75 Jahre Renault 4 CV Galliens kleines Glück
28.10.2021, 07:51 Uhr
Mit rundlichen Formen im 3,61 Meter kurzen Format rettete der 4 CV Renault vor dem Untergang.
(Foto: Renault)
Als der Renault 4 CV die Herzen der Menschen in den ersten Nachkriegsjahren eroberte, war er in deren Augen mindestens so wichtig wie die Butter aufs Brot. Vielleicht bekam er auch deshalb in Frankreich den Namen "motte de beurre" - Butterklumpen. Aber auch in Deutschland erzielte der charmante Viertürer Erfolge.v
Nichts ist größer als der Wunsch nach Frieden, Freiheit und Wohlstand, wie auch die Premiere des Renault 4 CV vor 75 Jahren beim ersten Pariser Automobilsalon nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte. Im Grand Palais der Messe drängten sich die Menschen so dicht um dieses bezahlbare Mobilität versprechende viertürige Volksauto, wie sonst bei der Ausgabe von Butter, die nur auf Bezugsschein erhältlich war. Tatsächlich verdankte der anfangs stets cremefarben lackierte Heckmotor-Kleinwagen diesem begehrten Lebensmittel auch seinen französischen Kosenamen "motte de beurre" (Butterklumpen), während die Deutschen den familienfreundlichen Renault sogar zum "Cremeschnittchen" aufwerteten.

Bereits 1946 wurde der 4 CV beworben, die Großserienproduktion lief erst im August 1947 an.
(Foto: Renault)
Mit rundlichen Formen im 3,61 Meter kurzen Format rettete der offiziell nüchtern 4 CV (nach der Steuerklasse) genannte gallische Charmeur Renault erst vor dem Untergang - und dann katapultierte der Winzling die 1945 verstaatlichte Régie Renault in die Riege der acht weltgrößten Automobilhersteller. Der Rohstoffmangel in früher Nachkriegszeit hatte die französische Regierung veranlasst, die Pkw-Produktion ab 1946 planwirtschaftlich zu organisieren, wobei Renault als obsolet galt.
Er sollte ein Erfolgsschlager werden
Aber nicht mit Pierre Lefaucheux, jenem vom Industrieminister erst kurz zuvor installierten rebellischen Renault-Chef: Lefaucheux, Held der Résistance, errang eine Produktionsgenehmigung für den 4 CV, denn dieser sollte als devisenbringender Exportschlager für die Grande Nation reüssieren. Eine Mission, die glückte. Ob in Japan (Hino-Lizenz), Spanien (FASA-Lizenz), Australien, Afrika oder in Nordamerika, der bis 1961 gebaute Renault gewann Herzen und avancierte mit 1,1 Millionen Einheiten zum bis dahin meistverkauften französischen Auto.
Hatte Unternehmenspatriarch Louis Renault bis zu seinem Tod im Jahr 1944 noch die Entwicklung größerer Typen wie des 11 CV als Antwort auf den Citroën Traction Avant favorisiert, wurde überraschend der während des Zweiten Weltkriegs gegen das Verbot der deutschen Besatzer entwickelte Typ 4 CV zur Triebfeder, die den Aufstieg von Renault zum größten französischen Autobauer beschleunigte. Eine Vormachtstellung, die lange Zeit Citroën besetzt hatte und die eigentlich vom minimalistischen Nachkriegs-Kleinwagen 2 CV erneuert werden sollte. Aber dann kamen Pierre Lefaucheux und der knuffige-charmante 4 CV mit edel glänzender Chromspange im Gesicht.
Der eigentliche VW Käfer?
Vielleicht waren es die Widerstände aus Regierungskreisen gegen einen kleinen Volkswagen mit dem Logo des Rhombus, die Lefaucheux antrieben - oder es war seine Willenskraft, alle Vorhaben zum Erfolg zu führen: Der Widerstandskämpfer aus dem Weltkrieg, ehemalige Eisenbahnmitarbeiter, überzeugte Radfahrer und Ingenieur ohne persönliches Interesse an Pkw trieb das Projekt 4 CV seit dem 16. Januar 1945, dem Tag der Nationalisierung von Renault, als Generaldirektor furios voran. Darin ähnelte er dem VW-Chef Heinrich Nordhoff, der in Deutschland den Käfer groß machte.
Tatsächlich kreuzten sich die Wege von Käfer und Renault 4 CV mehrfach. So wird das Entstehen des rundlichen, als Prototyp noch zweitürigen französischen Heckmotor-Automobils von manchen Historikern fälschlich mit Ferdinand Porsche verbunden. Dem Käfer-Erfinder wurden in französischer Haft 1945 zwar Prototypen gezeigt, aber das französische Volksauto hat mit dem Wolfsburger fast nichts gemeinsam. In der Außenlänge um einen halben Meter kürzer offeriert der Renault trotzdem vier Türen (vorne als "Selbstmördertüren" an der B-Säule angeschlagen) und Platz für die Familie.
