Leben

Süditalienisches Brauchtum Griko, die Sprache der Passion

Gläubige tragen ein Kreuz bei einer Prozession.

Gläubige tragen ein Kreuz bei einer Prozession.

(Foto: REUTERS)

Magna Graecia hieß einst der Zipfel Italiens. Hier besingen die Einheimischen noch heute in einem griechischen Idiom den Leidensweg Christi. Und dass es so ist, verdanken sie auch einem deutschen Philologen.

Gehen und stehen bereitet Antimino Pellegrino zunehmend Schwierigkeiten. Aber sobald er vor seinen Mitbewohnern steht, mit Inbrunst und mimischer Hingabe die "Passiuna tu Christù" singt, sind die Beschwerden wie weggeblasen. Herr Antimino ist 91 Jahre alt und seit über einem halben Jahrhundert besingt er am Palmsonntag vor der Mutterkirche Santi Pietro e Paolo seiner Gemeinde Zollino den Leidensweg Christi. Doch obwohl er immer wieder mit rührender und mitreißender Hingabe auftritt, ermahnt er die Kinder jedes Jahr aufs Neue, sie seien jetzt an der Reihe, diesen Brauch fortzusetzen.

In Zollino besingen die Menschen den Leidensweg Christi.

In Zollino besingen die Menschen den Leidensweg Christi.

Aber wo liegt Zollino überhaupt und was hat es mit der hiesigen Passion auf sich, von der man erzählt, sie sei etwas ganz Besonderes? Zollino zählt exakt 1999 Einwohner und befindet sich auf halber Strecke zwischen Lecce und Otranto, im Herzen des Salento, dem Zipfel des Stiefels. Die Italiener sprechen vom "Tacco d'Italia", dem Absatz Italiens.

Und in der Tat, hat man Zollinos "Passiune" einmal gesehen, versteht man, warum sie die Menschen begeistert. Es geht um das Leid, den Glauben, aber nicht nur. Die Gemeinde liegt genau in der Mitte der "Grecìa Salentina", zu der insgesamt zwölf Gemeinden gehören - und ja, man ahnt es schon, in dieser Gegend hatten sich vor langer Zeit die Griechen niedergelassen. Zollino, wie schon gesagt, liegt genau im Herzen der Grecìa, eingekesselt von den anderen Gemeinden, weswegen nur mehr hier heutzutage die "Passiune" auf "Griko", in einem altgriechischen Idiom, aufgeführt wird. Die anderen Gemeinden sind im Laufe der Zeit eine nach der anderen dem Einfluss der italienischen Sprache erlegen.

Ein Deutscher sucht die Wurzeln des Griko

Ein Name, der immer wieder fällt, wenn man vom Idiom "Griko" spricht, ist der des deutschen Sprachwissenschaftlers und Romanisten Gerhard Rohlfs (1892-1986). Und wahrscheinlich ist Rohlfs hier, in dieser kleinen Ortschaft umgeben von Dolmen und Menhirs, bekannter als in Tübingen oder München, wo er seinerzeit lehrte. Rohlfs widmete sich ein Leben lang dem Nachlass der Griechen und vornehmlich dem sprachlichen in Süditalien - also in Enklaven, zu denen neben einigen in Kalabrien auch die im Salento gehören. Im Gegensatz zu seinen Kollegen war Rohlfs der Meinung, dieser Nachlass fuße nicht auf der Einwanderung in byzantinischer Zeit, sondern reiche weiter zurück - und zwar bis ins 8. Jahrhundert vor Christi, als die Griechen Süditalien kolonisierten.

Die Kirche Santi Pietro e Paolo.

Die Kirche Santi Pietro e Paolo.

"Hier haben früher alle Griko gesprochen, auf den Feldern, bei der Arbeit, hat immer wieder jemand ein Lied in Griko angestimmt", erzählt Mattia Manco, ein schlanker, aufgeschlossener Mittdreißiger, der in Lecce Sprachen studiert hat. Heute komponiert er Musik, die ein wenig an die des Griechen Yanni erinnert, spielt Klavier und begleitet mit seinem Akkordeon jedes Jahr die Passion. "Irgendwann in den 80er-Jahren hieß es jedoch, wer sich in Griko ausdrücke, sei unkultiviert, wenn nicht gar ein Analphabet."

Genau genommen war das der zweite tragische Schlag für diese Sprache. Der erste geht auf die Zeit der Gegenreformation zurück. "Die katholische Kirche hat damals alles darangesetzt, jegliche Spur der griechischen Kultur zu löschen. Angefangen bei den griechischen Kirchen, wie die hier in Zollino. Man riss sie ab und baute neue - wie die wunderschönen barocken Gotteshäuser in Lecce. Auch die griechischen Priester wurden weggeschickt. Von nun an wurde auf Lateinisch gepredigt, auch wenn niemand Lateinisch verstand", erzählt Mattia weiter.

Kultur vermittelt man nicht von der Bühne aus

Natürlich spricht Mattia Griko - eine Leidenschaft, die familiäre Wurzeln hat. Sein Vater war Italiener, die Familie seiner Mutter stammt jedoch aus Saloniki. Deshalb packte er eines Tages den Rucksack und machte sich selber auf die Suche, und zwar auf der Insel Kreta. Tatsächlich waren es die Messapier, die sich, noch vor den Griechen, hier im Salento niederließen. "Und die Messapier kamen, wie schon Herodot lehrte, aus Kreta ". Die Reise lohnte sich. Mit den älteren Bewohnern der Insel konnte er sich problemlos in Griko unterhalten.

Aber zurück zur "Passiuna tu Christù", die in Zollino nicht nur gesungen, sondern auch dargestellt wird. "Das hat aber nichts mit einer Vorstellung im herkömmlichen Sinn zu tun, vielmehr mit Straßentheater", sagt Giuseppe Pellegrino, der sich bescheiden als Bauer und Mechaniker beschreibt. In Wirklichkeit aber gehört er zu denjenigen, die sich, zusammen mit den Jungen der Theatergruppe "Bottega del Teatro", mit Leib und Seele dafür eingesetzt haben, das hiesige Kulturgut wieder ins Leben zu rufen.

Die "Passiuna" findet normalerweise auf dem Kirchenplatz statt. Die Bevölkerung schart sich dann um die zwei Kantoren und singt mit. Und während am Palmsonntag Antimino und sein designierter Nachfolger Donato Tundo die Strophen vorsingen, sind es am Freitag davor die Kinder der "Bottega del Teatro", die am Abend von Haus zu Haus ziehen, ältere Menschen und Kranke besuchen, ihnen die Passion vorsingen und eine Ostergabe überreichen. "Wer Kultur vermitteln will, der darf nicht auf der Bühne stehen, sondern muss unter das Volk gehen", mahnt Pellegrino noch. Dann verabschiedet er sich, um an einer seiner selbsterfundenen Ackerbaumaschinen weiter zu tüfteln.

Quelle: ntv.de

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