Frischer Wind im Wigwam Winnetou reloaded - Weihnachten ist gerettet
21.12.2016, 10:07 Uhr
Mein Bruder!
Neulich auf Facebook: "Es gibt nur einen Winnetou und der heißt Pierre Brice", oder: "Nun schließt sich auch der deutsche Markt dieser unseligen Remake Hysterie an", und: "Nur das Original ist genial." Auf den Kommentar: "Jetzt wartet doch erstmal ab, Kinder, und guckt euch die Neuen an, dann könnt ihr die Alten immer noch besser finden", kommt als Antwort nur großes Gepolter: Oder eben: "Pierre Brice ist Kult." Das will auch niemand bestreiten, Ihr ewig Gestrigen! Nicht einmal die Witwe von Pierre Brice hat etwas dagegen, dass frischer Wind durch den Wigwam weht. Und wie der weht!!! Ein liebenswerter, aber moderner Old Shatterhand ist das, der da in der Neuen Welt ankommt: Wotan Wilke Möhring, sonst gern "Tatort"-Kommissar und Allrounder im deutschen Film mit Dressman-Qualitäten, ist grandios in der Rolle des deutschen Ingenieurs Karl May, der unter Fremden sein Glück sucht und findet und mit seiner "alten Schmetterhand" den übelsten Gringos zeigt, was eine Harke ist. Und Winnetou - zum Niederknien. Einen besseren Darsteller hätte man nicht finden können als diesen wunderschönen, bescheidenen, talentierten, "bisher-noch-nicht-so-bekannten-aber-das-wird-sich-bald-ändern"-Typen aus Albanien, der auf den Namen Nik Xhelilaj hört und der von Pierre Brice ganz sicher mit größter Freude und Leichtigkeit adoptiert worden wäre! "A little bit of Deutsch" spreche er, sagt Nik Xhelilaj, und Wotan Wilke Möhring ergänzt: "To be honest, his German is fantastic." Man merkt, hier sitzen zwei Freunde. Und das ist eine Geschichte - jetzt nicht unbedingt wie ein Märchen - aber wie im Film: Wotan und Nik, zwei Unbekannte, treffen aufeinander und sollen eine der größten Bromance-Geschichten (Anm.: Bromance = Brother + Romance), die die Welt kennt, zum Besten geben. Was passiert? Sie werden Freunde - in echt. Auch die größten Zweifler und RTL-Hasser müssten - sollten sie die Glotze dann doch widerwillig anschalten - erkennen, dass hier liebevollst mit heiligem Material umgegangen und dem Vermächtnis nur eines hinzugefügt wurde: Aktualität. Regisseur Philipp Stölzl hat alles gegeben, um den Stoff so original wie nötig und so modern wie möglich zu präsentieren. Im Berliner Hotel "Palace" raucht n-tv.de leider nicht am Lagerfeuer, aber auf bequemen Samtsesseln, mit den beiden Hauptdarstellern eine Art Friedenspfeife.
n-tv.de: Nik, du lebst seit Kurzem in Berlin, vorher lange in Istanbul - dein Deutsch klingt schon ganz gut.
Nik Xhelilaj: Naja, ich verstehe einiges, aber ich bin noch ein bisschen schüchtern, zu sprechen.
Solange du "schüchtern" bist und das sagen kannst, wird es wie von selbst laufen! Die ganzen Üs und Ös und Äs sind echt nicht einfach.
Wotan: Ja, das ist schwer, aber er kann das!
Zeig mal bitte deine Faust, Old Shatterhand! Welche ist es denn?
Wotan: Immer die rechte (lacht).
Musstest du dich sehr vorbereiten oder hast du Übung mit der Faust?
Wotan: Ich habe schon zwei Box-Filme gedreht, es ging jetzt also eher darum, den Box-Stil der damaligen Zeit anzupassen. Nicht diese Doppeldeckung zu haben (deutet Doppeldeckung an), sondern deutlich offener zu stehen (deutet auch das an).

Wotan Wilke Möhring, Iazua Larios (Nscho-tschi) und Nik Xhelilaj bei einem Fotocall in Berlin.
(Foto: dpa)
Du Nik, kanntest Winnetou in der Form gar nicht, bist also völlig unbelastet an die Sache herangegangen.
Nik: Ja, das ist richtig. Nachdem ich zum Casting eingeladen wurde, habe ich erstmal "Winnetou" gegoogelt. Da wurde mir dann auch bewusst, dass das ein ziemlich großes Ding werden kann (lacht). Nachdem ich dann den Anruf von Philipp Stölzl, vom Regisseur bekam, und nach Kroatien fliegen sollte, habe ich mir das alles Stück für Stück erarbeitet. Und zwar über unser Skript, das exzellent geschrieben ist.
