Auto

Auferstanden vom Modellfriedhof Der neue Scirocco ist da


Wer seine Kindheit in den 80er Jahren verlebt hat, assoziiert zum Thema Scirocco möglicherweise wenig Schmeichelhaftes. Dauerwelle und Vokuhila sind in der diffusen Erinnerung ebenso mit diesem Auto verbunden wie getönte Scheiben und fragwürdige Aufkleber mit kopulierenden Kaninchen oder den unvermeidlichen Neon-Farbklecksen. Der Ehrgeiz Fahrzeuge so scheußlich wie möglich zu verbasteln und mit absurden Lackierungen zu versehen, tat ein Übriges, um dem Scirocco einen Platz in der Hall of Shame im Autogedächtnis zu sichern.

Was also hat Volkswagen dazu bewogen, ausgerechnet dieses Fahrzeug wiederzubeleben? Möglicherweise haben die Manager erstmal ihre Modellpalette angeschaut und dann festgestellt: Uns fehlt ein sportliches Coup. Seit dem schnellen Tod des Corrado 1995 blieb dieses Segment bei VW unbesetzt. Warum also mit dem neuen Modell nicht dort anknüpfen, wo man früher mal erfolgreich war?

Licht im Dunkel bei VW

Als VW 1974 den ersten Scirocco auf dem Genfer Autosalon präsentierte, waren positive Impulse bitter nötig. Der Konzern lag finanziell am Boden, zu lange hatte man sich auf dem Selbstläufer Käfer ausgeruht. Im Vorjahr hatte Giorgio Giugiario mit dem Passat die neue Richtung vorgegeben: Mit klaren, fast strengen Linien statt barocker Rundungen war VW endlich in den 70er Jahren angekommen. Giugiario war mit den Entwürfen zum ersten Golf beschäftigt, als die Idee eines Sportwagens reifte. VW war finanziell allerdings noch lange nicht saniert und wollte sich auf das Risiko nicht einlassen.

Dass Giugiario seine Vision doch noch verwirklichen konnte, ist Karmann zu verdanken. Der VW-Auftragsfertiger brauchte Ersatz für den Karmann Ghia, dessen üppige Formen so wenig in die Zeit passten wie eine Marylin Monroe ins Germanys next Topmodel-Casting. Giugiario brachte zur richtigen Zeit das richtige Konzept: Seine Coup-Version gefiel auf Anhieb und so nahm Karmann die nötigen Investitionen komplett auf die eigene Kappe. Es sollte sich lohnen: Der Scirocco kam an, und zwar nicht nur bei Zahnarztgattinnen und Unteroffiziersanwärtern. Die Ölkrise war gerade überstanden und im Vergleich zur Konkurrenz war der Scirocco mit einem Leergewicht von 800 Kilo ziemlich sparsam unterwegs. Den sportlichen Anschluss an Ford Capri und Opel Manta schaffte die GTI-Version zwei Jahre später. Sportlich, preiswert und wirtschaftlich - mit diesen Eigenschaften verkaufte sich der markante Flitzer bis 1981 fast eine halbe Million Mal.

Mehr Eleganz, weniger Erfolg

Dann kam der lang vorbereitete Relaunch. Die hausinternen VW-Designer verpassten dem alten Fahrwerk ein neues, großzügigeres Gewand. Ihr windkanaloptimierter Scirocco II war etwas runder, länger, aber auch klobiger als der Vorgänger. Nicht alle fanden das schön. In einer Marktforschungsstudie von 1982 kritisierten mehr als die Hälfte der Befragten die neue Formgebung, insbesondere die Heckpartie stieß als "zu Porsche-orientiert" auf wenig Gegenliebe. Und obwohl sich VW bei der Werbung alle Mühe gab, die Sparsamkeit des neuen Sciroccos zu betonen, war es gerade das Geld, das potentielle Scirocco-Fahrer vom Kauf abhielt. Denn die günstige Einsteigerversion war weggefallen. War der erste Scirocco noch für weit unter 10.000 Mark zu haben, so musste man für die 60 PS-Variante des Zweiten gut 16.400 Mark hinblättern. Zuviel für die schraubwütige Jugend, die ihre Bastelgelüste erstmal an den Einser Modellen aus zweiter und dritter Hand austobte. Doch die Tuning-Exzesse der 80er gingen auch am Scirocco II nicht spurlos vorüber. Mit wuchtiger Frontschürze und dem Soundsystem einer Großraumdisco im Kofferraum konnte man beim Proletentreff an der Pommesbude ordentlich Eindruck schinden.

Spaß und Gas

"Ich geb Gas, ich will Spaß" hieß die Hymne der jugendlichen Sportsfreunde. Klar, dass die spritpreisorientierte Einführungskampagne ("Gestatten Sie, dass wir auch in Gegenwart eines so aufregenden Autos übers Sparen reden") die junge Zielgruppe kalt ließ. Gas geben und zwar günstig - diesem Wunsch kam VW 1983 mit dem Sondermodell GTS nach. Mit Sportlenkrad, Sportsitzen und Fünfganggetriebe war der 112 PS-GTS mit knapp 22.000 Mark um einiges preiswerter als die vergleichbar ausgestatteten Serienmodelle. Ein Renner sollte der GTX werden: Breitreifen und Rundumverspoilerung kamen beim effektheischenden Jungvolk an. VW reagierte auf diesen Erfolg und nahm das sportliche Sondermodell in die Serienpalette auf. Das Ziel, den Marktanteil des Scirocco bei den Unter-30jährigen zu steigern, war damit erreicht, allerdings zu einem hohen Preis: Die teuren Extras des GTX mussten aus dem Verkaufshilfenbudget subventioniert werden. Gelohnt haben sich die Sondermodelle letztlich nicht: Der Scirocco II blieb dauerhaft weit hinter den VW-internen Verkaufsprognosen zurück.

Kannibale Corrado

1988 bekam der Scirocco mit Konkurrenz aus eigenem Hause: Der Corrado war ursprünglich als Scirocco III geplant, kam dann aber als großer Bruder des Zweier auf den Markt - der Kannibalisierungseffekt war deutlich: Die ohnehin recht mageren Absatzzahlen brachen in Deutschland um gut 40 Prozent ein. Am Ende lief die Produktion am untersten Limit, Karmann montierte nur noch 40 Fahrzeuge am Tag. Im September 1991 setzte der Vorstand den Scirocco II auf die Abschussliste. Ein Jahr später verließ der letzte seiner Art das Osnabrücker Werk.

Nun ist der neue Scirocco also auferstanden vom Modellfriedhof. Flach, breit und mit muskulösen Zügen steht er ab jetzt bei den Händlern. Den Retrotrend haben die VW-Designer dankenswerterweise nicht mitgemacht, stattdessen nimmt der Scirocco mit seinem markanten schwarzen Kühlergrill das Design des neuen Golf VI vorweg.

Mit einem Einstiegspreis von 21.750 Euro für den 122 PS-TSI bietet VW wieder einen bezahlbaren Sportwagen fürs Volk. Es wird sich zeigen, ob er an den Erfolg des Einser anknüpfen kann oder wie der Zweier verschmäht wird. Die verbliebenen Tuning-Freunde zücken auf jeden Fall schon mal die Schraubenzieher.

Quelle: ntv.de

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