wir uns das Charakteristikum der aktuellen Erneuerbaren ins Gedächtnis rufen: Sie werden von Tag und Nacht beeinflusst. Das trifft insbesondere auf PV zu. Es gibt eine Menge Unterbrechungen.

Die berühmte Dunkelflaute.

"Wir gehen dorthin, wo die Ausbeute der Sonnenstrahlen pro Quadratmeter höher ist als auf der Erde", sagt Martin Hoyer.

"Wir gehen dorthin, wo die Ausbeute der Sonnenstrahlen pro Quadratmeter höher ist als auf der Erde", sagt Martin Hoyer.

(Foto: Roland Berger)

In der größtmöglichen Ausprägung, ja. Aber die Unterbrechungen beginnen bereits, wenn Wolken vor die Sonne ziehen oder der Wind abflaut. Diese Unterbrechungen müssen wir überbrücken. Das schaffen wir mit heutigen Speichertechnologien nur sehr bedingt, auch wenn es Innovationssprünge geben wird. Dieses Problem haben fossile Energieträger nicht. Feuer aus Kohle oder Gas kann ich - salopp gesagt - an- und ausschalten, wie ich möchte. Daher mussten wir uns mit der Unterbrechung der Stromversorgung noch nicht in diesem Maße auseinandersetzen. Durch den weiteren Zubau an erneuerbaren Lösungen kann man das Problem nur zu einem bestimmten Maße lösen.

Stattdessen hängen wir also Solarmodule an Satelliten und schießen sie ins All, wo es kein Tag und Nacht gibt. Ist das so einfach?

Das ist zutreffend. Die PV-Panels würden im geostationären Orbit untergebracht. Der ist deutlich weiter entfernt von der Erdoberfläche als der niedrige Orbit, an dem nachts Satelliten vorbeifliegen. Der niedrige Orbit liegt bei etwa 200 bis 1000 Kilometern. Beim geostationären Orbit reden wir von 36.000 Kilometern. Dort würde man PV-Panels installieren, die ähnlich funktionieren wie Anlagen auf der Erde, nur mit modifizierten Materialien: Photonen der Sonne, also Sonnenstrahlen, würden in Elektronen umgewandelt. Die müssen runter zur Erde geschickt werden. Das ist die nächste Herausforderung.

Bevor wir dazu kommen: Wie bekommen wir die Solaranlage denn überhaupt ins All? Mit Raketen? Das ist doch wahnsinnig energieintensiv?

Das ist ein Grund, weshalb das Thema aktuell wieder en vogue ist. Denn das Konzept an sich gibt es seit den 70er und 80er Jahren. Es ist damals immer an den Kosten gescheitert, eine entsprechende Struktur ins All zu schicken. Nun aber haben Elon Musk und sein Unternehmen SpaceX die Kosten pro Raketenstart mit einem radikalen Ansatz deutlich gesenkt. Dadurch rückt dieses Konzept in den Bereich der Wirtschaftlichkeit.

Gilt das auch für die Umweltauswirkungen? Man braucht ja sehr viel Energie für einen Raketenstart. Ist das Potenzial für PV im All so viel größer, dass es sich auch aus CO2-Sicht lohnt?

Ich würde die Kosten in wirtschaftliche und ökologische unterteilen. Die Umweltkosten sind eine Frage der Perspektive: Wenn ich die Emissionen von PV im All mit denen von PV auf der Erde vergleiche, sollte ich natürlich die PV-Anlage auf der Erde installieren. Das ist klar. Aber es geht ja nicht darum, PV auf der Erde Konkurrenz zu machen, sondern eine stabile Energiequelle für die Nacht zu erschließen. Und verglichen mit Kohle oder Gas kommt PV im All auf folgende Zahlen: Für die Installation so einer Anlage muss man mit 2 Millionen Tonnen CO2 kalkulieren. Ein Gaskraftwerk in derselben Größenordnung stößt jedes Jahr 6 Millionen Tonnen aus, ein Kohlekraftwerk ungefähr 15 Millionen Tonnen. Es wäre also eine erhebliche Einsparung.

Die Energie aus dem All soll auf der Erde mit Antennen auffangen werden oder ebenfalls über eine Photovoltaik-Anlage.

Die Energie aus dem All soll auf der Erde mit Antennen auffangen werden oder ebenfalls über eine Photovoltaik-Anlage.

(Foto: ESA)

Und wenn die Anlage aufgebaut ist, kann sie wie lange dortbleiben?

Von "herkömmlichen" Satelliten, die zwar in anderer Mission, aber natürlich unter denselben Gegebenheiten wie der Strahlungsbelastung im All unterwegs sind, wissen wir, dass Partikel herumfliegen, die erhebliche Beschädigungen verursachen können. Es ist also klar, dass im Laufe der Zeit Instandhaltungsarbeiten an dieser Anlage durchgeführt werden müssen. Deshalb ist ein Designkriterium, dass es modular ist und man einzelne Teile ersetzen kann. Das ist aber in der Raumfahrt Alltag, wenn man an Außenbordeinsätze der ISS denkt. Die Kunst wird sein, diese ganze Anlage samt Satelliten so aufzusetzen, dass die Reparatur automatisiert erfolgt. Entsprechende Roboterarme müssen noch entwickelt werden.

Und was passiert mit defekten Solarpanels? Holt man die zurück zur Erde oder lässt man die einfach im All?

Es gibt hinter dem geostationären Orbit sogenannte "Graveyard Orbits".

Einen Friedhof im Weltall?

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Genau. Die Diskussion, die um Weltraummüll geführt wird, bezieht sich vor allen Dingen auf den niedrigen Orbit, in dem alle etwas platzieren wollen. Dort fliegen Satelliten mit allen Komplikationen durch diesen Schrott durch, denn der ist schwierig wieder einzufangen. Im geostationären Orbit ist die Bewegungssituation umgekehrt: Der Satellit steht still über einem bestimmten Punkt der Erde. Diese Slots werden dezidiert vergeben. Wenn Satelliten nicht mehr gebraucht werden, schickt man sie noch ein Stück weiter raus in einen "Friedhofsorbit", der für keine andere Anwendung interessant ist. Dort ist nichts, wo man sich aufhalten möchte.

Noch nicht. Menschen wie Elon Musk haben ja andere Pläne. Aber der Müll bleibt damit im All?

Ja. Es würde sich nicht lohnen, die Teile zurück zur Erde zu holen.

Bei der Energie sieht es anders aus. Wie transportieren wir die aus dem All zur Erde?

Es gibt zwei Übertragungsmöglichkeiten: Eine mit einer hohen Energiedichte und eine mit einer niedrigen. Die energiedichte Möglichkeit wäre ein Laser. Aber wenn der auf ein Partikel trifft, wird er unkontrolliert in alle Richtungen abgelenkt. Das ist schwierig zu beherrschen. Alternativ kann man Mikrowellen mit einer niedrigen Energiedichte nutzen. Das funktioniert im Prinzip wie in der Küche: Energie wird in Mikrowellen umgewandelt. Diese bewegen sich ohne Widerstand durch den Raum, bis sie auf etwas treffen, das sie anregen. In der Küche bringen die Mikrowellen Wassermoleküle in Schwingung. Dadurch entsteht Reibung und schlussendlich Wärme.

Ist das ungefährlich für Mensch und Umwelt?

Ja. Es würde lediglich einen gewissen Effizienzverlust geben, wenn die Mikrowellen in einer dicken Wolke auf Wassermoleküle treffen. Das ist aber keine radioaktive Strahlung oder dergleichen, sondern einfach eine Form der Energie, die Wassermoleküle in Schwingung versetzt. Diese Mikrowellen muss man auf der Erde auffangen und in Strom umwandeln.

Und das funktioniert effizient? Sie haben Elon Musk erwähnt, der genau wegen dieser zweifachen Umwandlung kein Freund dieser Technologie ist.

Wir gehen auf jeden Fall dorthin, wo die Ausbeute der Sonnenstrahlen pro Quadratmeter höher ist als auf der Erde. Aber ja, es gibt nicht nur Fürsprecher, sondern auch Kritiker. Für die Bewertung, ob Energie aus dem All sinnvoll ist, muss man aber bedenken: In Amerika gibt es unwahrscheinlich viel Fläche und auch eine andere Haltung zum Thema Kernkraft. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Tatsache. In Europa haben wir zu bestimmten Technologien eine andere Grundhaltung entwickelt. Auch das ist völlig okay. Uns steht aber weniger Fläche zur Verfügung, um unsere Bedürfnisse und die Bedürfnisse gewisser Sektoren zu erfüllen. Nach meinem Dafürhalten kann Energie aus dem All dafür in Europa einen Beitrag leisten.

