Relikte einer Glanzzeit Kairo liebt seine alten Autos
10.08.2009, 10:26 Uhr
Der alte Fiat "Balilla" gehörte einst einem jüdischen Geschäftsmann.
(Foto: dpa)
Liebevoll tätschelt Said die eingestaubte Motorhaube des Fiat "Balilla". Das italienische Auto, Baujahr 1935, steht am Rande der Kairoer Champollion-Straße, wo sich - mitten in der Innenstadt - Autowerkstätten und Ersatzteilgeschäfte aneinanderreihen. Das schwarze Auto hatte einst einem jüdischen Geschäftsmann gehört. Als er 1956 nach der Revolution enteignet wurde und das Land verließ, schenkte er die elegante Familienkutsche mit den langgeschwungenen Kotflügeln und der kantigen Kühlerhaube einem ägyptischen Angestellten. Dieser hielt den Wagen bis zu seinem Tod in Ehren.
"Eine Viertelmillion ägyptische Pfund (32.000 Euro) hatte man ihm dafür geboten, aber er hat immer abgelehnt, heute gehört es seinem Sohn", erzählt Said, der in einer nahe gelegenen Galerie als Hausmeister arbeitet. Said liebt die ganz alten Modelle aus den 30er-, 40er- und 50er-Jahren. "Viele Ausländer haben damals ihre Fahrzeuge dem Personal geschenkt, um nicht auch noch die wertvollen Autos den enteignungswütigen ägyptischen Generälen überlassen zu müssen", erklärt Said.
Vom alten Glanz keine Spur
Die Oldtimer gehören zu den letzten Überbleibseln einer Zeit, in der die Champollion-Straße Teil des eleganten Ausländerviertels von Kairo war. Der 90 Jahre alte Ali Abdellatif al-Omda erinnert sich: "In den 30er und 40er Jahren lebten hier Engländer, Amerikaner, Griechen, Juden und Ägypter, alle nebeneinander." Al-Omda trägt eine Baseballmütze mit dem Schriftzug "American Stock Exchange" auf dem weißen Haar. Auf seiner Nase sitzt eine dicke schwarze Hornbrille. Ali Abdellatif hat fast sein ganzes Leben in der Champollion-Straße verbracht, wo er an diesem heißen Sommertag mit seinem 70-jährigen Sohn Amin Mohammed auf zwei alten Holzstühlen im Schatten einer Markise sitzt.
Von hier aus beobachtete er die britischen Besatzer, die ägyptischen Unabhängigkeitskämpfer, Soldaten und die freien Offiziere unter Gamal Abdel Nasser. Der Glanz des einst kosmopolitischen Kairos, von dem Ali Abdellatif gerne berichtet, ist heute kaum noch zu erahnen. Gegenüber von seinem Laden befindet sich der völlig verfallene Palast von Said Halim Pascha, der vor rund hundert Jahren als Großwesir des Osmanischen Reiches in Kairo waltete und ein Enkel von Mohammed Ali war, der als Gründer des modernen Ägyptens verehrt wird. Der Palast dient seit den 50er Jahren als staatliche Schule und ist in einem erbärmlichen Zustand.
Noch nicht reif für die Schrottpresse
"Die Europäer und Amerikaner haben früher ihre Autos nach Ägypten gebracht", erinnert er sich. "Für jede Automarke gab es damals eine eigene Werkstatt, die Juden betrieben die Ersatzteilläden und die Griechen verkauften alles, was man sonst noch so brauchte", sagt sein Sohn. "Als die Ausländer weg waren, haben wir Ägypter die Geschäfte weitergeführt."

Der 90-jährige Ali Abdellatif al-Omda (rechts) erinnert sich gern an Kairos Glanzzeiten zurück.
(Foto: dpa)
Benannt ist die Champollion-Straße nach dem französischen Sprachwissenschaftler und Ägyptologen Jean-François Champollion, der vor knapp 200 Jahren die Hieroglyphen auf dem Stein von Rosetta entzifferte und damit die Schriften der Pharaonen für uns zugänglich machte. Die Straße führt in gerader Linie zum Ägyptischen Museum am zentralen Tahrir-Platz. Hunderte alte Autos, die in Deutschland entweder im Museum oder in der Abwrackpresse gelandet wären, parken hier in Seitenstraßen und Hinterhöfen. Darunter sind alte Volkswagen, Cadillacs und Mercedes-Limousinen, die von ausreisenden Ausländern hier stehengelassen wurden. Jedes einzelne Auto soll noch einmal fahrtüchtig gemacht werden, sagen die Mechaniker, inschallah - so Gott will.
"Diese alten Autos sind sehr hochwertig gefertigt, man kann sie nicht einfach verschrotten", meint Said und zeigt auf einen alten Mercedes 180 aus den 50er Jahren, der vor der Galerie parkt. "Dieses hier bekommt jetzt einen Hybridantrieb, dann fährt es wieder wie neu und auch noch umweltfreundlich", ergänzt Mechaniker Ahmed, der gerade aus den Tiefen der Motorhaube des Mercedes aufgetaucht ist. Ahmed holt einen Stapel Postkarten mit historischen Kairo-Aufnahmen aus der Werkstatt. Er zeigt ein verblichenes Bild von einem knochigen Esel, auf dem ein Mann im Gewand der ägyptischen Bauern sitzt. "Das hier war früher das Auto der Ägypter", witzelt er. Pferde- und Eselskarren sind aber auch heute noch auf Kairos Straßen unterwegs. Mit ihnen fahren im dichten Stadtverkehr diejenigen Ägypter, die den Müll einsammeln oder im Morgengrauen Obst und Gemüse zu den Märkten bringen.
Quelle: ntv.de, Nora Schareika, dpa