Elphi zwischen Krach und Chanson Einstürzende Neubauten spielen ihre Hits
22.01.2017, 10:59 Uhr
Einstürzende Neubauten spielen im Großen Saal der Elbphilarmonie.
(Foto: dpa)
Anfang der 80er gehörten sie zu den "Genialen Dilletanten", inzwischen sind Blixa Bargeld und die Einstürzenden Neubauten auf dem Weg zu Kulturerbe-Status. Dass das immer noch faszinierend klingt und in Teilen exquisit lärmt, zeigt die Band in Hamburg.
Das Tourmotto lässt stutzen: Greatest Hits. Greatest Hits? Die grätendünne Drogenechse, die unter dem Namen Blixa Bargeld um 1980 durch die Mauerstadt wankte, hätte einem mit fauligem Atem ins Gesicht gelacht. Greatest Hits? So wie Quo, Pink Floyd und Marius? Pah. Von einem Mann dargeboten, der früher vergammeltes Fleisch im Aufnahmeraum verteilte, um dem Sound ein Gefühl von Fäule zu geben? Der Fingernägel im Einmachglas sammelte, in hohlen Autobahnpfeilern probte und am Scheitelpunkt der Dekade aussah, als würde er sich von Sand und Metallspänen ernähren?
Greatest Hits. Nun denn, es sind die Jahre ins Land gegangen, ihr neues Album haben sie nun mal so genannt und dass die Einstürzenden Neubauten ohnehin nicht mehr jene Band von weit vor dem Mauerfall sind, lässt sich schon am Spielort ablesen. Auf der Suche nach deutschem Pop-Weltkulturerbe wird man eben außer bei ihnen nur noch bei Kraftwerk fündig. Und bei den Scorpions vielleicht. Einweihungswochen in der Elbphilharmonie also, mittlerweile mit dem Kosenamen "Elphi" versehen, und die Neubauten mittendrin. Sangen sie einst über "Strategien gegen Architektur", stellt man sich heute quasi in den Dienst der Baukunst, auch wenn die an diesem Abend erst mal eine eigene Strategie fährt. Die vielbestaunte Bogen-Rolltreppe gibt ihre Arbeit auf und verliert beim körpermechanischen Erklimmen (meint: zu Fuß gehen) schon ein wenig von ihrem technoiden Zauber.
Auch die Setlist macht klar, dass die ganz kaputten Zeiten lange her sind. Da kann einer der Gäste vor dem Konzert noch so laut "Ich bin das letzte Biest am Himmel" zwischen die Weißwein-Trinker und Hafenpanorama-Aussichtsgenießer brüllen, den Song gibt es heute nicht zu hören. Auch keine "Kalten Sterne" und kein "Armenia", nicht das Knochenblues-Fanal "Seele brennt" und schon gar nicht das einstige Lieblingslied aller Zillo-Leser und Dreiwetter-Taft-Vernichter, "Yü Gung".
Mit "Haus der Lüge" stammt der älteste Song des Sets aus dem Jahre 1989, weiter zurück ragen die "größten Hits" nicht, was zugegebenermaßen schade, aber auch der Besetzung geschuldet ist, die in den Anfangstagen eben deutlich anders aussah als heute. Neben Blixa, N.U. Unruh und Alex Hacke, die auch heute noch dabei sind, waren FM Einheit und Marc Chung essenzieller Bestandteil der frühen Neubauten, beide stiegen Mitte der 90er aus.
Zusatzkonzert am Nachmittag
Mark Chung ist dennoch am Abend dabei, der heutige Musikverleger verfolgt das Geschehen aufmerksam aus Reihe 6, mit ihm hat ein vielköpfiges Publikum den Weg in die Elbphilharmonie gefunden. Die Einstürzenden Neubauten spielen im Rahmen der Eröffnungsfeierlichkeiten und die Nachfrage war so groß, dass ein Zusatzkonzert für den späten Nachmittag angesetzt wurde. "Ich mag diese frühen Shows. Man kann danach noch so viel unternehmen", scherzt der gut aufgelegte Bargeld ironisch, wohl wissend, dass er selbst anschließend schlicht noch ein zweites Mal ran muss.
Die Auftaktshow aber spielt hier und jetzt und für ein Publikum - vom Kulturabonnenten über den Besserverdiener-Waver mit grauem Langscheitel und goldenen Springerstiefeln bis zum Bandshirt-tragenden Langzeit-Fan, der sich vor der Bühne qua Elphi-Selfie mit Stahlinstrumentarium verewigt - dem Spannung und Vorfreude anzumerken sind. Und sie werden von dem Moment an, da die Neubauten beiläufig aus der Seitentür auf die Bühne schlurfen, zwei Stunden lang konzentriert und punktgenau, mal dräuend leise, dann wieder blechern und so brülllaut, wie es die verteilten Ohrstöpsel erwarten ließen, bedient.
Kaum noch die Unordnung der Gründertage
"The Garden" macht den Anfang und im grünem Aquariumlicht klingt Blixa fast wie sein alter Weggefährte Nick Cave, zu "Haus der Lüge" wird die Band irritierend mal von links, dann von rechts illuminiert, stoisch lässt N.U. Unruh eine große silberne Blechdose über ein Gitter rasseln. Überhaupt - die Drums von Rudolf Moser, das Metallgerüst von Unruh, die eisernen Percussion-Teile, alles fein säuberlich aufgereiht, als hätte Ritter Rost zur Strafe sein Zimmer aufräumen müssen - das hat kaum noch etwas mit der Unordnung der Gründertage zu tun, als Kettensägen und Vorschlaghämmer, Einkaufswagen und Stahlrohre das Instrumentarium bildeten. Als FM Einheit wie ein Derwisch sein Leben riskierte, Blixa, von Drogen ausgezehrt, nur wenig mehr wog als sein Mikroständer und bei Shows schon mal, wie Anfang der 80er in der Hamburger Markthalle, ganze Hauswände aufgebohrt wurden.
Man mag sich kaum vorstellen, wie Sounddesigner Yasuhisa Toyota im Karrée springen würde, bohrte man ihm hier mit der Black & Decker Löcher in die ausgefuchste Schallfolie. Aber die somnambulen Nächte in Unterhemd und Lederverschnürung sind längst Geschichte - Blixa trägt Anzug über dem sternekücheverwöhnten Leib, der Klangstahl wird mit der Disziplin von vier Dekaden IG Metall bearbeitet und wenn überhaupt etwas leidet, dann Bassist Hackes Füße, die er ohne Schuhwerk über die Bühne wandern lässt. Überhaupt Hacke - er und Bargeld bilden den Nukleus der Arrangements. Wie ein Falke fixiert Hacke seinen Sänger von der Seite, unterfüttert die Zeilen mal mit schlichten Läufen, dann wieder wartet er auf den bestimmten Moment, da er in die Saiten hackt und kleine Stahlmucken von Unruh zu dickem Getöse aufbauscht.
Markerschütternde Schreie
Mit "Nagorny Karabach" gemahnt der Chansonnier in Bargeld an die morbiden Sehnsuchtsballaden von Hilde Knef, in "Dead Friends" lässt der Sänger einen seiner markerschütternden Schreie ertönen, die immer noch so klingen, wie Nick Cave es einst empfand, als er Bargeld das erste Mal hörte und ihn in seine Band, die Bad Seeds, aufnahm: wie "ein sterbendes Tier". Bei "Unvollständigkeit" lässt Unruh, von Bargeld mit divenhafter Brüchigkeit dirigiert, die Eisenbarren aus einer Schale auf Stahlplatten regnen.
Das Intro von "Befindlichkeit des Landes" ertönt aus Bargelds iPhone, "Susej" basiert auf alten Gitarren-Samples, von Bargeld anno 1983 im nicht mal meterhohen Flutkeller des Hamburger Hafenklang-Studios eingespielt, "Silence is sexy" verbindet Lungenzug-Erotik mit John Cages "4.33".
Im Schlussdrittel schließlich zwei Höhepunkte des stählernen Funks Marke Neubauten: "How Did I Die" kontert Gainsbourg-Eleganz mit Konzept-Krach, die "Interimsliebenden" gemahnen an die tanzbareren Momente der Band, während der Schlussmacher "Redukt" noch einmal alle Register zwischen biestigem Gesangsdrama und Unisono-Stahlfunk, zwischen Eruption und Pulsieren, zieht und so eine ganz eigene Form von "Überwältigungsmusik" die Elbphilharmonie durchströmt.
Die alten Klassiker mochte man vielleicht vermisst haben oder auch nicht, der lange Beifall am Ende erzählt seine eigene Geschichte. Oder wie Blixa Bargeld in "How did I die?" sinngemäß singt: "Wir sind nicht gestorben, wir singen nur ein anderes Lied."
Quelle: ntv.de