E.T. als Vaterersatz Ein Alien will telefonieren
07.12.2012, 12:19 Uhr
Ein Kuss für den Außerirdischen: Drew Barrymore machte Karriere - nicht ganz problemfrei allerdings.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Ein Außerirdischer feiert Geburtstag: Vor 30 Jahren kommt "E.T. - der Außerirdische" in die Kinos und wird zum großen Filmerfolg. Was auf den ersten Blick wie eine Science-Fiction-Geschichte um ein Alien aussieht, erzählt auf den zweiten Blick von der Sehnsucht nach einem heilen Zuhause. Seinen Ursprung hat dies in der Kindheit von Regisseur Steven Spielberg.
Man kann nicht gerade behaupten, dass er eine Schönheit wäre: Der Hals ist lang, das Gesicht knautschig, der Unterleib plump. Er kann kaum sprechen, der Gang ist watschelig, mit der Balance hapert es mitunter. Er hat kein kuscheliges Fell wie Alf, von dessen Humor ganz zu schweigen. Trotzdem wurde "E.T." einer der beliebtesten Filmhelden aller Zeiten. An den Kinokassen übertrumpfte der Film von Regisseur Steven Spielberg alles bisher Dagewesene, auch den bisherigen Rekordhalter "Star Wars". Erst "Jurassic Park" von Spielberg selbst entthronte "E.T." elf Jahre später.

Steven Spielberg brachte seine persönlichen Erinnerungen mit in den Film ein.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Vor 30 Jahren, als "E.T. - der Außerirdische" in den deutschen Kinos anlief, konnte das noch keiner ahnen. Spielberg selbst zumindest rechnete offenbar nicht mit dem großen Erfolg. Vielleicht lag das daran, dass die Geschichte und die Hauptfigur zu sehr mit seinem persönlichen Leben zu tun haben. Nicht, dass Spielberg selbst einen Außerirdischen begegnet wäre. Zumindest nicht offiziell. Vielmehr entstand die Grundidee für "E.T." bereits Anfang der 60er Jahre, kurz nach der Scheidung seiner Eltern. Aus Schmerz über die Trennung erdachte sich der Jugendliche einen imaginären Begleiter - einen Außerirdischen, der ihm als Bruder- und Vaterersatz diente.
Es verwundert also kaum, dass Familie und Freundschaft im Mittelpunkt von "E.T." stehen: Da sind die Geschwister Elliott, Gertie und Michael, die mit ihrer kürzlich geschiedenen Mutter in einem amerikanischen Vorort leben. Außenseiter Elliott entdeckt E.T., der von seinem Ufo versehentlich auf der Erde zurückgelassen wurde, im Geräteschuppen. Er versteckt ihn bei sich zu Hause und entwickelt bald eine innige, telepathische Verbindung zu dem Alien. Als auch seine kleine Schwester und der große Bruder eingeweiht werden, beschließen sie, E.T. die Kontaktaufnahme zu seinem Raumschiff zu ermöglichen. Keine leichte Aufgabe, denn die Regierung ist dem Alien bereits auf der Spur, während es Elliott und E.T. gesundheitlich zunehmend schlechter geht.
Der Außerirdische eint die Familie
Klar, wer den Film gesehen hat, kennt das Ende und findet das vielleicht etwas zu süßlich. Dabei zeichnet Spielberg keineswegs eine heile Vorstadtwelt. Es ist vielmehr die Kindheit in einer Durchschnittsfamilie, wie sie viele Amerikaner kennen: Die Scheidung der Eltern und der Verlust des Vaters lassen einen Riss durch die Familie gehen. Es gibt Fast Food, Langeweile und Keile vom großen Bruder. Kein Wunder, dass ein Alien für Aufregung sorgt, die Kinder über sich hinauswachsen lässt und am Ende die ganze Familie versöhnt.

Das berühmte "Fingerleuchten" des Außerirdischen faszinierte - und blieb im kollektiven Gedächtnis.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Dabei wird der Film konsequent aus jener kindlichen Perspektive erzählt, oft auf deren Augenhöhe. Die Kinder werden zu vollwertigen Protagonisten, die ihre Ideale gegen das Eingreifen der Erwachsenen verteidigen. Diese wiederum werden anfangs fast nur von der Hüfte abwärts gezeigt. Sie sind der Kindheit mit ihren Spielen, ihrer Fantasie, aber auch ihrer Toleranz und Offenheit entwachsen, dem Nachwuchs aber gerade deshalb am Ende unterlegen.
Doch auch das Alien nimmt eine gänzlich untypische Rolle ein: Es ist nicht wie in vielen Filmen zuvor eine Gefahr, die die Erde angreift oder die Menschheit bedroht, sondern ein friedlicher Außerirdischer, der Pflanzen sammelt. Während er von den Erwachsenen gejagt wird, entwickelt er eine enge Verbundenheit zu den Kindern, die ihn beschützen. Andererseits beschützt er sie auch, wie eine der berühmtesten Szenen des Films zeigt: Seine überirdischen Fähigkeiten lassen die auf Fahrrädern fliehenden Kinder fliegen - sie entkommen der Polizei. In dieser Beschützerrolle wird der Ursprung der Figur in Spielbergs imaginärem Begleiter vielleicht am deutlichsten.
Schauspieler zum Schweigen verpflichtet
Aber auch sonst hinterließ die Kindheit des Regisseurs Spuren in dem Film: Das Haus, in dem Elliott und seine Geschwister leben, ist dem aus Spielbergs Kindheit nachempfunden. Und den Trick, das Thermometer an eine heiße Glühbirne zu halten, um der Mutter eine Krankheit vorzugaukeln, nutzte Spielberg anscheinend auch mehrmals. Er konnte sich also gut hineinfühlen in dieses Scheidungskind aus der Vorstadt. Nach den Dreharbeiten mit den Kindern sagte Spielberg übrigens, dass er sich jetzt bereit fühle, Vater zu werden.

