
Es ist wahrscheinlich, dass die EZB in diesem Jahr die Zinsen senken wird.
(Foto: imago images / Ralph Peters)
Die Inflation geht deutlich zurück, die Eurozone schrammt nur knapp an einer Rezession vorbei. Trotzdem weigert sich die EZB beharrlich, die Zinsen zu senken - aus Gründen.
Bundesbank-Chef und Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank Joachim Nagel weiß, dass jedes seiner Worte auf die Goldwaage gelegt wird. Deshalb ist es bemerkenswert, dass er Anfang der Woche siegesgewiss verkündete, das "gierige Biest" Inflation sei gezähmt und handsam geworden. Wer aber deshalb davon ausgeht, dass die EZB in Kürze die Zinsen senkt, der dürfte vor einer Enttäuschung stehen.
Zwar gibt sich die Reihe der Zentralbankerinnen und -banker demonstrativ zuversichtlich, dass der Kampf gegen die Inflation so gut wie gewonnen ist. Die Richtung stimme, der Preisauftrieb nehme ab. Tatsächlich nähert sich die EZB ihrem Ziel der Preisstabilität, welches sie bei 2 Prozent erreicht sieht. Im Dezember war die Inflation zwar auf 2,9 Prozent gestiegen, nachdem sie noch im November bei 2,4 Prozent gelegen hatte. Von den im Herbst 2022 erreichten zweistelligen Rekordständen hat sich die Inflation aber deutlich entfernt.
Doch der EZB steckt ihre Fehleinschätzung in den Knochen, als die Inflation immer weiter nach oben geschossen war. Sie - und die zugrundeliegenden Prognose-Modelle - waren davon ausgegangen, dass die Preissteigerungen nur vorübergehend seien und von selbst wieder zurückgehen. Die Logik dahinter: Zinserhöhungen sind kein wirksames Mittel gegen die beiden damaligen Hauptursachen für die steigenden Preise: teurere Energie nach Russlands Überfall auf die Ukraine sowie durch die Corona-Pandemie gestörte Lieferketten.
Doch die Inflation griff um sich und setzte sich fest. Die EZB hatte die Gefahr unterschätzt, und diesen Fehler will sie keinesfalls wiederholen. In kurzer Zeit schraubte sie den Zins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können, von null auf 4,5 Prozent in die Höhe. Die Inflation bekam sie damit in den Griff. Doch für die Konjunktur war das ein heftiger Schlag.
Lieber noch etwas abwarten
Wegen ihres folgenschweren Irrtums nimmt die EZB trotzdem in Kauf, die Zinsen länger hochzuhalten als unbedingt nötig. Das liegt auch daran, dass Zinsschritte erst mit einer Verzögerung ihre volle Wirkung entfalten. Als Faustregel gilt ein Zeitraum zwischen 12 und 18 Monaten.
Eine große Angst der EZB ist, dass sich in der Bevölkerung die Erwartung festsetzt, die hohe Inflation sei von Dauer. Zum einen könnte das eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen. Arbeitnehmer setzen dann branchenübergreifend kräftige Lohnerhöhungen durch, da sie davon ausgehen, dass die Inflation auf absehbare Zeit nicht spürbar sinken wird. Unternehmen dürften dann versuchen, als Ausgleich die Preise zu erhöhen. Daraufhin steigt das allgemeine Preisniveau weiter - ein Teufelskreis.
Die EZB will vor diesem Hintergrund auf neue Daten warten, um jegliche Bedenken gegen eine Zinssenkung auszuräumen. Besonderer Fokus wird auf zweierlei gelegt: die Entwicklung der Löhne und die Kerninflation. Bei der letzteren Kennziffer sind die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise ausgeklammert. Sie ist ein verlässlicher Hinweis auf den Inflationstrend und ging im Januar ebenfalls wie die allgemeine Rate zurück - auf 3,3 Prozent von 3,4 Prozent im Dezember. Im Dezember hatte die EZB für dieses Jahr eine Teuerungsrate von 2,7 Prozent prognostiziert. Für 2025 rechnete die Notenbank seinerzeit mit einer Rate von 2,1 Prozent. Die nächste Prognose veröffentlicht die EZB im März.
Derzeit sprechen die Signale der EZB dafür, dass sie die Zinswende erst im Sommer einleitet. An der Börse wird dennoch die Wahrscheinlichkeit eines ersten Schritts nach unten bereits im April mit immerhin 75 Prozent taxiert. Für die EZB-Zinssitzung im Juni gilt ein solcher Schritt am Finanzmarkt als sicher.
Deutschland wird zum Bremsklotz
Für die EZB ist es zweitrangig, ob die Zinssenkungen zwei Monate früher oder später erfolgen. Auch für Unternehmen macht es keinen besonders großen Unterschied. Fest steht: Wenn sich die EZB für ein Datum entschieden hat, wird sie das vorher recht offen andeuten. "Forward Guidance" nennt sich das Prinzip, demzufolge Zentralbanken ihre künftigen geldpolitischen Entscheidungen im Vorfeld kommunizieren. Damit wollen sie vermeiden, etwa die Finanzmärkte zu überraschen.
Zu lange sollte die EZB allerdings nicht mehr warten. Denn die hohen Zinsen lasten auf der Wirtschaft der Eurozone. Nur knapp reichte es insgesamt von Oktober bis Dezember wenigstens noch zu einer Stagnation des Bruttoinlandsproduktes. Die deutsche Wirtschaft schrumpfte sogar um 0,3 Prozent zum Vorquartal. Die Furcht vor einer Dauerkrise hierzulande wächst - sinkende Zinsen wären deshalb sehr willkommen.
Quelle: ntv.de, mit rts/dpa