Unterhaltung

Der "Tatort" und ein Drahtseilakt im Zirkuszelt "Es gibt etwas zu feiern! Mein Tumor ist weg!"

Zum Wohle der Ermittlungen geht Murot bis zum Äußersten.

Zum Wohle der Ermittlungen geht Murot bis zum Äußersten.

(Foto: HR/Katrin Denkewitz)

Nach fast zwei Jahren kehrt Felix Murot auf die Wiesbadener "Tatort"-Bühne zurück. Ohne synapsenknabbernden Hirntumor, dafür mit jeder Menge frischem Lebensmut bricht der LKA-Ermittler mit fast allen ungeschriebenen Krimi-Gesetzen. Ob das gutgehen kann?

Entwickeln Gefühle füreinander: Murot und Caja

Entwickeln Gefühle füreinander: Murot und Caja

(Foto: HR/Katrin Denkewitz)

Lilly ist weg. Einfach so, unwiederbringlich aus Felix Murots Leben entfernt. Dabei waren die beiden doch so ein gutes Team, sind zusammen durch dick, dünn und jede Menge Wahrnehmungsschwankungen gegangen. Doch statt tiefer Trauer tendiert die Stimmung des LKA-Ermittlers eher Richtung Champagner für die Pferde: "Wächter, es gibt etwas zu feiern! Mein Tumor ist weg! Kommen Sie zu mir nach Fulda, ich lade Sie in den Zirkus ein."

Schon klar, mit Krebs ist im echten Leben nicht zu spaßen. Aber für die beiden bisherigen "Tatort"-Folgen mit Ulrich Tukur in der Hauptrolle war der Erzählkniff mit dem walnussgroßen Tumor im Hirn des Kommissars ein echter Glücksfall. Die Episoden rund um einen Ermittler, der in der trüben Brühe seiner verschobenen Wahrnehmung Sinn von Wahnsinn zu trennen versucht, waren so herrlich abgedreht, dass ohne Lilly unweigerlich die Frage aufkommt, ob die Macher vom Hessischen Rundfunk denn eigentlich auch einen ganz normalen Krimi produzieren können.

Erstklassig besetzt: Die Schausteller des Zirkus "Raxon"

Erstklassig besetzt: Die Schausteller des Zirkus "Raxon"

(Foto: HR/Katrin Denkewitz)

Können vielleicht schon, nur von wollen kann keine Rede sein - und das ist auch gut so. Bis zum ersten Mord an der Besucherin einer Zirkusvorstellung dauert es fast doppelt so lang wie die sonst üblichen fünf Minuten - und auch danach bietet "Schwindelfrei" statt packender Krimi-Unterhaltung eher einen Einblick in das Leben und Leiden einer Schaustellertruppe. Dass das dennoch famos funktioniert, liegt an der erstklassigen Besetzung: Vom pausenlos pseudo-philosophierenden Zirkusdirektor Raxon (Josef Ostendorf) mit der ungemein gehörgangschmeichelnden Stimme über den messerwerfenden Ex-Soldaten Frank (Uwe Bohm) und Murots schmutzig-charmanten Sidekick Magda Wächter (Barbara Philipp) bis hin zum todernsten Clown Buca (Jevgenij Sitochin) füllt jeder noch so unbedeutende Nebendarsteller seine Rolle glaubwürdig aus.

Liebevoll inszenierte Reise ins Surreale

Dass sie alle dennoch von einem grandios aufspielenden Tukur überstrahlt werden, unterstreicht nur, wie richtig die Entscheidung des HR ist, den Wiesbadener "Tatort" als One-Man-Show rund um Murot aufzuziehen. Ob im Trenchcoat oder im Clownskostüm, am Klavier sitzend oder Chansons in der Manege schmetternd, französische Rücken massierend oder mit traurigen Seilartistinnen flirtend: Der 56-Jährige strahlt eine Aura der Klasse aus, die man so nicht alle Tage in einem Krimi findet.

Dass unter dieser Tukurisierung des "Tatorts" zwangsläufig der Plot leiden muss, war beinahe zu erwarten. Man muss kein Sherlock Holmes sein, um spätestens nach zwanzig Minuten zu wissen, wer der Täter ist - und der Versuch, mit der Geschichte um Kriegsverbrechen von Bundeswehr-Soldaten im Kosovo eine politische Note in den Streifen zu bringen, wirkt arg konstruiert.

Jeder, der sich auf solide Hausmannskost am Sonntagabend gefreut hat, wird vom neuen Fall aus Wiesbaden also wahrscheinlich enttäuscht sein. Alle anderen, die bereit sind, sich von den fellinesken Aufnahmen von Kameramann Karl-Friedrich Koschnick auf eine liebevoll inszenierte Reise ins Surreale mitnehmen zu lassen (Geständnis in Versform!), werden dafür umso mehr belohnt.

Regisseur und Drehbuchautor Justus von Dohnányi hat mit "Schwindelfrei" einen lupenreinen Liebhaber-"Tatort" gedreht, der sicherlich nicht jedem gefallen wird. "Aber wir sollten auf jeden Fall weitermachen", gibt Murot Kollegin Wächter am Ende mit auf den Weg - und die experimentierfreudigen Entscheider beim HR halten es ungeachtet etwaiger negativer Reaktionen ganz mit dem Ermittler: Zwei neue Fälle sind bereits in der Mache. Gut so!

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen