Porsche 911 turbo Jetzt darf auch gepaddelt werden
17.10.2009, 12:09 Uhr
Das liebste Revier des Turbo-Fahrers ist die gewundene Landstraße. Dort sind die Rennsportgene des Autos am besten zu spüren.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Mit einem vergleichsweise bescheidenen Zuwachs von 20 PS startet der Porsche 911 turbo in die siebte Generation. Dennoch ist das Allradcoupé der Konkurrenz in vielen Disziplinen messbar überlegen. Und der Fortschritt in der Kundenorientierung ist förmlich mit Händen zu greifen.
Auch ohne den "Wagen" als zweiten Wortteil enthält der Begriff "Sport" die Absicht zur Leistung. Leistung heißt messen, messen heißt vergleichen, vergleichen heißt verbessern. Diese Logik funktioniert - kaum überraschend - auch bei Sport-Wagen. Um den neuen Porsche 911 turbo richtig zu verstehen, muss man aber nicht nur Sport wagen, sondern auch nachschauen, wie er wurde, was er ist.
Vor genau 25 Jahren durfte die Motorsport-Gemeinde zwei Ereignisse zur Kenntnis nehmen: Niki Lauda gewann die Formel 1-Weltmeisterschaft. Der Profi siegte mit einem Porsche-Motor im Rücken. Die Sportwagenschmiede tat aber gleichzeitig etwas für die Amateure. Der erste 911 turbo wartete mit bis dahin nicht gekannter Leistungsentfaltung auf - wenn die Entfaltung erst einmal begonnen hatte.

Charakteristisch seit 1974: Ein großer Heckspoiler sorgt auf der Motorhaube des Turbos für Anpressdruck.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Das berüchtigte "Turbo-Loch" beschreibt Ex-Rallye-Weltmeister Walter Röhrl so: "Damals musste man vor der Kurve kräftig Gas geben, um nach der Kurve den gewünschten Schub zu bekommen". Damit ist es längst vorbei. So zielstrebig, wie der Gasfuß Richtung Bodenblech drückt, so unmittelbar setzt der Druck im Kreuz ein, wenn der 3,8-Liter-Motor mit 500 PS anschiebt. Das sind fast doppelt soviel Pferdchen wie beim Erstling 1974 (damals waren es 260 PS) und das maximale Drehmoment hat sich mit 700 Newtonmeter mehr als verdoppelt (damals 340 Nm). Walter Röhrl ist sicher: "Es gibt keine andere Möglichkeit, soviel Kraft zu spüren, wie mit einem Turbomotor."
Äußerlich nur wenig Neues
Das von zwei Turboladern befeuerte Boxeraggregat kann nicht nur den Durchschnitts-Autofahrer, sondern auch hochspezialisierte Maschinenbauer begeistern. Grund dafür sind die beweglichen Schaufeln der Lader, variable Turbinengeometrie nennt das der Fachmann. Bekanntlich wird der Abgasstrom genutzt, um zusätzliche Luft in die sechs Zylinder zu schaufeln - mehr verbrennbarer Sauerstoff bedeutet mehr Leistung. Da aber das Abgas eines Benzinmotors deutlich heißer ist als bei Dieselmotoren, stoßen die üblichen Turbinenwerkstoffe leicht an ihre Grenzen. Porsche nutzt - bisher exklusiv - eine Nickel-Superlegierung, die Temperaturen bis 1000 Grad Celsius verträgt.