Wie fangen wir denn diese Mikrowellen auf dem Boden ein? Wie viel Platz wäre dafür notwendig, auch für die Anlage im All?

Im All würden etwa vier Quadratkilometer an PV-Panels benötigt. Das sind einige Hundert Fußballfelder. Auf dem Boden hängt der Bedarf davon ab, wie viel Energie wir auffangen möchten. Wenn das so passieren soll, dass Menschen, Tiere und anderes organisches Leben davon nichts mitbekommen, kommt man für eine Empfangsstation auf eine Fläche von 70 Quadratkilometern. Das klingt substanziell, aber die Braunkohletagebaue in der Lausitz oder Nordrhein-Westfalen waren deutlich über 100 Quadratkilometer groß. Wir waren in der Vergangenheit also bereit, unserer Energieversorgung Flächen dieser Größenordnung zu widmen.

Sind diese Flächen denn verloren oder könnten dort weitere Solarpanels hingebaut werden?

Dazu muss man wissen, wie der Empfang von Mikrowellen tatsächlich funktioniert. Das einfachste Bild für den Kopf ist das Gitternetz in der Mikrowellentür. Ein anderes sind die alten Antennen zum Empfang von Fernsehen auf den Häuserdächern. Diese Stäbchen-Antennen. Das ist im Grunde die gleiche Struktur, also keine Hochtechnologie.

Wir kennen das und können es bauen?

Genau. Die Kunst wird sein, das möglichst leicht und günstig zu bauen. Man kann sich das vorstellen wie ein großes Netz, das zwischen den einzelnen Maschen etwa zehn mal zehn Zentimeter große Lücken hat. Das ist die Länge der Frequenz. Die kommt da nicht durch oder wird aufgefangen. Die Überlegung ist, dieses Netz in herkömmliche PV-Module einzubauen. Den Draht dafür dazu zu löten, wenn man es einfach ausdrücken will. Dann fangen die Module tagsüber Sonnenstrahlen und Mikrowellen auf und nachts nur die Mikrowellen. Das würde man nicht in Wohngebieten machen, aber große freie Flächen wären dafür geeignet. Zum Beispiel wäre die Lausitz eine Überlegung wert.

Und wie viel Energie könnten wir mit einer vier Quadratkilometer großen PV-Anlage im All einfangen und anschließend auf die Erde übertragen?

Wenn die Empfangsstation auf der Erde 70 Quadratkilometer groß wird, wären das zwei Gigawatt elektrische Kapazität. Die muss man mit den Jahresstunden multiplizieren, also mal 365 mal 24. Dann kommt man auf etwa 16 Terawattstunden. Nicht wenig, aber ein geringer Beitrag, wenn man weiß, dass wir in Deutschland ungefähr 600 TWh Strom im Jahr verbrauchen werden. Man darf aber nicht vergessen: Diese Energie steht 24 Stunden planbar zur Verfügung. Das ist ein Riesenvorteil gegenüber den bisherigen erneuerbaren Quellen.

Wann könnten die ersten Mikrowellen realistisch in unser Stromnetz eingespeist werden?

Die Vorbereitungszeit für solche Missionen liegt bei etwa 15 Jahren. Das gilt insbesondere für einen Satelliten, der die größte Struktur wäre, die je von Menschenhand im All geschaffen wurde. Die Technologie der ISS ist zwar vielfach komplexer, weil sie Lebensraum bereitstellen muss. Das muss die PV-Anlage nicht. Dafür ist sie ungleich größer. Wie schaffen wir das? Welche leichten, aber effizienten Materialien verwenden wir? Wie bringen wir sie in der Rakete unter? Wie entfaltet sich diese Struktur im All? Wie dockt ein Modul ans andere an? An diesen Fragestellungen wird unter anderem in der Robotik gearbeitet. Das dauert eine gewisse Zeit, denn wenn ein Fehler passiert, lässt er sich im All nur schwer korrigieren.

Mit Martin Hoyer sprach Clara Pfeffer. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet.

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Quelle: ntv.de

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