Auch im Motorsport erfolgreich
Möglich machte es der hinter der Hinterachse positionierte Vierzylinder, der trotz zwergenhafter Leistung von anfangs 17 PS Motorsportsiege in Serie einfuhr. Ob Rallye Monte Carlo, die 24 Stunden von Le Mans, Rundstreckenrennen oder Vmax-Weltrekorde in Montlhéry, der Renault 4 CV war von 1948 bis Ende der 1950er auf Sieg abonniert - sofern die Piloten die Tücken ungünstiger Gewichtsverteilung parierten, lasteten doch zwei Drittel vom 600 Kilogramm betragenden Gesamtgewicht auf der Hinterachse. Mehr noch als der VW tendierte der Renault deshalb bei beherztem Gasgeben zu Pirouetten.
Kommerziell konkurrierten das bis dahin meistproduzierte französische Auto aller Zeiten - schon 1954 feierte Renault eine halbe Million verkaufte 4 CV - und der deutsche Volkswagen auf allen Kontinenten miteinander. Pierre Lefaucheux popularisierte den auch als extravagante Cabrio-Limousine oder nüchternen Lieferwagen erhältlichen Viertürer rund um den Erdball und Montagewerke gab es sogar in kleinen Ländern wie Israel und Irland. Mehr verkaufte 4 CV als Käfer, diesen Triumph zelebrierten die Franzosen in Nordafrika und in einem Teil Deutschlands.
Jedes vierte Importauto ein 4 CV
Im Saarland, das erst 1957 als zehntes Bundesland integriert wurde, war das "Cremeschnittchen" unangefochtener Marktführer. In der übrigen Bundesrepublik dominierte der kleine Gallier immerhin die Importcharts - jedes vierte Importauto war 1950 ein 4 CV! Kaum zu glauben, aber auch im Land der Straßenkreuzer und Hubraum-Giganten fand der winzige 0,7-Liter-Vierzylinder verblüffend viele frankophile Fans. Mit dem kräftigeren und unkaputtbaren Langstreckenläufer Volkswagen Käfer konnte es der nur knapp 100 km/h schnelle Renault in den USA jedoch nie aufnehmen. Dafür feierten die Japaner den ab 1953 bei Hino-Diesel in Lizenz gebauten 4 CV als nationalen Kleinwagen-Pionier, denn die ersten Anläufe von Toyota und Nissan in dieser Klasse waren halbherzig gewesen.

Platz für Gepäck bot der Renault 4 CV unter der Fronthaube. Der Motor war im Heck untergebracht.
(Foto: Renault)
Da Kopie in Japan als höchste Form der Anerkennung galt, bauten die Hino-Ingenieure den 4 CV bald detailgetreu, aber in deutlich perfekterer Qualität nach - worauf Hino entschied, die Zahlung von Lizenzgeldern an Renault einzustellen. Lefaucheux reiste umgehend nach Japan, konnte aber nichts erreichen, da der Hino 4 CV ein Politikum geworden war. Die japanische Regierung und das Kaiserhaus arrangierten einen hochoffiziellen Besuch des Kronprinzen Akihito im Renault-Werk Billancourt und adelten die Hino-Adaption des 4 CV dadurch zum japanischen industriellen Kulturgut, das übrigens länger in Produktion blieb als das Vorbild.
Bildete in Deutschland der Käfer die technische Grundlage für die ersten Porsche-Sportwagen, übernahm westlich des Rheins der Renault 4 CV diese Rolle, als es darum ging, die legendären Alpine-Sportwagen des Autobauers Jean Rédéle in Fahrt zu bringen: Die ersten Alpine-Renner vom Typ A 106 basierten auf dem Renault 4 CV. Auch französische Karossiers und italienische Carrozzeria schätzten den stabilen Viertürer so sehr, dass sie ihn in Coupés, Cabriolets, Roadster, Coaches oder Strandwagen umbauten - über 40 Karosserievarianten sind bekannt.
Renault selbst spendierte dem 4 CV regelmäßigen Feinschliff und dank dieser Updates überlebte das Massenmobil 1956 sogar die Einführung seiner designierten Nachfolgerin, der Dauphine. Erst den 1961 lancierten fünftürigen Typen Renault 3 und 4 mit Frontantrieb gelang es, den 4 CV abzulösen. Immerhin hielt der weiterhin genutzte Vierzylinder die Erinnerung an das Cremeschnittchen lebendig.
Quelle: ntv.de, Wolfram Nickel, sp-x