Wotan: Ich habe die Bücher gelesen, damals. Und die Filme gesehen. Ich war bei den Karl-May-Festspielen, ich bin also ein echter Fan. Ich habe sogar ein Autogramm von Pierre Brice. Und jetzt großen Respekt gehabt vor den Dreharbeiten, aber nachdem Pierre Brice' Witwe Hella unserem Produzenten geschrieben hatte, dass sie das Unternehmen gut findet, unter anderen, weil der humanistische Aspekt so zum Tragen kommt, waren wir alle ganz beruhigt. Großes Lob für uns (lächelt). Und ich hoffe, dass wir allen Zweiflern beweisen können, dass wir es zwar anders machen als früher, aber auch gut. Es geht darum, dass wir die Geschichte für neue Generationen erzählen, damit sie nicht in Vergessenheit gerät. Und ganz ehrlich: Wenn es die alten "Winnetou"-Filme nicht geben würde, dann bin ich der festen Ansicht, dass man die Bücher heute so verfilmen würde, wie wir es jetzt gemacht haben.
Das wird ja auch kein Bio-Pic über Karl May oder Pierre Brice oder Lex Barker …
Wotan: Nein, es geht um die Geschichte des Landvermessers Karl May, der einen Apachen trifft, der sein Freund wird. Nach einer Weile (lacht).
Die ersten Szenen vermitteln einem gleich das Winnetou-Gefühl, das liegt auch an der Musik. Es wird einem jedenfalls warm ums Herz. Wie erging es euch bei den Dreharbeiten?
Nik: Wir haben ja jeden Tag mehrere Szenen gedreht. Und es war jeden Tag mindestens eine dabei, die mich emotional berührt hat (lacht). Wir hatten alle das Gefühl, denke ich, dass wir etwas Echtes erleben, dass das keine normale Arbeit ist.
Ich habe das Gefühl, da hat sich eine neue "Bromance" entwickelt …
Wotan: Ja, Nik und ich sind genau dieselbe Reise einer Freundschaft angetreten, wie Old Shatterhand und Winnetou, wenn man das so sagen kann. Wir haben uns auf dem Set in Kroatien kennen gelernt und im Laufe der Drehwochen sind wir Freunde geworden. Wir konnten unsere Freundschaft mit der im Film parallel entwickeln, oder umgekehrt (lacht), egal, aber das ist etwas ganz Großes. Es hat sich immer echt angefühlt, wenn wir uns die Augen geguckt haben.
Ihr seid jetzt Blutsbrüder?
Nik & Wotan: Ja, auf jeden Fall.
Der Film geht schon großartig los: Dich, Wotan, sieht man bei der Ankunft in Amerika in einem Einwanderungsbüro, du sagst: "Mein Name ist Karl May, ich bin Deutscher." Du guckst dazu mit größter Unschuld und entwaffnest dein amerikanisches Gegenüber ebenso wie den Zuschauer. Der Officer, der auf deine Dokumente guckt, knallt seine "Approved"-Stempel darauf, du bist angekommen.
Wotan: Ja, als Deutscher war man damals echt willkommen. Die Reise war beschwerlich, sechs Wochen mit dem Schiff, dann landet man auf Ellis Island. Der Rest ist ja fast wie heute (lacht).
Jedes Mal ein Abenteuer, ob man rein darf oder nicht.
Wotan: Aber als Ingenieur, mit dem Akkuraten, der Disziplin, war man damals sehr willkommen. Und das Blauäugige, die Unschuld, wie du es genannt hast, die war ja auch wirklich groß. Karl May redet davon, an einer besseren Welt zu arbeiten. Und wurde maximal enttäuscht. Von seinen eigenen Leuten. Filmisch ist das eine große Fallhöhe. Der Ingenieur, der da ankommt, macht ja eine enorme Verwandlung durch.
Er wird ein Krieger!
Wotan: Ja, ein Apachenhäuptling!
Der Film ist eng am Original, birgt aber auch jede Menge Modernes. Allein die Frauen kommen viel besser weg! Nscho-tschi sitzt nicht mehr nur am Feuer und wartet, sondern ist Schamanin.
Nik: Nscho-tschi ist eine Art Kanzlerin geworden (lacht). Wirklich! Sie ist irre klug, weiblich, und hält die Dinge am Laufen und zusammen.
Wotan: Sie ist die Mitte des Stammes, sie bringt Gefühl, aber auch Ordnung in alles.
