In Zukunft reichen zwei Liter Volvos Abschied von Hubraum und Zylinder
24.09.2013, 11:54 Uhr
Den XC60 mögen die Kundern besonders gern: die Nachfrage steigt noch immer.
(Foto: Axel F. Busse)
Ein Buchstabe hat Konjunktur in der Autobranche: Das "E" dürfte gegenwärtig der meist beschäftigte Teil des Alphabets sein, denn das klingt nach Zukunft, nach Innovation und nach Umweltverträglichkeit. Nicht immer hat "E" gleich etwas mit Elektrik zu tun, wie Volvo mit seiner neuen Motorengeneration "Drive E" beweist.
Ganz und gar unfair wäre es, die neue Motorengeneration der schwedischen Marke als Luftnummer zu bezeichnen, auch wenn es, wie Entwicklungschef Peter Mertens bestätigt, tatsächlich und explizit um das Thema Luft geht. Die wird zur Gemischaufbereitung gebraucht, je mehr davon, desto besser lassen sich Leistungs- und Effizienzdaten gestalten. Um die Zufuhr des verbrennungsfördernden Sauerstoffs in bestmöglicher Menge zu gewährleisten, kommen Kompressor- und Turbotechnik zum Einsatz. Gleichzeitig verabschiedet sich Volvo von Zylindern. Motoren mit acht Brennräumen wurden schon vor längerer Zeit in Rente geschickt, demnächst sind die Sechs- und Fünfzylinder dran.
Bis zum Ende des Jahrzehnts werden dann alle Volvo maximal Vierzylinder fahren. Die Ersten können die Kunden in Deutschland Anfang 2014 in den Modellen der 60er-Reihe bekommen. Nicht ohne Stolz verweist der schwedische Hersteller in chinesischem Besitz darauf, dass es sich um komplette Eigenentwicklungen handele. Die Otto- und Dieselmotoren kommen mit jeweils zwei Litern Hubraum aus. Weniger Zylinder bedeutet auch weniger Gewicht. Beim XC90, dessen Nachfolger 2014 vorgestellt werden soll, geht man von einer Erleichterung um bis zu 150 kg aus. Das von Technikern als ideal angesehene Zylindervolumen von 0,5 Litern bleibt auch bei einer weiteren Neuentwicklung erhalten, dem 1,5-Liter-Dreizylinder. Allerdings gibt es für dessen Einsatzpremiere in einem Volvo-Serienauto noch keinen Termin.
Zwei Lader machen Druck

Die Farbthemen der Instrumente sind bei den neuen Modellen individuell programmierbar.
(Foto: Axel F. Busse)
Zunächst sollen die Kunden von den Vorteilen der neuen Vierzylinder überzeugt werden. Die Brandbreite der verfügbaren Leistung wird mit ihrer Einführung beim Diesel von 120 bis 230 PS reichen. Beim Benziner wird sogar mehr als die Verdoppelung der Basisleistung erreicht. Die Ottomotoren sind zwischen 140 und 306 PS stark. Damit, hofft Volvo, sind sowohl die Bedürfnisse der auf Wirtschaftlichkeit bedachten Kunden als auch die sportlich orientierten Nutzer zufrieden zu stellen. Während die Selbstzünder auf die Twinturbo-Technologie zurück greifen, setzt der Spitzenbenziner auf eine Kombination aus mechanischem Lader und abgasgesteuertem Verdichter.
Zusätzlich wird die in der 60er-Baureihe bisher benutzte 6-Gang-Automatik von einer Schaltbox mit acht Stufen abgelöst. Im Unterschied zu vielen anderen Herstellern setzt Volvo aber nicht das deutsche Fabrikat aus Friedrichshafen ein, sondern das Produkt von Aisin-Warner. Seit Jahrzehnten bedient sich Volvo aus den Regalen des japanischen Zulieferers. Rund 60 Prozent der deutschen Kunden haben in der Vergangenheit eine Automatik für ihr Auto bestellt. Volvo erwartet für das neue Getriebe eine noch höhere Akzeptanz.
Der neue Vierzylinder-Benziner mit der Typenbezeichnung T6 hat 306 PS und verfügt über ein maximales Drehmoment von 400 Newtonmetern. Laut Volvo soll die Limousine S60 damit auf einen Durchschnittsverbrauchs von 6,4 Liter je 100 Kilometer kommen. Wie die Probefahrt zeigte, liegen die Stärken dieses Fahrzeugs in der sanften Kraftentfaltung. Eine brachiale Wucht, wie sie die Eckdaten nahe legen könnten, entfacht der kräftige tritt aufs Gas nicht. Vielmehr zieht der Volvo geschmeidig ab etwa 2000 Touren hoch, denn dann wirkt das maximale Drehmoment. Etwas früher, schon ab 1500 Umdrehungen, ist der T5-Motor mit 245 PS da, dann wird mit 350 Newtonmetern angeschoben. Der Verbrauch des T6-Motors gibt Volvo für den Kombi V60 mit 6,7 Litern an, den des Bestsellers im Volvo-Programm, dem XC60, mit 7,3 Litern je 100 Kilometer.
