Berlinale zwischen Politik und schwarzem Humor Weiß wie Schnee, rot wie Blut
14.02.2014, 15:00 Uhr
"Kraftidioten": Nils (l.) sucht die Mörder seines Sohnes - und die haben nichts zu lachen.
(Foto: Berlinale)
George Clooney fällt durch. Bradley Cooper fühlt sich wie ein Pudel. Stellan Skarsgard zieht eine Blutspur durch Norwegen. Pierce Brosnan will springen. Alle lieben Chávez. Und "Boyhood" ist der Favorit. Nur der Winter fehlt auf der Berlinale.
Die Berlinale nähert sich der Zielgeraden - am Sonnabend werden die Goldenen und Silbernen Bären verliehen. Festivalpublikum und Kritiker haben inzwischen einen Favoriten: den knapp dreistündigen Spielfilm "Boyhood" von US-Regisseur Richard Linklater.
Der Regisseur hat den Berlinale-Wettbewerb noch einmal komplett umgekrempelt. Denn "Boyhood" entstand über ein Dutzend Jahre, in dem die Darsteller Jahr für Jahr vor die Kamera geholt wurden - und so das Heranwachsen von Hauptdarsteller Ellar Coltrane authentisch zeigen.
So ein Hit, der spät im Festival gezeigt wird, ist für Zuschauer natürlich eine Freude. Denn nach den zehn Tagen verschwimmen so langsam die verschiedenen Filme zu einer diffusen Masse. Höchste Zeit also, ein paar Beobachtungen einzusammeln und ein paar Gemeinsamkeiten.

Toupet und Minipli: Christian Bale (l.), Amy Adams und Bradley Cooper in "American Hustle".
(Foto: Berlinale / Francois Duhamel / Tobis Film)
Es geht vor allem um Schnee. Dieser war Mangelware in diesem Jahr. Das warme, sonnige Frühlingswetter in Berlin machte die Schneemassen vom letzten Jahr (die dann bis Ende April durchhielten) schnell vergessen. Dafür tauchte Schnee immer wieder in den Berlinale-Filmen auf.
Schon der Eröffnungsstreifen "The Grand Budapest Hotel" spielt in einem Hotel in den - klar - verschneiten Bergen eines fiktiven osteuropäischen Landes. Ganz und gar nicht fiktiv waren allerdings die zahlreich angereisten Hollywoodstars. Regisseur Wes Anderson kam in Begleitung von Ralph Fiennes, Tilda Swinton, Willem Dafoe, Edward Norton, Jeff Goldblum und Bill Murray.
Der Film gefiel dann nicht nur den Kritikern. "Ich liebe diesen Film", sagte auch Bradley Cooper im Interview mit n-tv.de. Der einstige "Sexiest Man Alive" war nach Berlin gekommen, um den Oscar-Favoriten "American Hustle" vorzustellen, in dem Schnee in Form von Kokain vorkommt. Begleitet wurde er von Christian "Batman" Bale. Beide sind mit dem Film für den Academy Award nominiert. Vielleicht liegt's an ihren Frisuren: Gegen Toupet und Minipli kommt man schwer an. "Wie ein Pudel sieht man so aus", fand allerdings Cooper.
"Fargo" trifft "Pulp Fiction"

Berlinale-Zuschauer wollen Schnee sehen - "Die Schöne und das Biest" erfüllte diesen Wunsch. Hier liegt Léa Seydoux drin.
(Foto: Berlinale / 2014 Concorde Filmverleih GmbH)
George Clooney kann da nicht mithalten. In "The Monuments Men" trägt er gerade mal Schnurrbart. Kein Wunder, dass der Film über eine US-Einheit, die im Zweiten Weltkrieg Kunstschätze rettet, bei Kritik und Publikum durchfiel. Da halfen auch die in Berlin versammelten Stars Matt Damon, John Goodman, Jean Dujardin und Bill Murray nichts. Schnee kam auch nur am Rande vor - enttäuschend.
Filme wie "Black Coal, Thin Ice" oder die Neuverfilmung von "Die Schöne und das Biest" machten das wieder wett. Vor allem aber der norwegische Wettbewerbsbeitrag. In "Kraftidioten" von Hans Petter Moland gibt es massenhaft Schnee. Schließlich spielt er im winterlichen Norwegen. Damit die Autos und Menschen nicht steckenbleiben, ist Nils (Stellan Skarsgard, der in Berlin auch noch "Nymphomaniac" vorstellte) unermüdlich im Einsatz. Er fährt riesige Schneepflüge, die die weiße Pracht tonnenweise von den Straßen fegen.
Doch dann wird Nils' Sohn ermordet und er geht auf die Suche nach den Killern. Pech für den Grafen, denn dessen Drogenring (klar, es geht um schneeweißen Koks) wird fortan nach und nach dezimiert. Und dann mischt auch noch die serbische Mafia mit, angeführt von Bruno Ganz.
Eine schweigsame Hauptfigur, skurrile Gangster, die die Vorzüge des norwegischen Knasts diskutieren (warmes Essen, nette Wärter, Rentenpunkte), und ganz viel Witz - die großartige, schwarzhumorige Gangsterfarce "Kraftidioten" kommt wie eine Mischung aus "Fargo" und "Pulp Fiction" daher. Dabei wird nicht nur geschossen und gewürgt. Auch ein Schneepflug hat erstaunliche Killereigenschaften. Der Film dürfte jedenfalls einer der ganz heißen Tipps des Festivals sein.
Magischer Realismus und Kriegs-Realität

