Leben

Galerist zu sein ist bereichernd Alfred Kornfeld - vom Banker zum Brückenbauer

Freut sich über wunderbare Begegnungen in der Kunst: "Beruf darf auch Spaß machen“, so der 56-Jährige.

Freut sich über wunderbare Begegnungen in der Kunst: "Beruf darf auch Spaß machen“, so der 56-Jährige.

(Foto: Galerie Kornfeld)

Die Fasanenstraße im Berliner Westen hat sich von der Luxusshopping-Meile zum Kunst-Eldorado gewandelt. Hier finden sich Läden, die Fotoprints für alle verkaufen, das altehrwürdige Auktionshaus Grisebach, das Literaturhaus mit seinem traumhaften, ruhigen Garten und diverse, international agierende Galerien. Alfred Kornfeld, von allen nur Freddy genannt, hat hier seinen Neustart gewagt und ist seither nicht mehr wegzudenken. In gleich zwei der prächtigen Gründerzeithäuser zeigt er zeitgenössische Kunst. Seine Galerie Kornfeld hat er vor zehn Jahren gegründet. Für offene Partnerschaften, Residenzen und Kooperation kam 2015 der Projektraum "68projects" hinzu. Ein Gespräch mit dem sehr offenen, stets lässig gekleideten Quereinsteiger über Berufsfelder, Überraschendes, Kunsthandel und Menschsein.

ntv.de: Wie entscheiden Sie sich als Galerist für eine Künstlerin oder für einen Künstler?

"Nach London war Berlin der einzig mögliche Ort für mich. Es herrscht eine unglaubliche Offenheit und Unterschiedlichkeit“, erklärt der Galerist seine Standortwahl.

"Nach London war Berlin der einzig mögliche Ort für mich. Es herrscht eine unglaubliche Offenheit und Unterschiedlichkeit“, erklärt der Galerist seine Standortwahl.

(Foto: Galerie Kornfeld)

Freddy Kornfeld: Das ist eine Entscheidung unseres gesamten Teams, und das ist mir wichtig. Wir sitzen zusammen, diskutieren, verwerfen, reflektieren, sprechen über die Positionen und fragen uns, ob wir uns mit der Kunst identifizieren können. Welche Relevanz erkennen wir, sind wir bereit, die Position mittelfristig zu entwickeln – auch wenn sie sich nicht unmittelbar platzieren lässt. Machen diese Werke potenziell in den nächsten 30 Jahren einen Unterschied in der Kunst? Was ist wirklich neu und schafft einen Diskurs? Wo ist unsere Klientel? Was erwartet man von uns? Passt die Preisklasse in das Portfolio der Galerie? Es ist ein subtiler und komplexer Entscheidungsprozess, der unterschiedlichste Faktoren berücksichtigt. Meine Beobachtungen des vergangenen Jahrzehnts in der Kunst zeigen mir, wie groß die Nachfrage nach Gegenständlichem ist. In unserer komplexen und oft unüberschaubar gewordenen Welt suchen wir Verankerung.

Gegenständliche Kunst bietet mehr Sicherheit für den Käufer oder Betrachter?

Unsere Augen sind auf der Suche nach Vertrautem und dadurch nach Sicherheit und Geborgenheit. Daher rührt das Bedürfnis nach dem Gegenständlichen in der Kunst. Gleichzeitig aber sehen wir als Galeristen eine große Bedeutung in der abstrakten Kunst. Die den Raum öffnet, Rätsel aufgibt und unerwartete Antworten liefert.

Apropos unerwartet, was hat Sie in den zehn Jahren überrascht?

Das harmonische Miteinander, das konstruktive und lebendige Zusammenwirken unter unseren Künstlerinnen und Künstlern, unter den Sammlern und den Menschen, die uns seit zehn Jahren begleiten. Unser Team, die Reinigungskraft, der Bilder-Rahmer, die Grafikerin, der Fotograf. Wir alle haben gemeinsam unser wunderbares Jubiläum begangen. Alle tragen zum Leuchten bei. Eine große Überraschung war, dass meine Partnerin Anne Langmann unsere Jubiläumsrede gehalten hat. Anne begleitet mich mehr im Hintergrund und nicht aktiv im Geschäft. Sie ist mein Resonanzboden, mit ihr rede ich über alles, was die Galerie betrifft.

