Wie wenn eine alte Tante stirbt Die Sehnsucht nach "Wetten, dass..?"
07.04.2014, 05:55 Uhr
Markus Lanz, war plötzlich viel entspannter - im Gegensatz zu den ersten Sendungen.
(Foto: dpa)
"Müssen wir Tante Erna ein Küsschen geben? "Ja!" "Müssen wir Tante Erna besuchen?" "Ja!" "Tante Erna ist tot." "Oh nein, wie traurig, sie war so eine reizende Person!" "Müssen wir zur Beerdigung kommen?" "Ja!"
So, das sollte mal ein Fernsehabend auf der Couch vor der Couch von "Wetten, dass..?" werden. Wohlverdiente familiäre TV-Unterhaltung, und nein, die Ansprüche sind nicht hoch, wenn man sich einfach mal so berieseln lassen will. Wenn man den halben Tag auf dem Kinder-Hockeyplatz und den Rest mit einkaufen, aufräumen, essen machen und "dringende Dinge erledigen" verbracht hat - warum dann nicht mal ein bisschen seichte Unterhaltung? Vielleicht ist es ja auch das letzte Mal, denkt man sich, fast mit einem Hauch Wehmut, obwohl man durchaus bereit wäre, auch wieder zu sagen, buääh, ist das schlecht, er soll es doch bitte sein lassen.
Aber dann die Überraschung: es war gar nicht so schlecht (oder war ich zwischendurch eingenickt?), die Gäste waren extrem gut drauf und wohl mit Bedacht ausgewählt. Lauter nette Leute, die keinem, nicht einmal Markus Lanz, etwas Böses wollen.
Eine Cameron Diaz, die man unbedingt zur Freundin haben möchte, denn sie sieht so toll aus, ist so nett und so witzig und so gut gelaunt, eine Veronica Ferres, die sich ja auch in Hollywood tummelt, aber doch gerne an ihre Anfänge (auch bei "Wetten, dass..?") zurückdenkt und sich schon vom Publikum gerne tragen lässt. Man kann ihr nicht einmal übel nehmen, dass sie ungeniert Werbung für sich selbst macht, dazu ist die Sendung ja auch da. Sie macht also Reklame für ihren Film, der demnächst im ZDF läuft, und da sie schon eine Standesbeamtin spielt, warum dann nicht auch selbst flugs persönlich darauf hinweisen, dass sie ihren Maschi bald heiraten wird (bevor Gerüchte aufkommen, dass daraus eh nichts wird). Veronica Ferres hat dann mit ihrem Brautschleiertanz so dermaßen davon abgelenkt, dass irgendetwas anderes in der Sendung peinlich sein könnte, dass der Rest einfach nur noch gut werden konnte. Markus Lanz sollte sich ruhig bedanken.
Lanz' sichtbare Erleichterung
Der nette Herr Kerkeling, nun selbstverwirklicht durch den Schlager und ergo auch sehr glücklich, war so lieb, bei dem Ferres'schen Tanztheater mitzumachen, und Modemacher, TV-Star und Bestseller-Autor Guido Maria Kretschmer, der angenehm ernsthaft, aber dennoch unterhaltsam rüberkommt, bot eine verlässliche Größe durch die ganze Sendung hindurch. Und dann waren da ja noch die Wetten, die lange nicht mehr so gut waren.
Inzwischen weiß also jeder, dass Ende des Jahres Schluss sein soll mit dem alten ZDF-Flaggschiff (schön, dass man dieses Wort nie wieder wird bemühen müssen), und wir haben auch erfahren, dass das Konzept nicht verkauft werden soll, sprich, da bleibt ein Hintertürchen offen für die Jokos und Klaases dieser Welt, für Talente, die noch nicht geboren sind oder für - Anastacia. Die kam zwar relativ am Ende, übernahm die Sendung aber, ohne mit der Wimper zu zucken. Tatsächlich könnte man sagen, dass von Anastacia lernen siegen oder auch leben lernen heißt. Dass eine Krebserkrankung ein Segen ist, haben wir zum Beispiel gelernt, allerdings denke ich persönlich noch immer darüber nach, wie ich das finden soll. Wenn ich fertig bin, sage ich vielleicht mal was dazu. Jedenfalls ist die Dame ein solches Kraftpaket, dass sie auf jeden Fall die Sendung bereichert hat. Schade, dass Annette Frier so spät kam, die hätte zusammen mit der Rockröhre und den Kolibri-Fliegern den ganzen Laden schmeißen können.