Die Rolle der Frau also ganz anders …
Nik: Ehrlich gesagt war es für mich total normal. So, wie es sein muss. Ich kannte die alten Filme ja nicht, aber es fühlt sich richtig an, so wie wir es gemacht haben.
Wotan: Das Weltbild hat sich doch geändert, und das zeigen wir. Wir haben ein paar Sachen so gedreht, dass sie ins Heute passen.
Aber die Ikonen-Begriffe, die sind noch da.
Wotan: Ja klar, die Silberbüchse spielt eine Rolle, Hatatitla und Iltschi, die Pferde, alle diese Begriffe und Dinge spielen eine Rolle. Aber wir erklären sie ein bisschen mehr. Ich bin zum Beispiel aus ganz bestimmten Gründen "Old Shatterhand". Wir sind chronologischer unterwegs.
Klingt ein bisschen so, als wäre das letzte Wort nach diesem Dreiteiler nicht gesprochen - wird es weitergehen?
Nik: Das hoffen wir doch.
Wotan: Ja, ich habe die anderen Bücher auch gelesen (lacht), das wäre schön.
Mario Adorf ist dabei, damals und heute.
Wotan: Und Maria Versini.
Konnten die euch ein bisschen von dem damaligen Spirit weitergeben?
Nik: Mario Adorf war sehr erfreut über dieses Projekt, glaube ich. Ich denke, er hatte das Gefühl, dass jetzt noch alles erzählt werden kann, was damals vielleicht gefehlt hat. Einen Schauspieler wie ihn am Set zu haben ist immer großartig. Ich kannte ihn von einem anderen Projekt.
Verkleidet ihr euch eigentlich schon immer gerne?
Nik: In Albanien früher haben wir das nicht so gemacht. Aber wenn, dann wollte ich immer Cowboy sein.
Wotan: Und ich Indianer. Ich fand schon immer die indianische Kultur toll. Dass diese Kultur besonders ist, wird zum Beispiel deutlich in meinem Gespräch mit Nscho-tschi, als sie sagt: "Warum willst du denn die Welt verbessern, guck' dich doch mal um, ist doch alles da!"
Stimmt, ein schöner Satz!
Wotan: Ja, und das mochte ich eben schon immer.
Dürfen deine Kinder "Winnetou" sehen?
Wotan: Ich denke, die sind noch zu jung. Aber so ab zehn Jahren, mit Eltern, das müsste klappen. Kinder nehmen ja nicht nur Szenen wahr, wo jetzt meinetwegen Leute skalpiert werden, sondern da geht ganz viel über die Emotionen ab, und das wird im dritten Teil besonders heftig, das kann ich jetzt schon versprechen.
Ihr habt in Kroatien gedreht …
Wotan: … ja, fast an denselben Schauplätzen.
Ihr habt lange gedreht, und intensiv. Wie viel Winnetou und Old Shatterhand nimmt man da mit nach Hause?
Nik: Ja, da bleibt was hängen nach fünfeinhalb Monaten (lacht). Sobald ich Winnetous Haar trug …
… was, das war nicht dein echtes Haar?
Nik: (lacht) Leider nicht.
Aber deine Bauchmuskeln sind echt?
Nik: Leider ja. Hartes Training! Und Diät. Aber was ich tatsächlich gelernt habe, ist Geduld. Ich denke jetzt ein bisschen wie Winnetou. Und ich habe einen Bruder, Wotan. Ich bin nach diesem Dreh total glücklich. Dieses Kostüm hat schon etwas mit mir gemacht.
Konntet ihr schon vorher reiten? Das sind doch immer unglaubliche Szenen, wenn Pferd und Reiter im vollen Galopp durch die Prärie preschen und dann abgeknallt werden.
Nik: Ich habe erst reiten gelernt.
Wotan: Aber das ging schnell. Und ja, die Szenen sind nicht ohne. Ich musste nochmal Westernreiten lernen. Und ganz ehrlich: Nur mit dem Pferd ist das toll. Aber wenn du eine Szene spielen musst mit dem Pferd und einem Gewehr in der Hand (lacht), und das Pferd reagiert ja auf alles, das ist nicht ohne. Und das sieht immer so nach Wiese aus, dabei war alles voller Steine, und dann haben wir mit einer Drohne gedreht, das finden Pferde auch nicht cool. Außerdem sind das Herdentiere, die gucken immer zuerst, was die anderen machen. Es ist ihnen grundsätzlich eher egal, was du, der Mensch da oben drauf, willst (lacht).
Nik: Das Schlimmste war, mit einer Fackel zu reiten. Und immer muss man dem Pferd zeigen, wer der Boss ist. Sie testen dich ständig.
