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Falsche Tierliebe Schildkröten in Rom

Jetzt ist dem Zoologen Fulvio Fraticelli der Kragen geplatzt. Nicht weniger als 879 Rotwangen-Schmuckschildkröten, die ein Italiener aus Aprilia in Latium illegal großgezogen hatte, luden die Behörden in dem römischem "Bioparco" ab. "Wir haben nun wirklich keinen Platz mehr dafür", klagt der wissenschaftliche Direktor des Zoos. Er will keine Schildkröten mehr, die als Haustiere gekauft wurden und wegen ihrer zunehmenden Größe irgendwann lästig wurden. Etliche Besitzer der Reptilien haben ohnehin einen anderen Weg der Entsorgung gewählt: Die Ufer und Tiefen des Tiber in Rom beherbergen mittlerweile an die 10.000 der aus den USA stammenden Fleischfresser.

Die Schmuckschildkröten (Trachemys scripta elegans) stürzen sich hungrig auf "alles, was sich bewegt", berichten Experten. Und gefährden so die einheimische Fauna. "Der Tiber ist ein wichtiger biologischer Korridor, der die Stadt durchzieht und auch eine Route für die Zugvögel ist", erläutert ein Zoologe und Ornithologe die Bedeutung des Flusses. Im Oktober tauchen Wildgänse und Kraniche auf, die dem Tiber-Lauf folgen auf dem Weg in den wärmeren Süden - von den bei Joggern, Radfahrern und Anglern beliebten Uferwegen und Mauern aus bestens zu beobachten.

"Der Tiber ist ein Dschungel mitten in der Hauptstadt", schreibt die römische Zeitung "Il Tempo" mit Blick auf die üppige Wasserwelt des "Tevere". Seemöwen, Eisvögel und Wasserhühner tummeln sich dort, Biberratten durchlöchern die Dämme des Flusses, Reiher und Stockenten vermehren sich. Auch wenn man heute keinen Stör mehr aus dem Tiber ziehen kann wie einst, können sich die Angler noch über Aale, Schleie und Döbel freuen.



Doch im Wasser tobt ein unerbittlicher Verdrängungskampf. Bedroht wird die heimische Vielfalt nicht nur von den ausgesetzten Schildkröten, sondern auch anderen Neuankömmlingen - bei denen es sich meist ebenfalls um ausgesetzte Tiere handelt, die sich in ihrer neuen Heimat prächtig vermehrten. Von den ursprünglichen Fischarten sei nicht mehr viel übrig, sagt Fraticelli: "Etwa 70 Prozent der heutigen Arten hat der Mensch hier ausgesetzt." So setzten Wels und Katzenfisch den Aalen zu.

Ein wahrer Fluch für die Tierwelt des Tiber sei jedoch vor allem die Schildkröte mit den roten Wangen. Sie gefährdet beispielsweise die einheimische Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis). "Die Rotwangen vermehren sich leicht, haben hier keine natürlichen Feinde, sie bevölkern inzwischen auch die Teiche und Brunnen, wobei sie alles verschlingen und zerstören", erläutert Francesca Manza, die auf den Erhalt und die Rettung bedrohter Fauna in Italien spezialisiert ist.

Seit 1997 ist es verboten, die gefräßigen Schildkröten aus Übersee nach Europa zu bringen. Nach wie vor aber werden gezüchtete Tiere ausgesetzt, wenn sie von anfänglich niedlichen drei Zentimetern Länge zu ebenso stattlichen wie pflegebedürftigen Exemplaren herangewachsen sind. Der "Bioparco" soll für sie künftig kein Asylheim mehr sein, sagt Fraticelli. "Wenn wir sie weiterhin aufnehmen, dann billigen wir doch irgendwie, dass man sich solche Tiere zulegt und sie dann einfach "entsorgt"."

Hans-Jochen Kaffsack, dpa

Quelle: ntv.de

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