Wiener Leistungswahn-"Tatort" Süchtig aus Vernunft
21.01.2017, 22:28 Uhr
Ist auch ein Opfer der Leistungsgesellschaft: Claudias (Tanja Raunig, r.) Freund Kerem (Mehmet Sözer)
(Foto: ARD Degeto/ORF/Hubert Mican)
Ein junger Student aus gutem Hause kündigt einen Doppelmord mit anschließendem Suizid an. Die Frage nach dem Warum führt die Wiener Kommissare in unbekanntes Terrain - und die Zuschauer in die Erklärbärhölle.

Weiß nicht so recht, was er von der ganzen Sache halten soll: Kommissar Eisner (Harald Krassnitzer, l.)
(Foto: ARD Degeto/ORF/Hubert Mican)
Druckreife Zitate gehören zu den schönsten Geschenken, die man einem Journalisten machen kann: Sie lesen sich toll - und noch viel wichtiger, sie unterstützen das Fundament einer Story intensiver, als man das tun könnte, wenn man die Dinge selbst erklären müsste. Der neue "Tatort" aus Wien ist aus der entsprechenden Perspektive betrachtet ein wahrer Präsentkorb: Beim Notieren der zitablen Sätze für diese Kritik bin ich aus dem Mitschreiben quasi gar nicht mehr herausgekommen - und wurde irgendwann stutzig.
"Schock" fängt ungemein vielversprechend an, indem der Krimi direkt in der ersten Szene die vierte Wand durchbricht und die Zuschauer direkt anspricht: "Mein Name ist David Frank. Die Namen meiner Eltern sind Agnes und Hans-Georg Frank. Ich werde meine Mutter, meinen Vater und anschließend mich selbst töten. Und ich werde mich bemühen, Ihnen zu erklären warum", diktiert Frank (Aaron Karl) in die Kamera und stellt das Video per Youtube-Verschnitt Darktube ins Netz. Im gewohnten Cliffhanger-Stil amerikanischer Serien war's das dann erstmal an Info - und zumindest die Wiener Mordkommission ist von der Ankündigung des attraktiven Studenten so beeindruckt, dass sie direkt mal eine Sonderermittlungsstaffel einberuft.
Der zerstörerische Druck der Leistungsgesellschaft
Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) kommen zwar schnell dahinter, dass der angekündigte Doppelmord plus Suizid keine leere Drohung ist, für mehr reicht's aber nicht - was vor allem daran liegt, dass sie Frank und dessen Probleme einfach nicht verstehen. Dafür braucht es erst einen augenöffnenden Moment mit Eisners Tochter Claudia (Tanja Raunig), die Franks Probleme teilt: "Wir sind süchtig aus Vernunft", schreit die Studentin ihren Vater an und schiebt hinterher: "Wir sind die Pflichterfüllergeneration!"
Regisseur und Drehbuchautor Rupert Henning wühlt ganz tief in der Klischeegrabbelkiste, um seiner Geschichte vom zerstörerischen Druck der Leistungsgesellschaft die nötige Wucht zu verleihen: Alle sind auf Droge, anders geht es nicht mehr - und doch frisst der Druck zuerst die Träume der Generation Y und dann die Menschen selbst. Das Ganze wird, um den Cliffhanger vom Anfang mal aufzulösen, in gedrechselten Sätzen erzählt, die für sich allein gut klingen, aber in ihrer Gesamtheit für Migräne sorgen: Wenn zum x-ten Mal jemand zu einer epischen Systemkritik ansetzt und von der "Manövriermasse des Kapitals" schwurbelt, bleibt den Zuschauern kaum etwas anderes übrig, als genervt die Augen zu verdrehen.
Ein paar erhobene Zeigefinger weniger hätten diesem "Tatort" sehr gut getan, schließlich ist die Thematik an sich gerade mit Blick auf die Rezeption in den verschiedenen Generationen gar nicht mal so unspannend. Anstatt seine Zuschauer aber mit einer emotionalen Inszenierung dafür zu begeistern, begräbt "Schock" sie lieber unter einer Mauer aus tonnenschweren Hochglanzzitaten - da wäre mehr drin gewesen.
Quelle: ntv.de