Wir lernen von Winnetou und Old Shatterhand, wie Freundschaft funktioniert. Wie transportieren wir das in die heutige Zeit, wo viele Menschen so große Angst vor Fremden haben?

"Wenn ich mich nicht irre, hihi ..." Manche Dinge ändern sich nie, weiß Sam Hawkens alias Milan Peschel.
Nik: Wir haben wohl vergessen, wie man teilt. Wir haben sowohl vergessen das Leid zu teilen als auch die Freude. Dabei ist das ein so wichtiger Moment.
Wotan: Eine Botschaft des Films ist: Wenn man keine Angst hat vor dem Fremden, dann entdeckt man manchmal, dass die wahren Unbekannten gar nicht die Fremden sind, sondern direkt neben einem wohnen oder arbeiten. Old Shatterhand ist entsetzt von seinen Leuten, den "Bleichgesichtern", und er findet Freunde bei den "Rothäuten". Die Vorurteile entstehen doch, wenn wir den anderen nicht kennen. Wenn wir zum Beispiel einen Flüchtling kennenlernen, dann ist das kein Fremder mehr und wir müssen folglich keine Angst haben. Aber erstmal müssen die meisten sich überwinden, einen neuen Menschen kennenlernen zu wollen. Eine gewisse Grundangst hat Menschen ja schon immer geschützt im Leben, das ist ja auch gut, aber irgendwann wird sie schädlich, irgendwann geht es nicht mehr darum, Grenzen aufzubauen, sondern niederzureißen. Das Neue anzunehmen. Und da sind wir wieder bei Karl May: Der ist das Greenhorn, der von nichts weiß, aber der die Dinge hinterfragt, und er beteiligt sich nicht einfach an der Angst anderer. Wenn man also wach ist und offen, dann kriegt man als Geschenk unter Umständen große Freundschaft zurück.
Können wir denn überhaupt noch solche Abenteuer wie Karl May erleben? Wissen wir nicht schon zu viel, ist die Welt nicht klein geworden?

Mario Adorf (Santer Senior), Marie Versini (Lady in Red) und Gojko Mitic (Intschu-tschuna)
(Foto: dpa)
Wotan: Siehst du, das glaube ich eben nicht. Kinder zum Beispiel, die fragen ganz normale Sachen, stellen ganz normale Dinge mit dem größten Erstaunen fest. Muss immer alles "ganz krass" sein, "ganz fett"? Ich denke nicht. Wenn man auf einem Berg sitzt, in einer einfachen Hütte, und da geht die Sonne auf, da sind die meisten doch hin und weg. Das versprech' ich dir. Und mit Kindern entdeckt man die Welt sowieso neu. Aber auch ohne Kinder.
Nik: Es gibt eine surreale Welt in den sozialen Medien, ja, aber ich werde ständig überrascht. Jetzt in Berlin zu leben ist voller Überraschungen.
Aber nicht immer gute?
Nik: (lacht) Doch, selbst im Alltäglichen. Ich lerne jetzt Deutsch, ich entdecke die Stadt, das ist wunderschön.
Wotan: Und die Leute, die noch im letzten Winkel der Welt in einem Hotel nach "Voss"-Mineralwasser fragen und entsetzt sind, wenn es keines gibt, denen kann man eh nicht mehr helfen (lacht).
Ihr sprecht die Sprache der Lakota im Film, den westlichsten Dialekt aus der Sioux-Sprachfamilie. War das schwer?
Nik: Ja, schwerer als Deutsch (lacht). Die Aussprache ist kompliziert. Aber irgendwann läuft es.
Wie feiert ihr jetzt Weihnachten?
Wotan: Mit den Kindern. Und dann arbeite ich erst wieder irgendwann im nächsten Jahr.
Nik: Ich fahre zu meiner Familie nach Albanien.
Wie war das mit Gojko Mitic, dem "Winnetou des Ostens", er spielt deinen Vater, Intschu Tschuna.
Nik: Das hat mir sehr geholfen. Er war bereits am Set und im Kostüm, als ich ihn das erste Mal traf, und er wirkte so vertraut mit der Rolle. Seine Aura ist unglaublich. Als ich entdeckt habe, dass ich einen Vater habe, und eine Schwester, da dachte ich mir, jetzt kann mir nichts mehr passieren.
Mit Nik Xhelilaj und Wotan Wilke Möhring sprach Sabine Oelmann.
"Winnetou" ("Eine neue Welt", "Das Geheimnis vom Silbersee"", "Der letzte Kampf") wird am 25., 27. und 29.12. um 20.15 Uhr auf RTL ausgestrahlt.
Quelle: ntv.de