So nur noch höchstens drei Mal zu sehen: Markus Lanz als Moderator von "Wetten, dass..?"
(Foto: dpa)
Aber zurück zu Lanz, der war doch gut drauf! War es die Erleichterung, sich den Schimpftiraden des Feuilletons und allen selbst ernannten Kritikern dieser Welt nur noch vier Mal aussetzen zu müssen? Immerhin war die Quote dieses Mal wieder besser als das letzte Mal, und die nächsten, die letzten drei Male, wird es einen Run auf die Sendung geben, wetten, denn wer möchte da nicht sitzen und seinen neuen Film oder sein neues Album bewerben, wenn man weiß, dass vielleicht etwa jeder zehnte Deutsche einschaltet?
Heute wieder bescheuerte Fahrgäste?
Eine Sache ist ganz gut, wenn die Sendung abgesetzt wird: Man kann sich wieder auf andere Dinge konzentrieren. Es gibt zum Beispiel Menschen, die den ganzen Tag hinter der Fleischertheke stehen und arbeiten, andere versuchen die Kinder fremder Leute zu erziehen, einige retten Menschenleben, wieder andere fahren U-Bahnen stundenlang durch das Dunkel, hin und her, tagein, tagaus. Das ist anstrengend! Da könnte man sich mal Gedanken drüber machen. Hat man je einen U-Bahnfahrer heulen hören, dass er bescheuerte Gäste transportieren muss? Dass ein Chirurg einem Mörder das Leben retten muss (Eid ist Eid!), dass die Fleischereifachverkäuferin einem die Salami um die Ohren haut?
Nein, und Markus Lanz hat sich fast gar nicht mehr an den Moderationskarten festgeklammert, eine gewisse Leichtigkeit umgab ihn, der da ganz in frühlingshaften Hellblau zwischen seinen beerdigungsschwarz gekleideten Gästen saß und bemerkte (leider zu offenkundig) dass es dieses Mal besser flutscht. 33 Jahre hat die Sendung auf dem Buckel, und ich bin mir sicher, dass es eines Tages ein Revival geben wird, so wie wir auch jetzt noch lächeln, wenn wir Wum und Wendelin oder etwas ähnlich Spießiges, Harmloses sehen: Wir werden uns zurückerinnern an Zeiten, in denen wir einfacher zu unterhalten waren. Ist das nicht auch schön? Anstatt immer nur mehr zu verlangen und oberkritischer und zynischer werden zu müssen und dennoch gelangweilter?
Fight for your right to paaaarty!!!!
Natürlich akzeptieren wir die Entscheidung des ZDF, es ab dem 6. Dezember bleiben zu lassen - obwohl, sollten wir nicht eine Volksabstimmung bemühen, eine Petition ins Leben rufen? Fordern, dass mit unseren Gebühren auch ja was Vernünftiges angestellt wird? Demokratie eben? Oder ist das nur eine gefühlsduselige Phase, weil uns vor Augen geführt wurde, dass 33 Jahre nun vorbei sind und wir auch mal im Zeitraffer älter geworden sind?
Kinder, wie die Zeit vergeht. Da wird einem die eigene Endlichkeit doch wieder bewusst. Kein schönes Gefühl. So unstet, wie unser eigenes Leben ist, sehnen wir uns nach Beständigkeit: "Wetten, dass..?" gehörte wahrscheinlich dazu. Ein bisschen wie Familie, über die lästern wir auch oft und gerne, aber wenn sie nicht da wäre, wäre unser Leben eben auch irgendwie leer.
Quelle: ntv.de