60er-Reihe auch optisch renoviert

Der Kombi V60 gehört zu den Modellen, die als erstes mit den neuen Motoren ausgerüstet werden.
(Foto: Volvo)
Ebenfalls auf 400 Newtonmeter Drehmoment können sich die Käufer des neuen Common-Rail-Turbodiesels verlassen, der wobei die Injektoren mit einem Betriebsdruck von bis zu 2500 bar arbeiten. Der D4-Motor leistet 181 PS und verwendet ein neuartiges Einspritz-Kontrollsystem "i-Art", das anstelle eines einzigen Drucksensors in der Kraftstoffleitung Sensoren an jedem Einspritzventil nutzt. So soll die ideale Kraftstoffmenge noch besser errechnet und eine optimale Zündung erreicht werden. Der V60 mit dem D4-Motor verbraucht in Verbindung mit dem manuellen Sechs-Gang-Schaltgetriebe 3,8 Liter je 100 Kilometer und liegt damit sogar noch unter dem Wert des hauseigenen 1,6-Liter-Diesels. Auf etwas mehr kommt der Kombi mit der Acht-Gang-Automatik (4,2 Liter) und im XC60 sind es laut Hersteller 4,6 Liter je 100 Kilometer. Die Probefahrt mit dem V60 und einem Bordcomputerwert von 5,3 Litern war zu kurz, um aussagekräftige Verbrauchswerte aus der Praxis zu produzieren. Gewissheit gab es aber darüber, dass der Diesel in Laufkultur und Geräuschentwicklung mit den vergleichbaren Fabrikaten aus deutscher Fertigung mithalten kann.
Die Indienstellung der ersten Motoren der neuen Generation geht einher mit einer optischen Renovierung der 60er-Reihe. So sind zum Beispiel die Motorhauben stärker modelliert und die bisher sichtbaren Düsen der Scheibenwaschanlage unter die Oberfläche verlegt worden. Das nützt der Aerodynamik. Der neu gestaltete Kühlergrill wirkt jetzt breiter und das Markenlogo darauf wurde vergrößert. Die S60 Limousine bekam neu gezeichnete Scheinwerfergläser. Für die Limousine und den Kombi V60 kann der Kunde jetzt zwischen vier Fahrwerkseinstellungen wählen. Serienmäßig wird das Dynamik-Fahrwerk verbaut, als Option sind Komfort-, das aktive Volvo Four C-Fahrwerk und das tiefer gelegte Sportfahrwerk erhältlich.
Erweiterung um Plug-In-Technologie
Der Name Volvo wird nicht nur von Kunden der Marke mit der Erwartung an einen hohen Sicherheitsstandard verknüpft. Dem tragen die neuen Modelle durch Erweiterung der Verkehrüberwachungs- und Assistenzfunktionen Rechnung. Zum Beispiel erkennt das Frontradar-System jetzt nicht nur Fußgänger, die den Fahrweg zu kreuzen drohen, sondern auch Radfahrer. Das so genannte Blind Spot Information System (BLIS) zur Überwachung des toten Winkels erkennt Fahrzeuge in bis zu 70 Metern Entfernung und warnt vor riskanten Spurwechseln. Ebenfalls neu ist der optionale Cross Traffic Alert. Das System warnt zum Beispiel beim Rückwärtsausparken vor Querverkehr in einem Umkreis von bis zu 30 Metern.
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht, haben die "Drive-E"-Motoren eine künftige Elektrifizierung praktisch schon mit eingebaut. Laut Entwicklungschef Peter Mertens ist die Architektur der Fahrzeuge so ausgelegt, dass die frontgetriebenen Modelle mit einem überschaubaren Aufwand zu Hybrid-Autos aufgerüstet werden könnten. Seiner Überzeugung gibt die Plug-In-Technologie "Antworten auf die Fragen der nächsten zehn Jahre" und ist damit die aus heutiger Sicht am meisten erfolgversprechende. Auf Volvo gemünzt würde das bedeuten, dass bestehende Modelle um ein Batteriepack zwischen den Achsen und einen Elektromotor im Heck ergänzt würden.
Die Gruppe der Hersteller, die gemeinhin als Premium-Marken bezeichnet wird, ist aus Volvo-Sicht kein Trio. Die Schweden sehen sich als Teil eines Quartetts, was eine durchaus selbstbewusste Preispolitik begründet. Für die Autos mit den neuen Drive-E-Motoren bedeutet dies, dass der Volvo S60 als Diesel mit 181 PS ab 33.750 Euro zu haben ist. Ein XC60-Benziner kostet als leistungsstärkste Version 46.250 Euro. Noch 650 Euro mehr ausgeben muss man für einen V60 mit dem 306-PS-Benziner.
Quelle: ntv.de