Warum haben Sie sich vor zehn Jahren, mit 46 Jahren, für den Kunsthandel entschieden?

Ich war 18 Jahre lang Banker und habe den Handel im Investmentbanking miterlebt. Nach dem Banking hatte ich ab 2006 eine IT-Firma ausgebaut, restrukturiert und erfolgreich mitverkauft. Mit der Galerie sind wir auch als Unternehmer tätig. Aber die Sinnhaftigkeit ist für mich eine andere. Es erfüllt mich mit Sinn und Freude, mit Künstlern zusammenzuarbeiten und sie als erweiterte Familie zu erleben. Es geht nicht nur um An- und Verkauf. Galerist zu sein, ist bereichernd. Der Wunsch, mit Menschen zu arbeiten, ihre Entwicklung zu begleiten und sie zu erleben, ist Motivation und Inspiration.

Haben Sie sich in den Jobs vorher aufgebraucht?

Banker zu sein war eine spannende Zeit, die IT-Branche auch. Aber ich wollte in der zweiten Lebenshälfte etwas Neues machen, geistig wachsen, mich weiterentwickeln, ein neues Feld erobern. Da war die Kunst, die mich schon lange faszinierte und mit der ich mich intensiv auseinandersetzte, naheliegend.

Was gab den Impuls, die IT zu verlassen und mit der Kunst ein drittes Berufsfeld zu erobern?

Der Archäologe Mamuka Bliadze hat gemeinsam mit Freddy Kornfeld und Anne Langmann die Galerie gegründet.

Der Archäologe Mamuka Bliadze hat gemeinsam mit Freddy Kornfeld und Anne Langmann die Galerie gegründet.

(Foto: Galerie Kornfeld)

Mein Partner Mamuka Bliadze wollte sich 2012 mit einer Galerie selbstständig machen. Anne und ich wollten uns von Anfang an in dieses Projekt aktiv mit einbringen, weil wir den Künstlerinnen und Künstlern einen fördernden und fordernden Rahmen geben wollten. Mamuka leitete die Galerie in den ersten Jahren, als ich noch in anderen Bereichen engagiert war. 2016 kam der Punkt, an dem ich mich entschieden habe, den Fokus nur noch auf die Galerie zu legen. Das war eine gute und richtige Entscheidung.

Was war rückblickend der größte Fehler?

Eine Gruppenausstellung mit dem Titel "Mona" (lacht). Das am häufigsten gefälschte Bild auf der Welt ist die "Mona Lisa". Eine der 16 Positionen, die wir gezeigt haben, war ein Bild des Kunstfälschers Wolfram Beltracchi. Wir waren noch jung und naiv, und dann erschrocken über die heftigen Reaktionen wegen Beltracchi. Heute sind wir zehn Jahre weiser …

Mussten Sie sich danach noch mehr beweisen?

Wir alle werden doch immerzu herausgefordert. Gefordert zu sein, löst Wachstum aus. Und Wachsen kann schmerzhaft sein. Als "new kid on the block" musste ich mich wiederholt mit Kritik auseinandersetzen. Ich bin dankbar, dass wir seit zehn Jahren zwei Räume auf hohem Niveau bespielen. Es ist großartig, dass wir vielen internationalen Künstlerinnen und Künstlern eine Chance geben, uns ihre Kunst zu zeigen. Wir haben ein Residenzprogramm und laden ein, in Berlin zu leben und zu arbeiten. Über unserem Programm für 2023 sitzen wir im Team zusammen und fragen, um was es uns geht. Was zeigen wir? Sind wir stimmig ausgerichtet? Wir fragen uns aber auch, in welchen Zeiten wir leben? Was wollen wir vor diesem Hintergrund zeigen?

Welche Themen treiben Sie aktuell um?

Wohl einer der herrlichsten, versteckten Gärten in der Fasanenstraße und von der Galerie aus zu sehen.

Wohl einer der herrlichsten, versteckten Gärten in der Fasanenstraße und von der Galerie aus zu sehen.

(Foto: Galerie Kornfeld)

Wie sollten wir in einer Gesellschaft zusammenzuleben? Wir müssen über die Frauenrechte im Iran sprechen. Da wird ein Mensch zu Tode gepeinigt, weil der Schleier nicht richtig getragen wurde. Das geht alle demokratischen Gesellschaften an, das müssen wir mit einfordern. In Italien wurde mit zehn Prozent weniger Wahlbeteiligung gewählt. Im selben Moment haben wir einen Krieg, der nur drei Stunden entfernt ist. Wie gehen wir damit um? Das leben wir auch in der Galerie. Wir zeigen keine politische Kunst. Aber wir sind eine Galerie, die durchaus gesellschaftskritische Arbeiten zeigt, die in ihrem Statement politisch sind.

Ist da eine Gemeinsamkeit zwischen dem Galeristen und dem Kunstsammler, der Sie auch sind?

Die Liebe zur Kunst, das Zeigen von Kunst und das Sammeln von Kunst, haben viel mit mir persönlich zu tun. Aber als Galerist bin ich Teil meines Teams und meinen Künstlerinnen und Künstlern verpflichtet. Das Sammeln ist Annes und meine große private Leidenschaft.

Wie würden Sie ihr Team beschreiben?

Seit zehn Jahren fester und wichtiger Bestandteil im Team Kornfeld: der Kunsthistoriker Tilman Treusch.

Seit zehn Jahren fester und wichtiger Bestandteil im Team Kornfeld: der Kunsthistoriker Tilman Treusch.

(Foto: Galerie Kornfeld)

Lebendige und kluge Menschen aller Altersgruppen, Herkünfte und Nationalitäten und unterschiedlichen Berufsfeldern. Jeder bringt seinen eigenen Blick auf die Kunst mit. Die Vielfalt an beruflichen Hintergründen, sei es zum Beispiel der promovierte Kunsthistoriker, der ehemalige Verleger, mein Banking. Alle diese unterschiedlichen Kompetenzen zeichnen unser tolles Team aus.

Gab es Momente, wo Sie dachten: "Was mache ich hier eigentlich?"

Ja, natürlich, ich denke, das geht jedem Menschen so. Und Haifischbecken gibt es überall. Doch ich weiß auch, dass die Gesamtkomposition von Qualität, Anspruch, Wissen und Erfahrung überzeugt. Ich bin ein Menschenfreund und möchte Brückenbauer sein.

Sie engagieren sich verschiedentlich sozial. Unterstützten während der Pandemie Künstler in Not und begleiten die ACHSE, einen Verein, der Menschen mit seltenen Erkrankungen eine Stimme gibt. Woher kommt dieses Interesse am Menschen - Achtung Klischee - für Banker ist das nicht selbstverständlich …

Das ist mein Wesen. Und auch meine Erziehung war hier prägend: "Sei offen, schau links und rechts und binde Dich an andere Menschen." In diesen so schwierigen Zeiten wünsche ich mehr Empathie - vonseiten der Politik, aber auch als Selbstverständlichkeit unter den Menschen. Zu meinem Team, sage ich immer wieder, dass wir gut zu uns und zu unseren Künstlern sein müssen. Daran sollte man jeden Tag arbeiten. Das ist wie in jeder Beziehung.

Würden Sie nochmal eine Galerie gründen?

Immer wieder. Eine Galerie heißt, sich ständig neu einlassen und zu lernen. Es war richtig, diesen Weg zu gehen. Ein großes Projekt – never ending.

Mit Alfred Kornfeld sprachen Juliane Rohr und Sabine Oelmann

Galerie Kornfeld, Fasanenstraße 26, 10719 Berlin, alle Infos hier

Quelle: ntv.de

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