Durch die weißen Weiten Kanadas: Cilian Murphy in "Aloft".
(Foto: Berlinale / Allen Fraser / Cry Fly Manitoba Inc.)
Schnee spielt auch eine Rolle in "Aloft". Der neue Film von Claudia Llosa (Goldener Bär 2009) handelt von Iván (Cilian Murphy, "Batman Begins"), der sich auf die Suche nach seiner Mutter (Jennifer Connelly) macht. Die hatte einst die Familie verlassen, um als Heilerin umherzuziehen.
In Rückblenden wird nach und nach die Geschichte von Iváns Vergangenheit offenbar. "Aloft" findet starke Bilder für eine tragische Kindheit mit Armut und Krankheit. Für magische Momente sorgen nicht nur die Falken, die Iván aufzieht, sondern auch die schneebedeckten Weiten im kanadischen Manitoba und die zerbrechlichen Eisschichten über den Gewässern.

Ronald Zehrfeld als Bundeswehr-Soldat in Afghanistan, Mohsin Ahmady als sein afghanischer Übersetzer Tarik.
(Foto: ©Bjoern Kommerell)
Die Weite - auch sie war ein wiederkehrendes Element dieser Berlinale. Das war nicht nur beim (enttäuschenden) "Two Men in Town" mit Forest Whitaker so, sondern ebenso in "Zwischen Welten". Der deutsche Wettbewerbsbeitrag von Feo Aladag spielt in Afghanistan. Er wurde auch dort gedreht, etwa in Kunduz und Mazar-i-Sharif.
Wo andere Produktionen auf benachbarte Länder ausweichen, wollte die Regisseurin möglichst authentisch sein. So ist nicht nur ein politisch brisanter Film mit Ronald Zehrfeld in der Hauptrolle entstanden, der viele Probleme des Afghanistan-Krieges thematisiert. Nebenher fängt "Zwischen Welten" auch noch die bezaubernd schöne, aber ebenso zerrissene und blutdurchtränkte Landschaft des Landes ein.
Ganz weit oben
Eine Weite im anderen Sinne eröffnete sich bei der Weltpremiere von "A Long Way Down". Es ist ein Abgrund, in den Pierce Brosnan hier blickt. Er steht auf einem Hochhaus und ist bereit, den letzten Schritt zu tun. Doch Toni Collette unterbricht ihn. Dann kommt Imogen Poots dazu und schließlich auch noch Aaron Paul ("Breaking Bad"). Die Vier lassen ab von ihren selbstmörderischen Plänen und schließen einen Pakt: Sie wollen zumindest bis zum Valentinstag weiterleben. Leichter gesagt als getan …
"A Long Way Down" ist die Adaption des gleichnamigen Romans von Nick Hornby. Filmkenner wissen: Hornby-Verfilmungen haben das Zeug zum Klassiker. Das war schon bei "High Fidelity" mit John Cusack so und bei "About a Boy" mit Hugh Grant. An diese beiden kommt die neue Adaption nicht heran, doch der Film versprüht denselben typischen Hornby-Charme zwischen Tragik, Humor und britischem Akzent.
Zum Abschluss noch ein bisschen schneefreie Revolution. "César Chávez", der in Berlin seine Uraufführung erlebte, ist schließlich eine Biografie des US-amerikanischen Gewerkschafts-Aktivisten. In den 1960er Jahren kämpft Chávez (Michael Peña, "American Hustle") für die Rechte kalifornischer Landarbeiter. Denn diese werden schlecht bezahlt und schikaniert. Er gründet die Landarbeitergewerkschaft, ruft die Mitglieder zum Streik auf und initiiert einen Boykott gegen das Obst der Farmer (u.a. John Malkovich).
"Viva Chávez"
"Si, se puede" - "Ja, wir können es". Wer sich schon immer gefragt hat, woher US-Präsident Barack Obama seinen Wahlslogan "Yes We Can" herhat, der findet hier die Antwort. Interessanterweise wurde sowohl Chávez, der 1993 starb und dessen Geburtstag in mehreren US-Staaten gesetzlicher Feiertag ist, als auch Obama vorgeworfen, Kommunist zu sein. Im Film kontert Chávez das mit der Bemerkung, dass es unmöglich sei, gleichzeitig Katholik und Kommunist zu sein.
Der Streifen, der seine Titelfigur als Held inszeniert, wurde bei der Premiere im Friedrichstadtpalast frenetisch bejubelt. Als dann nicht nur Regisseur und Hauptdarsteller auf die Bühne traten, sondern auch eine alte Weggefährtin von Chávez, brauchte diese nicht lange und der ganze Saal rief "Viva Chávez" und "Si, se puede".
Vielleicht sorgte aber auch nur die Tatsache für Begeisterung, dass man wieder mal einen Film im Friedrichstadtpalast überstanden hatte. In den riesigen Saal passen 1895 Menschen - und die sitzen dort wie die Ölsardinen in der Konserve. Am Ende eines Films schmerzen so nicht nur die Knie, sondern angesichts der harten Sitze meist auch der Allerwerteste. Bei manch einem Besucher hat der sich im Laufe des Festivals durchaus einen Goldenen Bären verdient.
Quelle: ntv.de