Der Karneval und ich Et ist tatsäschlisch jot jejange
12.02.2015, 15:03 Uhr
Noch sitzt alles! Der Kölner an sisch is net eitel.
(Foto: dpa)
Karneval ist eine ernste Angelegenheit - dass die Jecken zum Lachen dennoch nicht in den Keller gehen, ist jedes Jahr zu dieser närrischen Jahreszeit zu beobachten. Eine Saupreußin, zum ersten Mal im Selbsttest, ist am Ende auf dem Stuhl am Tanzen.
Er ist morgens schon gut gelaunt. Ich nicht. Er redet beim Zähneputzen. Ich nicht. Er ist witzig (denkt er), ich später. Er ist aus dem Rheinland, ich aus Berlin. Ex-Hauptstädter und Hauptstädterin treffen aufeinander, ein morgendlicher Kampf nicht nur der Geschlechter und der Launen, sondern auch der Kulturen.
Die Liebe sollte eines Tages ernsthaft auf die Probe gestellt werden, als der Rheinländer zu der Berlinerin sagt: "Wir sind eingeladen zum Kölner Karneval!" "Oh schön, ich geh' als Cindy aus Marzahn!" "Naja, wenn du meinst," antwortet der Mann und guckt betrübt. "Was ist falsch an Cindy aus Marzahn", ruft die Berlinerin und zur Betonung schickt sie noch ein herzliches: "Helau!" hinterher. Sie strahlt. Der Mann zuckt zusammen. "Da wo wir hingehen, ruft man Alaaf. Kölle Alaaf! Und wir ziehen auch nicht von Kneipe zu Kneipe." Er druckst ein wenig: "Wir gehen auf eine Sitzung." Auf eine was?
Moment mal, ist das das, wo ich früher immer vor Schreck die Fernbedienung hab' fallen lassen, wenn da Männer mit fiesen spitzen Kopfbedeckungen auf einer Bühne standen und mit nicht verständlichem Dialekt Witze gerissen haben, die das in meinen Augen grenzdebile Publikum zum Wegschmeißen komisch fand? Ich fass' es nicht, das kann er mir nicht ernsthaft antun wollen. Ich muss nachdenken und putze erstmal die Zähne.
Ich bin Agnetha! Nein, ich!
Ein paar Wochen später gehen wir zu "Deiters", dem Kostümausstatter, der jetzt auch eine Dependance am Berliner Alexanderplatz aufgemacht hat. Widerwillig wie ein Teenager lasse ich mich da hinschleppen. Freunde kommen mit, er ist Däne und genauso bockig. Sie, wie sollte es anders sein, liebt Fasching, Verzeihung, Karneval. Während wir da durch die Gänge schlendern, passiert aber etwas mit mir: Ich könnte Indianerin sein. Endlich. Die Häuptlingshaube tragen, die meinen Eltern früher zu teuer war. Außerdem trug eine Squaw nur eine lächerliche Feder. Ich wollte aber eine Haube, die volle Pracht. Schwarze Streifen im Gesicht und einen Tomahawk! Gerade stell' ich mir vor, wie ich mit den anderen Indianern eine Friedenspfeife rauche, da stellen sich meine drei Scherzkekse im ABBA-Look vor mich und rufen: "Hey, Dancing-Queen!" Süße Idee, aber wir Frauen wollen beide Agnetha sein und deswegen ziehen wir uns bereits jetzt an den Haaren, während Benny und Björn sich aus dem Staub machen.
Natürlich ziehen wir uns nicht an den Haaren, aber die Freundin sagt, wenn sie den ganzen Abend in diesem Voll-Polyacryl-Teil überleben soll, dann müssten wir einen Tisch draußen haben wegen Schweißanfällen und beschließen, das zu lassen. Es gibt ja noch Piraten, Marie-Antoinette, Wolle Petry oder die Rasta-Frau. Der Aufenthalt bei Kostüm-Deiters wird lang, wir sagen den Tisch im angesagtesten Restaurant ab und bleiben im Wunderland am Alex.
Zwei Wochen später treffen sich Benny, Björn, Nschotschi und Pocahontas in einer Kölner Hotellobby und bestellen ein Kölsch, Alaaf! Der Teil gefällt mir schonmal - wir sehen obendrein rattenscharf aus, finden wir - und wir gehen (die ABBA-Männer stöckeln) rüber zur Messe (!), wo das Spektakel stattfindet. Jahaa, zur Messe. Volle Beleuchtung, mit der Rolltreppe in den Saal, an denTischen jeweils 40 Leute. Wir sind bei der Karnevalssitzung der "EhrenGarde der Stadt Köln 1902 e.V.", und die Sitzung findet ab 18.00 Uhr im Kristallsaal der Köln Messe, Eingang West statt.
In der Einladung stand: "Es handelt sich um eine Kostümsitzung, bei der Verkleidung Pflicht ist und die Karten sind heiß begehrt. Wir würden uns sehr freuen, wenn ihr auch kommen würdet. Wir sind eine sehr illustre Runde, die viel Spaß verspricht." Hatte ich da noch mit der Wimper gezuckt (nicht mal mit Absicht, sondern eher nervös), wird mir jetzt schlagartig klar: Hier geht die Post ab.
Et is noch immer jot jejange *
Auch der stocksteifste, aber zumindest Oktoberfest-abgehärtete Saupreuß wird schnell locker, und das liegt nicht nur am großzügig ausgeschenkten Alkohol. Der Kölner ist lustig, der Kölner ist nett, vereinzelt sollen sogar Düsseldorfer an unserem Tisch sitzen (sind das die, die früher gegangen sind?). Die Funkemariesche tragen die kürzesten Röcke, die Herren Jecken haben die strammsten Schenkel und die Wortbeiträge von Guido Kanz, Bernd Stelters und anderen komischen Menschen, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt, sind wirklich komisch, kein Witz jetzt!
Es wird gelacht und gejohlt, viel getrunken, wenig gegessen, die Saupreußen werden integriert, als wären die Gastgeber an einer extra dafür eingerichteten Schule trainiert worden und was soll ich sagen: Es macht Spaß. Wir schunkeln! Ich bekomme einen Orden geschenkt, gar nicht mal so hässlich, meine Mundwinkel zucken. Bützche, links, rechts, gerne doch!
Okay, bei den Bläck Fööss laufen mir jetzt nicht gerade die Tränen runter, aber mein Rheinländer is' jerührrt, isch reische mal unauffällisch ein Taschentuch rübber. Spätestens jedoch als Brings einen etwas jüngeren Karnevalshit anstimmen, bin isch auf dem Stuhl am Stehen, und versuche - zugeben, nicht gut, aber bemüht, in der rheinischen Grammatikspezialität, nämlich der Progressiv-Form - "Su lang mer noch am lääve sin, am laache, kriesche, tanze sin" - mitzusingen. Mein Rheinländer, nicht auf dem Stuhl stehend, lächelt mich an. Sehe ich eine Träne in seinem Auge blitzen, und ist es Glück, Dankbarkeit oder doch eher ein Gefühl des Mitleids? Mir doch egal, et kütt eh wie et kütt und nächstes Jahr wollen wir - als Paar, total süß - als Rotkäppchen und der böse Wolf gehen. Ich bin natürlich der Wolf.
*et hätt noch emmer jot jejange, schon klar ....
Quelle: ntv.de