Wer sich den Fahrtwind um die Nase wehen lassen möchte, muss beim Porsche 911 turbo gegenüber dem Coupé mehr als 11.000 Euro draufzahlen.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Dass der 911er turbo ein heißes Eisen ist, hat die Fangemeinde schon immer gewusst. Dort, wo Niki Lauda einst seinen Formel-1-Triumph feierte - auf dem portugiesischen Estoril-Kurs - testet die internationale Fachpresse noch bis Ende des Monats, worin sich der neue Turbo vom bisherigen unterscheidet. Äußerlich sind die Veränderungen minimal. Außer dem LED-Tagfahrlicht anstelle der Nebelscheinwerfer, titanfarbenen Lamellen an den seitlichen Lufteinlässen und vergrößerten Endrohren ist nicht viel zu entdecken. Optional gibt es neuerdings Zentralverschlüsse für die Räder, wie sie auch schon bei den GT-Modellen angeboten werden.
Die großen Veränderungen finden unter der Haut statt, weshalb Porsche-Projektleiter August Achleitner auch von einer "Herztransplantation" spricht. Der von Grund auf neu entwickelte Motor wurde etwas leichter, unter anderem deshalb, weil die Ölzirkulation nunmehr von sieben statt bisher neun Pumpen bewerkstelligt werden kann. Neu (und aufpreispflichtig als Teil des Sport-Chrono-Pakets) ist die elastische Motoraufhängung, die sich bei dynamischer Fahrweise so verhärten kann, als sei der Antriebsblock fest mit der Karosserie verschraubt. Will jemand gemütlich cruisen und legt wert auf Reisekomfort, sind die Einheiten so entkoppelt, dass sich die Bewegung des schwersten Fahrzeugteils nicht auf die Passagierkabine überträgt.
Effizienter dank Direkteinspritzung
In der Vergangenheit wählte etwa die Hälfte der Turbo-Kunden ein Fahrzeug mit automatischem Getriebe. August Achleitner schätzt, dass es bald drei Viertel sein könnten, denn das neue Doppelkupplungsgetriebe (PDK) bringt auch für das Allradcoupé nichts als Vorteile. Es ist leichter (bis 25 Kilo Gewichtsersparnis gegenüber dem Vorgänger), schaltet schneller als die meisten Rennfahrer es können (3,4 Sekunden von Null auf 100 km/h) und drosselt obendrein noch den Verbrauch (11,4 statt 13,6 im Mittel nach EU-Norm). Die angenehmste Veränderung: Es darf jetzt auch gepaddelt werden. Die nervigen Wipptasten für den manuellen Eingriff ins automatische Getriebe kommen ins Museum, mit den modernen Schaltpaddeln wird die Reaktion des Herstellers auf vielfachen Kundewunsch real greifbar.

Die großen seitlichen Lüftungsöffnungen sind nötig, um den 500-PS-Motor ausreichend zu beatmen.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Wer keine Rennstrecke für den Selbstversuch zur Verfügung hat, möge dem Autor dieses Beitrags glauben: Mit PDK und aktivierter Launch Control meistert der Turbo die Aufgabe Stand-Spurt-Stand mit 212 km/h Top-Speed mittendrin in nur atemberaubenden 17 Sekunden. Faszinierend ist aber nicht nur die explosive Kraftentfaltung, der unwiderstehliche Biss der (sündhaft teuren) Keramik-Bremsen. Die Präzision, mit der sich das knapp 1,6 Tonnen schwere Gefährt um die Kehren zirkeln lässt, die Ausgewogenheit, mit der es in der Schikane umgesetzt wird, um sich dann wieder energisch fauchend in das Asphaltband zu krallen – das ist der Unterschied zwischen einem Porsche Turbo und einem gewöhnlichen Sportwagen.
Hilfreich bei schnellen Richtungswechseln ist das so genannte Torque Vectoring. Eine mechanische Hinterachsquersperre und eine variable Verteilung der Antriebsmoments an der Hinterachse durch gezielte Bremseingriffe am kurveninneren Rad erhöhen die Lenkpräzision und wirken dem Untersteuern entgegen.
Kühlung wenn's heiß hergeht
Wem es ob der beeindruckenden Längs- und Querdynamik doch mal etwas zu warm wird hinterm Steuer, für den hält der Hersteller eine weitere Neuerung bereit. Erstmals können auch klimatisierte Sitze bestellt werden. Abweichend von der bei anderen Herstellern üblichen Technik, die durch die Poren der Lederbezüge gekühlte Luft fächelt, bedient sich der Komfortsitz von Porsche einer Absaugvorrichtung. Auf der Rundstrecke steht man schnell mal unter Dampf, doch mit dem sportlichen Gestühl wird zum Beispiel am Rücken der Insassen entstehende Hautfeuchtigkeit sogleich kanalisiert.
Der neue 911 Turbo ist in ernster Gefahr, für das perfekte Auto gehalten zu werden. Doch straffe Runden auf dem Rennkurs mit mehr als 20 Litern Durchschnittsverbrauch, ein Gepäckfach von 105 nur Litern und der exorbitante Preis von mindestens 145.871 Euro lassen der Begeisterung schnell wieder eine realistische Betrachtung folgen. Für 157.057 Euro ist übrigens noch ein Cabrio im Angebot - natürlich mit einer noch oben offenen Liste an Sonderausstattungen.
Quelle: ntv.de