Unterhaltung

Ein Leben für die Literatur Klaus Reichert wird 70

Er widmet sein Leben der Literatur, aber triviale Massenkost ist seine Sache nicht. Der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Anglist, Übersetzer und Lyriker Klaus Reichert hat sich der anspruchsvollen Lektüre verschrieben - und etwa Sonette und Theater-Stücke von Shakespeare oder Werke von James Joyce übersetzt. Bei aller Liebe für die angelsächsische und amerikanische Literatur hält Reichert, der am 22. Mai seinen 70. Geburtstag feiert, die deutsche Sprache hoch. Er scheut sich auch nicht, anzuecken.

Offen kritisiert Reichert die Neigung von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, dem Englischen immer mehr Raum zu bieten und das Deutsche als Fachsprache zu verdrängen. "Wenn auf deutschen Kongressen und Symposien häufig nur Englisch gesprochen wird, ist das kaum förderlich für die Differenziertheit des Denkens", schrieb er im April im "Reading-Room" der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

"Internationalität" als Trugschluss

Die angeblich größere "Internationalität" deutscher Wissenschaft, wenn sie auf Englisch daherkommt, sei ein Trugschluss. Denn Denken lasse sich nicht ohne erhebliche Verschiebungen, Verkürzungen und Umdeutungen von einer Sprache in die andere übertragen. "Wenn ein deutscher Philosoph englisch schriebe, müsste er wissen, dass seine Philosophie eine andere würde; also lässt er es bleiben."

Auch von fremdsprachigem Schulunterricht hält Reichert wenig. "In der englischen Physikstunde eines deutschen Lehrers möchte ich nicht sitzen", sagte er bei der Herbsttagung der Akademie für Sprache und Dichtung 2007 in Darmstadt. Denn woher solle der Physiklehrer gutes Englisch können? Ohnehin hält er es für Unfug, noch eine fremde Sprache dazuzusetzen, wo immer mehr Kinder nicht einmal auf Deutsch vollständige Sätze bilden können.

Lebendige Wissenschaft

Reichert wurde am 22. Mai 1938 in Fulda geboren und machte 1958 am humanistischen Gymnasium in Gießen Abitur. Nach seinem Studium der Philosophie, Germanistik und Anglistik in Marburg, Gießen, Frankfurt, London und Berlin hat er als Lektor unter anderem bei Suhrkamp gearbeitet. 1970 promovierte Reichert in Frankfurt, fünf Jahre später erhielt er dort die Berufung zum ordentlichen Professor für Anglistik und Amerikanistik - und blieb bis zu seiner Emeritierung 2003. 1993 wurde Reichert in Frankfurt geschäftsführender Direktor des neu gegründeten interdisziplinären Zentrums zur Erforschung der Frühen Neuzeit, seit 2002 ist er Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Reicherts Forschungsschwerpunkte sind Literatur- und Wissenschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit, Übersetzungstheorie und -geschichte, die Literatur der Renaissance und die Literatur der klassischen Moderne. Beim Fischer-Verlag hat er die große Gesamtausgabe der Werke Virginia Woolfs herausgegeben. Dafür widmete der Verlag ihm nun zu seinem 70. Geburtstag den Essay-Band "Die fünf Sinne - Von unserer Wahrnehmung der Welt" mit Texten von Felicitas Hoppe, Martin Mosebach, Pter Esterhzy oder Wilhelm Genazino. Darin werde allerdings "in keiner Weise gravitätisch gratuliert", sagte Martin Spieles vom Fischer-Verlag. Vielmehr werde der Jubilar mit dem gewürdigt, was ihm am wichtigsten ist: lebendige Wissenschaft.

Reise zu sich selbst

Reichert, den Mitarbeiter der Akademie als "unglaublich herzlich und menschlich" beschreiben, ist mehrfach ausgezeichnet worden, unter anderem 1983 mit dem Wieland-Preis für herausragende Übersetzungen. 1996 erhielt er den Hessischen Kulturpreis für Wissenschaft, 2007 den Preis der Kritik des Hamburger Verlags Hoffmann und Campe für "herausragende literaturkritische und literaturvermittelnde Verdienste".

Reichert ist verheiratet und hat zwei Töchter. Auch im fortgeschrittenen Alter schreckt er nicht vor großen Abenteuern zurück: Ende 2005 entfloh der damals 67-Jährige der Zivilisation und verbrachte die Tage über Weihnachten und Neujahr in der Sinaiwüste. Der Kamelritt durch die karge Steinwüste wurde zu einer Reise zu sich selbst, die er in seinem kleinen Reisejournal "Wüstentage" (Suhrkamp-Verlag, 2006) beschrieb: "Es ist schwer, dieses Nichtstun auszuhalten. Ich habe mich dem noch nie ausgesetzt, ja, ich fühle mich ausgesetzt, fremd, extraneus. Ohne Bücher, Bilder, Musik und Gespräche, von denen ich abhängig bin oder vielleicht war."

Von Harald Schmidt, dpa

Quelle: ntv.de

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