"Masters of Sex" Hausfrauen masturbieren für die Forschung
13.07.2014, 15:25 Uhr
Lizzy Caplan und Michael Sheen in einer Filmszene in "Masters of Sex".
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Eigentlich geht es gar nicht um Sex - auch nicht um Liebe. Es geht um Wissenschaft, um Elektroden, Probanden und Statistik. "Masters of Sex" erforscht die Lust des Menschen - und findet unter anderem die Kraft des weiblichen Orgasmus.
Dr. William H. Masters (Michael Sheen) macht aus Ehepaaren Eltern. Nur seine eigenen Schwimmer bekommt er nicht so richtig fit - aber das spielt hier erst einmal keine Rolle. Masters ist der Stargynäkologe an der Universität Washington. Nur interessieren ihn Babys dieser Tage herzlich wenig. Er will nicht wissen, wie das Balg in die Welt rutscht. Ihn interessiert, wie es gezeugt wird. Masters erforscht die "Sexuelle Reizbeantwortung des Menschen". Ihm assistiert dabei seine vormalige Sekretärin Virginia Johnson (Lizzy Caplan). Die bringt zwar nicht die notwendigen Qualifikationen mit, kommt dafür aber wie keine Zweite.
Masters ist zwar fachlich brillant, zwischenmenschlich jedoch tendenziell beschränkt. Sein Wissen über Sexualität hängt in Staffel eins des Showtime-Dramas "Masters of Sex" ungefähr da, wo der Handlungsstrang einsetzt: in den 1950er-Jahren. Wieso eine Frau einen Orgasmus vortäuschen würde, fragt er Johnson. Ohne näher auf ihre Antwort eingehen zu müssen, wird klar: Der Mann hat Nachholbedarf. Weil Sex in etwa so sehr der Fortpflanzung dient wie Alkohol dem Desinfizieren, verdrahten Masters und Johnson im stillen Kämmerchen Freiwillige mit Elektroden, beobachten und vermessen sie bei der Selbstbefriedigung, später auch beim Geschlechtsverkehr. Sie wollen herausfinden, wie Menschen Lust empfinden.
Starke Frauen im präfeministischen Minenfeld

Lizzie Caplan (l) als Virginia Johnson und Annaleigh Ashford (r) als Betty in "Masters of Sex".
(Foto: AP)
Wie zum Beispiel "Mad Men" sucht "Masters of Sex" in der Ästhetik der Vergangenheit neue Helden im Kampf der Geschlechter. Bill Masters ist fachlich brillant, doch seine Assistentin und Immer-mal-wieder-Affäre Johnson hat noch wesentlich mehr zu bieten. Die alleinerziehende Mutter zweier Kinder überstrahlt ihren Vorgesetzten meist an Ambition und Verständnis für die Materie. Sie zeigt Einsatz: schläft mit dem Chef oder lässt ihren Orgasmus filmen - alles zu Forschungszwecken natürlich.
Aber Bill ist kein zärtlicher Charakter, wenngleich mehr Anti-Charismatiker als Antiheld. Als er seine Ehe von der verdrehten Beziehung zu Virginia bedroht sieht, zahlt er sie aus. Doch "Ginny" lässt sich von ihm nicht zur Hure degradieren. Sie beginnt für die unterkühlte Krebsforscherin Dr. Lillian DePaul (Julianne Nicholson) zu arbeiten - ein weniger lustvolles, wenngleich beruflich vielversprechenderes Verhältnis.
"Masters of Sex" ist eine Show der starken Frauen. Sie löst sich von einer männlich dominierten Betrachtung der Vergangenheit. Die "guten alten Zeiten" gibt es nicht. Mit geschärftem Blick für die Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen der 1950er-Jahre adressiert die Serie Sexismus, Homophobie und eine Reihe weiterer Scheinheiligkeiten. Im Gegensatz zu Historiendramen geht es weniger um einzelne Handlungen, sondern darum, wie sich anfühlt, was geschieht. Frauen dürfen faszinieren, statt nur von der Seitenlinie aus zu verführen. An "Masters of Sex" kann man sich nicht aufgeilen - jedenfalls nicht ohne eine gehörige Portion Ignoranz für das präfeministische Minenfeld, auf dem Abtreibung verboten, der Zugang zu respektablen Hochschulen für Frauen eingeschränkt und wissenschaftlicher Erfolg nahezu undenkbar waren.
Mehr Seelenstriptease als Erotikshow
Die bislang unbekannten Muskelkontraktionen der Vagina während eines Orgasmus wollen die etablierten Mediziner jedenfalls nicht sehen. Dass Frauen im Gegensatz zu Männern zwei Arten des Orgasmus - den vaginalen und den klitoralen - kennen können, dass ihnen Sex mit sich selbst mehr Lust verschaffen kann als die Kopulation mit dem anderen Geschlecht, wollen sie nicht wissen. Masters Studie floppt, gelinde gesagt. Zu Beginn der zweiten Staffel muss er sich beruflich neu orientieren. In den USA laufen die neuen Folgen "Masters of Sex" ab heute Abend.
Eins ist klar: Von ein bisschen Ablehnung lässt sich Bill natürlich nicht abschrecken. Auch wenn die Hochschule seine Studie auf Eis gelegt hat. Virginia und er forschen weiter - im Hotelzimmer inklusive Rollenspielchen. Irgendwie muss sie sein dramatischer Auftritt an ihrer Türschwelle beim vergangenen Staffelfinale umgestimmt haben. Im Grunde ist "Masters of Sex" eben doch keine Studie der Sexualität. Während die Protagonisten die Libido erforschen, entblößen sie vor allem ihre wirre Psyche. Was will die attraktive, kompetente Frau mit einem Mann, dem es nicht gelingt, eine basale zwischenmenschliche Verbindung aufzubauen? Wie sexy ist ein Arzt, der sich selbst nicht heilen kann?
"Masters of Sex" stellt zur Disposition, wie aufgeklärt unsere heutige Gesellschaft tatsächlich ist. In Staffel zwei sieht sich Bill mit dem Zorn eines Vaters bezüglich der Intersexualität seines Neugeborenen konfrontiert. Vielleicht wird seine eigene Impotenz erneut zum Thema. Jedenfalls wird er in Konfrontation mit seiner Frau einsehen müssen, dass Virginia und ihn nicht nur die Liebe zur Wissenschaft verbindet. Bills ehemaliger Vorgesetzter Barton Scully (Beau Bridges) wird versuchen, sich mittels Elektroschocktherapie seiner Homosexualität zu entledigen. Mit aller Distanz und Mäßigung ist "Masters of Sex" auf der Suche nach etwas, was persönlicher ist als Nacktheit: Intimität.
Quelle: ntv.de