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Musikalische Meilensteine Bob Dylan und Johnny Cash

"Those were the days, my fried, we thought they'd never end”, hieß es einmal in einem vom Russen Boris Fomin komponierten Lied, das die heute fast vergessene Mary Hopkin einst unter den Auspizien von Paul McCartney einspielte. Pustekuchen. Eines Tages gingen sie dann doch zu Ende, jene Tage, an denen in der Musik Meilensteine wie am Fließband produziert wurden. Voller Innovation: Altes aufgreifend, Eigenes hinzufügend, Neues daraus machend.

Nun mag es ja kein Zufall sein, dass Meilensteine just zum Christfest wieder in den Regalen landen. Commerce oblige. Aber, wenn’s so viele auf einmal sind, fragt man sich doch, ob’s denn wirklich so schlimm bestellt ist um den Nachwuchs. Nein, es gibt sie schon noch, jene, die sich dem Rock and Roll verschrieben haben und dafür sorgen, dass er nicht stirbt: Strokes, Killers, Maxmo Park, Franz Ferdinand, Kaiserchiefs. Die Aufzählung ist unvollständig. Das Problem ist nur: Sie kommen und gehen. In ein paar Jahren werden sie Ikonen kleiner Fangemeinden sein. Mehr nicht. Leider.

Als Folk, Country, Blues und Rock ‘n’ Roll ihren US-amerikanischen Kinderschuhen entwuchsen und mit Siebenmeilenstiefeln die Welt eroberten, entstanden unvergessliche Werke, die das Prädikat "klassisch" durchaus verdienen. Bob Dylan ist so einer, ohne den Klassiker wie Woody Guthrie und Leadbelly wohl dem Vergessen anheim gefallen wären. Und der selbst Klassisches machte. Dylan hat es wie kein anderer der Folkzunft verstanden, die Wurzeln auszugraben und einen neuen Baum zu pflanzen. Seine Auftritte beim Newport Folk Festival in den Jahren 1963 bis 1965 sind Zeugnisse der Vitalität einer Volksmusik ohne Schmus und Verklärung. Die Auftritte zeigen einen von Mal zu Mal reifer werdenden Interpreten, der irgendwann das Bedürfnis hat, einen Sprung nach vorn zu tun.

Die Darbietungen von "Maggie’s Farm" und "Like A Rolling Stone" belegen, wie dumm es von selbsternannten Puristen war, den Mann als Verräter zu verunglimpfen, einer, der mit der Akustikgitarre auch seine Überzeugungen an den Nagel gehängt hätte. "If You Gotta Go, Go Now", den ersten Titel auf der DVD vom 65er Auftritt, hätte er ebenso mit einer E-Gitarre spielen können, ohne dass der Song etwas von seiner Wirkung verloren hätte, wie die Einspielung durch die Flying Burrito Brothers oder Manfred Mann beweist. Die Byrds schließlich haben nachgewiesen, dass ein elektrisch verstärkter Dylan stets Dylan bleibt.

Beeindruckend und nett anzuschauen die gemeinsamen Auftritte mit Joan Baez, mit der er sein Antikriegslied "With God On Our Side" und das Antiliebeslied "It Ain’t Me, Babe" interpretiert. Letzteres übrigens auch elektrisiert zu haben. Von den Turtles selig, kraftvoll, mit ähnlicher Wirkung. Es war wohl nicht zuletzt der Anziehungskraft eines Dylan zu verdanken, dass sich ein Countrystar wie Johnny Cash auf die Bretter begab, die damals für so manchen die revolutionäre Welt bedeuteten. Cash hatte zu jener Zeit ein immer offeneres Ohr für die Missstände im eigenen Land und den Krieg, den dessen Regierung im fernen Vietnam führte. Auch wenn der von ihm hier gespielte Dylan-Song "Don’t Think Twice, It’s All Right" eine eher unpolitische Nummer ist.

Cash hat dann 1969 mit Dylan Countrysongs aufgenommen, von denen aber nur eines Eingang in dessen LP "Nashville Skyline" fand. Wie beide trotz unterschiedlicher Ansätze zu einem überzeugenden Duo werden konnten, zeigt beider Auftritt in der Johnny Cash TV Show, in die der gereifte Countrymann aus Kingsland/Arkansas den jungen Spund aus Duluth/Minnesota im Juni desselben Jahres einlud. "Girl From The North Country" singen die beiden, das Stück von der zitierten Platte, die einen Monat zuvor auf den Markt gekommen war. Dylan hat dann in der Show, die von 1969 bis 1971 im CBS Network lief, mit dem weniger erfolgreichen "I Threw It All Away" vom "Nashville"-Album auch noch einen Soloauftritt.

Meist waren seine Gäste aber Vertreter des eigenen Genres: Waylon Jennings, Tammy Wynette, Marty Robins, Conway Twitty, Kris Kristofferson, Chet Atkins, Merle Haggard, Glen Campbell. Auch hier ist die Liste unvollständig. Umwerfend der Auftritt mit Louis Armstrong, bei dem Satchmo in "Blue Yodel # 9" jenen Trompetenpart spielt, den er Jahre zuvor zu Jimmy Rodgers’ Originalversion beigetragen hatte. Auftritte mit Ray Charles, der damals erst am Anfang stehenden Linda Ronstadt, der Singersongwriterin par excellence Joni Michtell. Glanznummern die Performances mit Roy Orbison und Carl Perkins, den Kumpels aus den Zeiten bei Sam Philipps "Sun Records".

Neben Dylan lud die damals unbestrittene Nummer eins der Countryszene auch so neumodische Typen wie Neil Young und Creedence Clearwater Revival ein. Seine Gäste waren zumeist Nordamerikaner. Einzige Ausnahme auf "Best Of The Johnny Cash TV Show": der Engländer Eric Clapton in der Verkleidung als Derek & The Dominos, mit dem Cash gemeinsam mit Carl Perkins dessen Standard "Matchbox" zu Gehör bringt. Ein sympathisch-verlegener Clapton nebenbei bemerkt, dem anzusehen ist, wie sehr es ihn freut, mit einer Rock-and-Roll-Legende wie Perkins auf der Bühne zu stehen. Ein Highlight ist der Auftritt mit Pete Seeger. Ein Wiedergutmachungsauftritt, sozusagen. Cash hatte sich der Solidaritätsbewegung für den parteilosen Kommunisten verweigert, der seit 1955 von den kommerziellen US-Medien boykottiert worden war. Nun die Einladung in eine der damals meistgesehenen Fernsehshows.

Johnny Cash litt auch und gerade zu jener Zeit unter seinem übermäßigen Amphetaminkonsum. In den Sendungen ist ihm davon nichts anzumerken. Vielleicht, weil seine Frau, June Carter, fast immer mit von der Partie war. Schwiegermutter Maybelle nicht zu vergessen. Das mag aus heutiger Sicht für manchen spießig wirken. Aber ... Familie, das hatte und hat schon was.

Kurzum: Das Beste aus der "Johnny Cash TV Show" war kein "reality TV", es war reales Fernsehen. Wie Dylans Auftritte auf dem Newport Folk Festival auch keine "Hitparaden der Volksmusik" waren. "Those were the days, my friend ..."

Fortsetzung folgt.

Bob Dylan: "The Other Side Of The Mirror – Live At The Newport Folk Festival 1963-1965” DVD, MLF Productions, Sony BMG
Johnny Cash: "The Best Of The Johnny Cash TV Show 1969-1971”; 2DVD, Legacy Columbia, Sony BMG

Quelle: ntv.de

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