Die Reue des Xavier Naidoo Dieser Weg wird kein leichter sein
20.04.2022, 15:17 UhrIrre Verschwörungstheorien, unverhohlener Antisemitismus, rechte Schulterschlüsse - man weiß gar nicht, wo man bei Xavier Naidoo rückblickend anfangen und wo aufhören soll. Nun jedoch bittet er für all dies um "Verzeihung". Wie soll man damit umgehen?
Der Abstieg Xavier Naidoos von einem der erfolgreichsten Popstars des Landes, einer Lichtgestalt des Schmuse-Souls und einem musikalischen Wegbegleiter des Fußball-Sommermärchens 2006 zur Persona non grata ist nicht die Geschichte eines Ausrutschers. Es ist eine Entwicklung, die über Jahrzehnte ihren Lauf genommen hat und schon Ende der 90er-Jahre beginnt. Schon damals bezweifelt der Sänger öffentlich die Legitimität der Bundestagswahl von 1998.
In den folgenden Jahren radikalisiert sich Naidoo zusehends. Zunächst eher still und leise, doch spätestens ab 2009 auch laut und öffentlich. Er lässt seine Sympathien für die sogenannten Reichsbürger erkennen und verbreitet nun auch in seinen Songs offen Verschwörungstheorien und Antisemitismus.
"9/11, London und Madrid, jeder weiß, dass Al-Kaida nur die CIA ist", heißt es etwa in Anspielung auf mehrere islamistische Terroranschläge in seinem Lied "Goldwaagen/Goldwagen". Und in dem Song "Raus aus dem Reichstag" nimmt er wenig zweideutig auf die jüdische Bankiersfamilie Rothschild Bezug: "Wie die Jungs von der Keinherzbank, die mit unserer Kohle zocken. Ihr wart sehr, sehr böse, steht bepisst in euren Socken. Baron Totschild gibt den Ton an und er scheißt auf euch Gockel."
"Ich zerquetsch euch die Klöten"
Doch damals läuft alles noch weitgehend unter dem Radar. Im Vordergrund steht nach wie vor der Ausnahmesänger, der sowohl als Solist als auch mit seiner Formation Söhne Mannheims die Charts dominiert, mit "Dieser Weg" 2006 die Hymne zur Fußball-WM im eigenen Land liefert und noch 2010 mit einem Echo als "Künstler National" ausgezeichnet wird. Naidoo führt im Fernsehen als Gastgeber durch "Sing meinen Song", steht mit BAP auf einer Bühne und hat Kumpel wie Schauspieler Til Schweiger und Comedian Michael Mittermeier.
Naidoos Radikalisierung jedoch geht munter weiter. Und zusehends nimmt auch eine größere Öffentlichkeit davon Notiz. 2012 beschert ihm das schon mal eine Anzeige. Anlass ist der Song "Wo sind sie jetzt?", den er gemeinsam mit Kollege Kool Savas einsingt und in dem er von Ritualmorden an Kindern fantasiert. Der Song gipfelt in ebenso absurden wie abstoßenden Rachegelüsten: "Ich schneid euch jetzt mal die Arme und die Beine ab. Und dann ficke ich euch in den Arsch, so wie ihr es mit den Kleinen macht. Ich bin nur traurig und nicht wütend. Trotzdem würde ich euch töten. Ihr tötet Kinder und Föten, und ich zerquetsch euch die Klöten. Ihr habt einfach keine Größe und eure kleinen Schwänze nicht im Griff. Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist? Wo sind unsere Helfer, unsere starken Männer, wo sind unsere Führer, wo sind sie jetzt?"
Auch ein Auftritt Naidoos bei einer Reichsbürger-Veranstaltung am Tag der Deutschen Einheit 2014 in Berlin bleibt nicht unregistriert, ehe er mit den Söhnen Mannheims in Songs wie "Nie wieder Krieg" oder "Marionetten" weiter in den Verschwörungssumpf abtaucht. "Muslime tragen den neuen Judenstern, alles Terroristen, wir haben sie nicht mehr gern", reimt sich Naidoo etwa mit antisemitischem Unterton zusammen.
"F ist am sechsten Platz im Alphabet"
Auch Flüchtlingskrise und Klimawandel werden schließlich zu Themen in Naidoos immer größerem Wahn, sei es in Songs oder zunehmend auch in Botschaften in den sozialen Netzwerken. "Es ist heute der 20. September, ein sogenannter Friday for Future. FFF. Dreimal F. F ist am sechsten Platz im Alphabet", stellt er etwa in einem online veröffentlichten Clip fest. Naidoo zählt mit den Fingern bis sechs, um schließlich zu seiner diabolischen Schlussfolgerung zu gelangen: "In dem Fall 666. Da weiß man auch wieder, wer dahintersteckt."
Das alles klingt nicht nur irre. Das ist es auch. Schon 2015 wird Naidoo mit dem Spott-Preis "Goldener Aluhut" ausgezeichnet. Gleichwohl reißen die Versuche nicht ab, ihn doch noch einzuhegen und seine wirren Thesen irgendwie vom Künstler Naidoo zu trennen. 2016 will ihn der Norddeutsche Rundfunk als deutschen Kandidaten zum Eurovision Song Contest entsenden. Erst nach einem Sturm der Entrüstung kassiert der öffentlich-rechtliche Sender die Idee wieder ein.
2019 wird Xavier Naidoo Teil von "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS). Eine komplette Staffel lang fungiert er hier als Juror, ehe er im Jahr darauf erneut neben Dieter Bohlen und Co. Platz nehmen darf. Dann jedoch tauchen mehrere Videos auf, die das Fass endgültig zum Überlaufen bringen. "Ihr seid verloren", säuselt Naidoo darin. "Was, wenn fast jeden Tag ein Mord geschieht, bei dem der Gast dem Gastgeber ein Leben stiehlt?", zeichnet er ein fremdenfeindliches Zerrbild der Flüchtlingssituation in Deutschland. Noch in der laufenden DSDS-Staffel setzt RTL ihn vor die Tür.
