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Unterwegs in China Roadtrip in eine unbekannte Welt

In Shanghai sind die Straßen selten so leer wie auf diesem Bild.

In Shanghai sind die Straßen selten so leer wie auf diesem Bild.

Die Geschäfte auf den Einkaufsmeilen, die Restaurants am Flughafen, die Autos auf der Straße - auf den ersten Blick wirkt China fast schon vertraut. Doch wer sich auf eigener Achse aus Shanghai herauswagt, findet sich nach wenigen Minuten in einer unbekannten Welt wieder.

Im Reich der Mitte darf man es als Autofahrer nicht eilig haben.

Im Reich der Mitte darf man es als Autofahrer nicht eilig haben.

Es ist das größte Land der Erde, die Zahl der Einwohner ist unerreicht und seit der schrittweisen Liberalisierung des Kommunismus ist es auch der Motor der Weltwirtschaft - an China führt kein Weg mehr vorbei. Doch wissen wir über das Reich der Mitte erschreckend wenig. Das jedenfalls ist der Eindruck, den man auf einem Roadtrip gewinnen kann, wenn man das Land mit eigenen Augen und auf eigener Achse erkundet. Denn sobald man Städte wie Shanghai oder Peking verlassen hat, ist es mit der globalen Kultur nicht mehr weit her und man muss schon ziemlich polyglott sein, wenn man sein Ziel ohne Umwege erreichen will.

Das liegt zum einen sicher an unserer westlichen Arroganz. Doch machen es einem die Chinesen auch nicht leicht. Nicht nur, dass man sich mühsam und langwierig um ein Visum bemühen muss. Nein, auch den Führerschein wollen sie so einfach nicht anerkennen. Deshalb braucht man erstens eine beglaubigte Übersetzung und muss zweitens nochmal zur Prüfung in die Kaserne der Verkehrspolizei. Dort allerdings gilt es weniger, die Kunde und Treue der Regeln unter Beweis zu stellen, als die körperliche Eignung. Als ginge es nochmal zur Musterung, wird man in einem halben Dutzend Amtsstuben von freundlichen alten Damen in nicht mehr ganz so weißen Kitteln vermessen, macht Hör-, Seh- und Reaktionstests und muss unter den gestrengen Blicken des medizinischen Dienstes ein paar Kniebeugen machen und sich den Blutdruckmessen lassen. Fehlt nur noch, dass man sich bücken und husten muss. Aber andererseits: Wer sich auf dieses Abenteuer einlässt, der sollte vielleicht auch fit sein.

Wer die Stadt verlässt findet auch auf dem Land gut ausgebaute Straßen.

Wer die Stadt verlässt findet auch auf dem Land gut ausgebaute Straßen.

Ja, die Metropolen mögen mittlerweile ziemlich westlich wirken und nicht viel anders sein als Paris, London oder New York. Wenn da nicht ihre schiere Größe wäre, die die Vorstellungskraft sprengt und den ganzen Fahrer fordert. Bei inoffiziell über 45 Millionen Einwohnern ist es kein Wunder, dass Shanghai aus allen Nähten platzt und dass die Straßen selbst mit acht oder zehn Spuren den Verkehr kaum fassen können. Nicht umsonst geht zwischen morgens um sieben und abends um elf nicht viel voran.

In einer fremden Welt

Sobald man allerdings einmal den Ballungsraum Shanghai verlassen hat, der auf der Fläche von Luxemburg mehr Menschen und Autos beheimatet als alle Benelux-Länder zusammen, ist man in einer völlig fremden Welt unterwegs. Die Häuser und der Verkehr werden lichter und schon nach zwei, drei Stunden ist man auf den erschreckend gut ausgebauten Landstraßen sogar mal für ein paar Minuten alleine. Doch nichts ist hier so wie es scheint.

In vermeintlich hypermodernen Tankstellen werden die Quittungen noch von Hand geschrieben, hinter spiegelnden Fassaden warten gammelige Garküchen und selbst die Autos wirken nur auf den ersten Blick vertraut. Denn zum Beispiel die Mercedes C- und E-Klassen für diesen Trip kommen nicht aus Bremen oder Sindelfingen, sondern aus Peking und werden dort ausschließlich mit verlängertem Radstand für mehr Beinfreiheit im Fond gebaut. Nicht so sehr, weil sich der Chinese gerne chauffieren lässt. Sondern weil er anders als der Europäer öfter mal seine Eltern mitnimmt. Die haben nämlich in der Regel selbst gar keinen Führerschein, weil die Massenmotorisierung erst vor 30 Jahren begonnen hat.

In den Dörfern abseits der chinesischen Metropolen ticken die Uhren nochmal anders.

In den Dörfern abseits der chinesischen Metropolen ticken die Uhren nochmal anders.

