Unterhaltung

Rückkehr der Buchstaben Tora nach 70 Jahren restauriert

Mit einer Truthahnfeder kratzt Yischak Steiner vorsichtig über das Pergamentpapier. In der Linken hält er ein Glas mit schwarzer Tinte. Er darf jetzt keinen Fehler machen - ein falscher Strich, und das Werk von Monaten müsste wieder überarbeitet werden. Alle recken die Hälse, um nichts zu verpassen. Dann richtet sich der alte Mann auf und ruft triumphierend: "Der letzte Buchstabe. Nun ist die Tora nach 70 Jahren wieder koscher!"

Applaus brandet auf, und als jemand ein jüdisches Freudenlied anstimmt, fallen die anderen gleich ein. Die Kölner Torarolle, die um ein Haar in der Reichspogromnacht zerstört worden wäre, kann endlich wieder in der Synagoge verwendet werden.

So exakt, wie bedruckt

Auf der dicken Pergamentrolle sind die fünf Bücher Mose aufgeschrieben, insgesamt über 300.000 Wörter, alles von Hand mit Tinte aufgetragen und dies so exakt, dass die Rolle wie bedruckt aussieht. Ein geübter Schreiber, der jeden Tag acht Stunden auf das Buchstaben-Malen verwendet, braucht eineinhalb bis zwei Jahre, um eine solche Rolle fertig zu stellen. In der Reichspogromnacht von 1938 wurden mehr als 10.000 dieser Kostbarkeiten von den Nazis zerstört.

Auch die Kölner Torarolle sollte nach dem Willen der Menschenjäger zu Asche verbrennen. Aber einer hatte Mut, einer trat aus der Menge der johlenden Schaulustigen, lief in das brennende Gotteshaus und nahm die Torarolle an sich: der katholische Prälat Gustav Meinertz. "Es gab viele weitaus schönere Sachen in der Synagoge", sagt der hünenhafte Kölner Rabbiner Netanel Teitelbaum und lächelt, "aber er hat die Torarolle genommen". Er versteckte sie bei sich zu Hause und gab sie den wenigen Überlebenden der jüdischen Gemeinde einige Tage nach Kriegsende zurück.

20 strikte Regeln für das Schreiben eines jeden Buchstabens

Die Torarolle war jedoch nur noch ein Museumsstück, im Gottesdienst konnte sie nicht mehr verwendet werden. Schon bei einem einzigen beschädigten Buchstaben ist der Kultgegenstand nicht mehr koscher. Da die Rolle Brandflecken aufwies und die Tinte an vielen Stellen verlaufen war, galt eine Restaurierung lange als unmöglich. Erst dank neuester Techniken in Steiners Jerusalemer Labor gelang die Wiederherstellung in viermonatiger Arbeit nun doch noch. Die Kosten "im unteren fünfstelligen Bereich" übernahm der Kölner Kardinal Joachim Meisner.

Steiner, dessen Vater in Wien geboren wurde, hält die Kölner Torarolle nicht nur ihrer Geschichte wegen für besonders wertvoll. "Zwar gibt es für das Schreiben eines jeden einzelnen Buchstabens 20 strikte Regeln, aber trotz dieses Korsetts kann man sofort erkennen, aus welchem Land eine Tora kommt", erzählt er. "Diese hier wurde 1902 in Deutschland angefertigt. Davon gibt es nicht mehr viele."

Eine besondere Zeremonie

Die Tora endet mit den Worten "vor den Augen des Volkes Israel". Nach alter Tradition ist das Aufmalen dieser letzten Wörter eine besondere Zeremonie, die Vollendung der Tora. Verdiente Mitglieder der Synagogen-Gemeinde Köln sind dafür in das große jüdische Zentrum in Köln-Ehrenfeld gekommen. Jeder von ihnen darf einen Buchstaben schreiben, aber weil dies so schwierig ist, nimmt man die Truthahnfeder nur symbolisch in die Hand und gibt sie dann an den Rabbiner Steiner weiter.

Gedankenverloren verschränkt er wenig später beim Essen die Arme über dem grauen Bart. "Es gibt bei uns eine zweitausend Jahre alte Prophezeiung, wonach die Buchstaben einer verbrannten Tora in den Himmel aufsteigen werden. Wissen Sie, wie ich mich heute Abend fühle? Gott hat die Buchstaben im Himmel bewahrt, und heute hat er sie uns zurückgegeben."

Von Christoph Driessen, dpa

Quelle: ntv.de

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