Von QAnon bis Aliens
Das ganz große Podium ist Naidoo seither genommen. Mehrere Städte ringen von nun an darum, geplante Auftritte des Sängers in ihren Hallen zu untersagen. Ein Problem, das sich angesichts der Konzertabsagen in der Corona-Krise aber vielfach von selbst erledigt. Währenddessen nimmt Naidoo natürlich auch die Pandemie zum Anlass für alle möglichen abenteuerlichen Verschwörungsmärchen. Die Existenz des Coronavirus leugnet er ebenso wie er an die QAnon-Erzählung von einer Kinderblut trinkenden Elite glaubt, an Aliens in unseren Reihen und daran, dass die Erde eine Scheibe ist. Naidoos wichtigste Plattform, seine Wahnvorstellungen unter die Leute zu bringen, ist inzwischen der Messengerdienst Telegram.
Doch auch Musikvideos nutzt der Sänger weiterhin als Medium für seine Thesen. Noch kein Jahr ist es her, dass er mit Gleichgesinnten unter dem Namen Rapbellions einen Clip zu einem Song namens "Ich mach da nicht mit" veröffentlicht. Mit Zeilen wie "Mach Alarm, bewaffne dich, vernichte den tiefen Staat" wird darin nicht nur wenig verklausuliert zu Gewalt aufgerufen. Im Video wird auch ein Bombenanschlag auf ein Corona-Impfzentrum nachgestellt.
Nicht nur in diesem Fall geht Naidoo den Schulterschluss mit Radikalen und Schlägern ein. Für Attila Hildmann bekundet er ebenso Sympathien wie er den ehemaligen NPD-Mann Rüdiger Hoffmann als "wahren Helden" tituliert. Und auch mit einem rechtsextremen Hooligan wie Hannes Ostendorf macht Naidoo musikalisch gemeinsame Sache. Das ist noch keine acht Monate her.
"Wie auf den Kopf gestellt"
Nein, Naidoo hat sich nicht mal eben nur einen Fauxpas erlaubt. Sein Abstieg ins Reich von Verschwörungsmythen, Antisemitismus und Rechtsradikalismus erfolgte konsequent, beharrlich und gnadenlos über mehr als 20 Jahre. Dass er dafür nun in einem 3:14 Minuten kurzen Clip federstrichartig um "Verzeihung" bittet, ist in jedem Fall eins: irritierend.
Naidoo sitzt auf einer Couch, er spricht direkt in die Kamera, seine Stimme ist sanft. Er ist gealtert, seit man ihn das letzte Mal außerhalb von Telegram gesehen hat, keine Frage. Seinen Text liest er offensichtlich ab. Ob Medikamente eine Rolle dabei spielen, dass sein Blick starr und seine Mimik nahezu regungslos ist, bleibt Spekulation. Deutlich zu werden scheint zumindest: Naidoo ist psychisch durchaus mitgenommen. Vielleicht auch von dem, was er zum Anlass für seine Stellungnahme nimmt: "Die Gewalt, die Menschenverachtung, die Tatsache eines Krieges, der gar nicht weit von uns entfernt ist."
Seine Frau und deren Familie stamme aus der Ukraine, erklärt Naidoo. Das "unfassbare Leid" der Menschen in dem Land habe ihn tief bewegt. "Die Welt scheint wie auf den Kopf gestellt. Und ich habe mich gefragt, wie es so weit kommen konnte", ergänzt er. Eine Frage, die viele ihm sicher auch bereits im Zuge der Corona-Pandemie gern gestellt hätten.
"Von Verschwörungserzählungen geblendet"
Ohne das Wort "Corona" in den Mund zu nehmen, rekurriert Naidoo dann auch tatsächlich auf seine eigene Vergangenheit. "Ich habe erkannt, auf welchen Irrwegen ich mich teilweise befunden habe und dass ich in den letzten Jahren viele Fehler gemacht habe", räumt er ein. Er habe sich "verrannt", sei "von Verschwörungserzählungen geblendet" gewesen und habe sich "zum Teil instrumentalisieren lassen". Er habe "Dinge gesagt und getan, die ich heute bereue".
Nun wolle er sagen, dass er sich "von allen Extremen distanziere", vor allem "von rechten und verschwörerischen Gruppen", erklärt Naidoo und kommt zu einer erstaunlichen Feststellung: "Ich stehe für Toleranz, Vielfalt und ein friedliches Miteinander. Nationalismus, Rassismus, Homophobie und Antisemitismus sind mit meinen Werten nicht vereinbar und ich verurteile diese aufs Schärfste." Er bedauere, "Menschen vor den Kopf gestoßen und verletzt" zu haben. "Hierfür entschuldige ich mich und bitte euch um Verzeihung."
Diese Worte werden viele erst einmal sacken lassen müssen. Klar ist: Jeder Mensch hat ein Recht auf Resozialisierung und verdient eine zweite Chance. Ob die Öffentlichkeit Naidoo diesen schlagartigen Wandel vom Saulus zum Paulus jedoch dauerhaft abkauft und er die Wunden, die er in all den Jahren aufgerissen hat, je wieder heilen kann, ist fraglich. Dieser Weg wird kein leichter sein, so oder so. Denn dass Naidoo nun heftiges Ungemach droht, ist so sicher wie das Amen in der Kirche: von seinen bisherigen Gesinnungsgenossen, die ihn als "Verräter" brandmarken werden.
Quelle: ntv.de