So groß das Land ist und das Chaos, das auf den Straßen herrscht, so gut ist es organisiert oder so gut organisiert es sich selbst. Die Verkehrsführung ist kompliziert aber durchdacht, die Straßen sind gut ausgebaut und – wenn auch außerhalb der Metropolen nur in Chinesisch gut beschildert – und egal ob Mautstelle oder Ampelkreuzung mit Countdown – alles ist auf maximale Effizienz getrimmt.

Dass der Verkehr halbwegs gesittet abläuft, man in diesem Chaos überraschend wenige ernsthafte Unfälle sieht und das Hupen eher als freundliche Geste denn als Aggression wahrgenommen wird, liegt zum einen sicher am Naturell der Chinesen, die einen Hang zum Phlegmatismus haben und sich ihrem Schicksal ergeben – selbst wenn das ein Stau von vielen Stunden ist. Zum anderen liegt es daran, dass China seinem Ruf als Überwachungsstaat alle Ehre macht. Alle paar Minuten meldet das Navigationssystem eine Kamera, die mal die strikten Tempolimits kontrolliert, mal die roten Ampeln und mal dafür Sorge trägt, dass niemand die Busspur benutzt. Über den Tag summiert sich das auf mehrere hundert, und weil die Strafen hart sind und die Toleranzen gering, hält sich jeder ziemlich genau an die Regeln. Da braucht es ansonsten gar keine massive Polizeipräsenz mehr, um das Chaos in Grenzen zu halten.

Infotainment wichtiger als Antrieb

In den kleineren Städten Chinas kann es auf den Straßen mächtig eng werden.

In den kleineren Städten Chinas kann es auf den Straßen mächtig eng werden.

Außerdem erkennt man auf einer Tour über Land sehr schnell, weshalb den Chinesen das Infotainment wichtiger ist als der Antrieb. Nicht nur, weil jeder Chinese im Schnitt sechs Stunden online ist am Tag, sondern auch, weil man ohne Smartphone selbst auf der Straße aufgeschmissen ist. Man bucht damit seinen Shuttle beim Uber-Konkurrenten Didi oder den Fahrer, der nach einem feuchtfröhlichen Abend den Wagen heil nach Hause bringt. Man hat selbst dann eine aktuelle Navigation, wenn sich der Straßenverlauf quasi im Tagesrhythmus ändert, und vor allem hat man nur dann das allgegenwärtige WeChat, das den Alltag der Chinesen stärker regiert als jede andere App. Zudem bezahlt der Chinese damit seine Autobahngebühr, tankt seinen Wagen oder lädt seinen Akku und selbst die Strafzettel werden damit online beglichen.

Schaut man in die Fahrzeuge hinein, erkennt man durchweg junge Gesichter. Und die Chinesen sind nicht nur jünger, sie sind auch gieriger auf immer neue Autos. Während Märkte wie Deutschland oder die USA mit über 600, 700 Fahrzeugen pro 1000 Einwohner längst gesättigt sind, haben im Reich der Mitte erst 70 von 1000 Bürgern einen eigenen Wagen. Seit zehn Jahren verkauft zum Beispiel Mercedes 70 Prozent seiner Neuwagen an Menschen, die noch nie vorher ein Auto besessen haben. Selbst ein Viertel der S-Klasse-Kundschaft zählt zu den PS-Novizen. Im Rest der Welt liegt dieser Schnitt über alle Baureihen gerechnet bei fünf bis zehn Prozent.

Wie überall steht auch bei den Chinesen das SUV hoch im Kurs. Und wie in allen Dingen sind Maos Erben ein bisschen extremer und konsequenter als der Rest der Welt. Deshalb rechnen Experten damit, dass schon bald jedes zweite neue Auto in China ein Geländewagen sein könnte. Nicht umsonst hat zum Beispiel Mercedes mit dem Maybach Ultimate Luxury gerade hier seine eigenwillige Kreuzung aus Limousine und SUV präsentiert und hätte den Wagen von der Auto-Messe in Peking weg ein paar Dutzendmal verkaufen können – egal, welchen Preis die noble Mercedes-Tochter dafür aufgerufen hätte.

Zwar ist der Wandel in China unaufhaltsam und das Tempo der Entwicklung atemberaubend. Doch als Autofahrer darf man es im Reich der Mitte nicht eilig haben. Auf dem Land nicht, weil die Tempoüberwachung selbst im hintersten Winkel nahezu lückenlos ist. Und in den Städten nicht, weil es dort schon jetzt zu viele andere Autos gibt. Die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt bei 29 km/h und ist damit kaum halb so hoch wie etwa in Deutschland. Und die Rushhour ist die Hölle, erst recht, wenn es regnet. Zumindest das scheint offenbar überall auf der Welt gleich.

Quelle: ntv.de, hpr/sp-x

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