Ein Wachs-E.T. steht inzwischen bei "Madame Tussaud's" - wenn er nicht zu Werbezwecken umhergefahren wird.
(Foto: Joel Ryan/Invision/AP)
Doch zurück zu E.T.: Dieser wurde von dem Italiener Carlo Rambaldi entwickelt, die Kosten betrugen 1,5 Millionen US-Dollar. Im Kostüm steckten abwechselnd drei kleinwüchsige Schauspieler. Diesen wurde allerdings von Spielberg untersagt, über ihre Rolle zu sprechen. Zudem mussten sie sich bei den Dreharbeiten am Rande aufhalten, um gegenüber den Kinderdarstellern die Illusion der Figur nicht zu zerstören. Nur Tamara De Treaux setzte sich über die Vereinbarung hinweg und sprach über ihre Rolle. Sie starb 1990 mit 31 Jahren an Herzversagen.
Die im Film verwendeten E.T.-Puppen wurden nach Ende der Dreharbeiten vernichtet, wohl auch, um zu vermeiden, dass teure Sammlerstücke in dunklen Kanälen verschwinden. Allerdings hat der Außerirdische noch einen späteren Filmauftritt. Genauer gesagt: Seine Spezies hat ihn. Für mehrere in "E.T." eingeflochtene Anspielungen auf "Star Wars" revanchierte sich dessen Schöpfer George Lucas in "Star Wars: Episode I" mit einer Vertretung der E.T.-Gattung im intergalaktischen Senat.
Vom Drogenwrack zur erfolgreichen Produzentin
Elliott-Darsteller Henry Thomas blieb eine große Karriere derweil versagt. Er spielte aber Nebenrollen in Filmen wie "Legenden der Leidenschaft" und "Gangs of New York" von Martin Scorsese, zuletzt trat er in Fernsehserien wie "Without a Trace", "CSI" und "The Mentalist" auf. Den großen Sprung schaffte nur seine kleine Filmschwester Gertie, dargestellt von Drew Barrymore, deren Taufpaten übrigens Steven Spielberg und Sophia Loren sind. Nach dem großen Erfolg mit "E.T." hatte der Spross einer großen Schauspielfamilie allerdings mit erheblichen Alkohol- und Drogenproblemen zu kämpfen: Mit zwölf Jahren war sie beim Kokain angekommen. Nach einem Selbstmordversuch, Therapien, Entzügen und der Autobiografie "Little Girl Lost" machte sie erst Mitte der 90er Jahre wieder als Schauspielerin von sich reden. Erfolge feierte sie mit "Kaffee, Milch und Zucker", "Scream" und den beiden "3 Engel für Charlie"-Filmen sowie als Produzentin. 2009 legte sie mit "Rollergirl" gar ihr Regiedebüt vor.
Steven Spielberg etablierte sich derweil endgültig als Hollywoods größter Blockbuster-Regisseur, dessen Filme oft von Illusionen, Träumen und Magie beflügelt werden. Die Kinozuschauer dankten es ihm: "E.T." kostete 10 Millionen Dollar, spielte aber 800 Millionen ein. Vier Oscars bekam er in technischen Kategorien. Als bester Film und bei der besten Regie unterlag er allerdings "Gandhi" von Richard Attenborough. Das konnte dem Ruf des Films als Klassiker aber nichts anhaben, bis heute erscheint er regelmäßig auf den verschiedensten Best-of-Listen. Der Erfolg hatte allerdings auch eine Schattenseite: "E.T." war der erste Blockbuster, der stark von Videopiraterie betroffen war - unzählige illegale VHS-Kopien waren im Umlauf.
Die Menschen konnten es eben kaum erwarten, den Film zu sehen. Doch was fesselt das Publikum so sehr? Sind es die ergreifende, emotionale Story und der märchenhafte Charakter mit dem Happy End, das noch heute Jung und Alt zu Tränen rührt? Sind es die Tricks und die Science-Fiction-Thematik? Oder ist es am Ende doch die kindliche Toleranz, die hervorgehoben wird, die Offenheit für das Fremde und die Neugier gegenüber dem Unbekannten? Vielleicht trägt auch das Zitat zum Erfolg bei, das allen einfällt, wenn es um den Film geht: "E.T. nach Hause telefonieren" (im Original: "E.T. phone home."). Denn wohl jeder sehnt sich nach diesem Zuhause. Egal, ob es ein jugendlicher Steven Spielberg ist, der die Scheidung seiner Eltern verkraften muss, oder ein Außerirdischer mit Knautschgesicht und plumpem Gang.
Quelle: ntv.de