"Tatort" mit Ballauf und Schenk Wut ohne Grenzen
14.01.2017, 19:06 UhrDie Bürgerwehr "Wacht am Rhein" hat die Probleme im Viertel satt, die Nordafrikaner müssen weg. Als es einen toten Deutschen gibt, steht der Täter für die Wutbürger sofort fest. Ein drastischer Köln-"Tatort" vor dem Hintergrund von Nizza, Berlin und Domplatte.

Tobias Reisser (Patrick Abozen) - was macht einer wie der bei der Polizei?
(Foto: imago/Future Image)
"Was macht einer wie du eigentlich bei der Bürgerwehr?" fragt Kripo-Assi Tobias Reisser (Patrick Abozen) auf der Polizeiwache den Zeugen Adil Faras (Asad Schwarz). "Was macht einer wie du denn eigentlich bei der Polizei?" fragt der Marokkaner zurück. Die Antwort ist Schweigen. Reisser druckst herum, Faras schleicht sich von dannen. Der eine Bulle, der andere Wutbürger, beide zumindest der Optik nach nicht "von hier" und bass erstaunt, den jeweils anderen nun dort aufzutun, wo man nur den gemeinen Deutschen vermutet.
Die Grenzen verschwimmen und lösen sich auf in diesem Kölner "Tatort", in dessen Mittelpunkt erneut das Thema Flüchtlinge aus Nordafrika steht. Wer sind die Guten, wer die Bösen? Warum das alles - und wo soll das eigentlich hinführen, die Sache mit der Bürgerwehr, der Wut, dem Hass?
"Vom Alltagsrassisten zu intellektuellen Blutreinheitsfanatikern"
Bereits in der Vorwoche hatte der Frankfurter "Tatort" einen ähnlichen gelagerten Schwerpunkt. "Land in dieser Zeit" versuchte sich an einer Typologie der Rechten, "vom Alltagsrassisten bis zu intellektuellen Blutreinheitsfanatikern", scheiterte letztlich jedoch an seinem Konstrukt aus Vollständigkeitsanspruch und allzu plakativer Moral-Gewichtung.

Max Ballauf (Klaus J. Behrendt, r.) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) gehen im "Tatort - Wacht am Rhein" auf eine Mörderjagd, die einen der beiden nicht unbeschädigt lässt.
(Foto: dpa)
In Köln erweist sich die Lage als ungleich diffuser. Die Bürgerwehr "Wacht am Rhein" will die Kontrolle übers "Veedel" zurückgewinnen. Der dort wohnende Tross um Wort- und Rädelsführer Dieter Gottschalk (Sylvester Groth) sieht seine Felle davonschwimmen. Der Stadtteil, die Stadt, das Land - alles außer Kontrolle, in der Hand der Nordafrikaner, so ihre Sicht der Dinge. Auch Peter Deisböck (Paul Herwig) gehört zu den aufgebrachten Anrainern. In seine Zoo-Handlung wurde mehrfach eingebrochen, der Mann ist so gut wie pleite und, na klar, die "Nafris" sind schuld.
Bei einem erneuten Einbruchsversuch schließlich die Katastrophe: Im Dunkel des Eckladens kommt es zum Handgemenge mit dem Einbrecher, es fallen Schüsse. Am Ende liegt Deisböcks Sohn tot am Boden, der Täter kann fliehen. Für Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) der Auftakt zu einer Mörderjagd, die zumindest einen der beiden nicht unbeschädigt davonkommen lässt.
Das Phänomen der Bürgerwehr
Regisseur Sebastian Ko, der unter anderem den "Tatort - Kartenhaus" (2016) inszenierte und für den Film "Wir Monster" 2014 beim Max-Ophüls-Festival ausgezeichnet wurde, über das Phänomen der Bürgerwehr: "Fast alle Figuren in der 'Wacht am Rhein' empfinden sich als Opfer – und leiten genau daraus ihre Bereitschaft zur Gewalt ab. Sie fühlen sich bedroht und beginnen deshalb zu drohen."
Und so versucht sich Ko, zusammen mit Autor Jürgen Werner, der im vorletzten Jahr Freddy zum Tanzen brachte, an einer Art Was-passiert-dann-Scharade. Was, wenn die Dinge aus dem Ruder laufen? Was ist der nächste Schritt, ab wann gibt es kein Zurück mehr und vor allem: Wozu ist der auf Wut-Temperatur hochgekochte Bundesbürger, der vor Kurzem noch als Normalo durchs Veedel schlurfte, letztlich fähig? Wie bei einer Art Domino Day des Grauens stürzt hier ein Stein nach dem anderen um, bis es zu spät ist.
Giftige Suppe
Regisseur Sebastian Ko: "Die Anschläge in Paris, die Silvesternacht 2015 in Köln, die Attentate in Nizza und Brüssel, flüchtende Menschen in Richtung Europa, der sogenannte IS, die Überforderung der Polizei, eine stetig steigende Einbruchsrate. All das wird in einen Topf geworfen, durchgerührt, kräftig gewürzt mit Irrationalem und Vorurteilen, mit Halbwissen und Halbverstandenem. Wer diese giftige Suppe isst, dessen Herz wird vergiftet. Die 'Wacht am Rhein' erzählt davon."
Das mag in dem Versuch, möglichst viele Einzelschicksale - vom Pleitier und dessen frustrierter Frau über die engagierte Autonome bis zu den Kulturverein-Stammgästen, den Rädelsführern und den nordafrikanischen Teenagern - unter einen Hut zu bekommen, zuweilen etwas überfüllt wirken. In seiner düsteren Drastik jedoch, vom nüchtern abgefilmten Stadtbild bis zur atmosphärisch-musikalischen Schlussmontage, wird "Wacht am Rhein" schmerzhaft konsequent zu Ende gebracht. Gewinner? Sie ahnen es: Fehlanzeige.
Quelle: ntv.de