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Flucht in Zeiten der Krise Der Teufel hat die Musik gemacht

Ein sinnloses Gemetzel: Der US-amerikanische Bürgerkrieg ist die Urkatastrophe der noch jungen Nation. (Bild aus: "Der Planwagen des Thespis")

Ein sinnloses Gemetzel: Der US-amerikanische Bürgerkrieg ist die Urkatastrophe der noch jungen Nation. (Bild aus: "Der Planwagen des Thespis")

(Foto: © Glénat by Rossi)

Ob mit dem Planwagen durch die Prärie oder mit dem Schiff den Mississippi entlang: Die große Freiheit wartet im amerikanischen Westen. Doch auf dem Weg lauern Krieg und Gewalt.

Drustan beginnt seine Reise mit dem Sklaven Methusalem.

Drustan beginnt seine Reise mit dem Sklaven Methusalem.

(Foto: © Glénat by Rossi)

Zeiten der Krise sind Zeiten der Flucht. Unsicherheit und Bedrohung, Gewalt und Diskriminierung lassen die Menschen durch das Land ziehen, auf der Suche nach Geborgenheit, und manchmal auch nach Abenteuer. Die beiden Comic-Reihen "Der Planwagen des Thespis" und "O’Boys" erzählen vom Zug durch Amerika, von Flucht, Freiheit und der Suche nach Erlösung. Der Weg ist das Ziel, wohin auch immer er führt.

"Der Planwagen des Thespis" (Piredda-Verlag) begleitet Drustan. Der junge Südstaatler, Sohn eines reichen Farmers, soll gegen Ende des US-amerikanischen Bürgerkriegs für die Truppen der Konföderierten in die Schlacht ziehen – ein so aussichtsloses wie selbstmörderisches Unternehmen. Er weigert sich, im Handgemenge stirbt ein Konföderierten-Offizier und ehe er sich versieht, befindet sich der junge Mann auf der Flucht. Wenig später trifft er auf den arroganten, selbsternannten Theaterdirektor Hermes, mit dem er Richtung Westen zieht, um dem blutrünstigen, sinnlosen Morden zu entgehen.

Soldaten, Desperados und Indianer

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(Foto: © Glénat by Rossi)

Doch dies ist erst der Beginn der vierteiligen und inzwischen komplett vorliegenden Kurzserie, für die Christian Rossi verantwortlich zeichnet (und textet). In Frankreich bereits 1982 erschienen, ist es ein Frühwerk des Künstlers, der derzeit ebenfalls bei Piredda die großartige " "-Serie vorlegt. Angelehnt an den Stil von Jean Giraud ("Blueberry") hat Rossi hier noch nicht ganz seine eigene Linie gefunden, doch vieles weist schon auf die spätere Meisterschaft in Linienführung und Portrait hin.

Anders als bei "W.E.S.T." übernimmt Rossi hier auch das Szenario. Zur Grundlage des ersten Bandes von "Der Planwagen des Thespis" wird der im Titel genannte griechische Erfinder der Tragödie, der mit einem Karren umherzog und Theatervorstellungen gab. Ein Planwagen bildet nun das Gefährt, mit dem Drustan und Hermes durch das Land ziehen und versuchen, sich mit improvisierten Theatervorstellungen durchzuschlagen. Vor dem Hintergrund des amerikanischen Bürgerkriegs und seiner gesellschaftlichen Zerrissenheit treffen sie auf Unionstruppen und Konföderierte, Desperados und Räuber, Indianer und Trapper. Es ist eine spannende Reise durch die große Krise der jungen Nation, aus der sie jedoch gestärkt hervorgehen wird.

Vom Mississippi nach Kalifornien

Diese Stärke verdanken die USA ihren Entdeckern und Abenteurern, ihren Helden und Exzentrikern. Ein später berühmter Autor floh damals ebenfalls vor dem Bürgerkrieg und landete in Kalifornien, wo er erste Erfahrungen als Journalist machte. Aufgewachsen war am Mississippi, als Flusslotse erlebte er eine der schönsten Zeiten seines Lebens. Berühmt wurde er weit später, als er die Geschichte von Huckleberry Finn aufschrieb, für Ernest Hemingway der Beginn der amerikanischen Literatur. Auch dies ist eine Geschichte von Flucht. Eine Flucht vor Gewalt und Sklaverei.

Huck Finn fingiert seinen eigenen Tod – um dem gewalttätigen Vater zu entkommen.

Huck Finn fingiert seinen eigenen Tod – um dem gewalttätigen Vater zu entkommen.

(Foto: © Dargaud)

Jahrzehnte später, in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, hat sich wenig geändert. Rassismus gehört in den Südstaaten immer noch zur Gesellschaftsordnung, Gewalt ist alltäglich. Aber es gibt auch noch die Außenseiter, die sich der Gesellschaft nicht anpassen, ihren Zwängen nicht beugen wollen. Philippe Thirault (Text) und Steve Cuzor (Zeichnungen, Text) erzählen in der Serie "O’Boys" (Ehapa Comic Collection) von Huck Finn und dem Schwarzen Charley Williams. Wie ihre großen literarischen Vorbilder Huckleberry und Jim fliehen sie aus der Enge des Südens, vor Gewalt und Diskriminierung. Es ist ein gewagtes Unterfangen, Twains Geschichte nachzuerzählen, doch einige Aktualisierungen verleihen der Geschichte einen sehr spannenden Dreh.

Blues, Teufel und Heroin

Rassismus und Gewalt gehören zum Alltag in den Südstaaten.

Rassismus und Gewalt gehören zum Alltag in den Südstaaten.

(Foto: © Dargaud)

So wird der Blues zum Start der Odyssee. Stampfender Beat und Lieder von Teufel und Liebe – aus dem Delta des "Ol‘ Man River" strömen die jungen Musiker in den Norden. Es ist der Beginn der Rockmusik, der Beginn der Popkultur. Und es ist der Beginn der Geschichte um Huck und Charley. Band 1 der Reihe, "Das Blut des Mississippi", orientiert sich stark an Twains Geschichte. Die Helden, oder besser: Anti-Helden reisen den Mississippi entlang, der Lebensader Amerikas. Huck flieht vor seinem gewalttätigen Vater, Charley vor dem erzrassistischen Sheriff Bisner. Die Autoren bauen die Geschichte behutsam und doch sehr spannend auf, spinnen Fäden, die sich irgendwann später verdichten werden.

Geschickt verweisen sie auf US-amerikanische Mythen und Symbole: die "Crossroads", an denen Robert Johnson seine Seele an den Teufel verkauft, die , die Blues und Rockmusik bis heute begleitet und schließlich auch den Traum vom kalifornischen Paradies. Aus den Schiffern des Mississippi werden Reiter des Schienenstrangs. Die Geschichte löst sich langsam von Twains Vorbild und lässt Huck und Charley – getrieben vom Rattern der Züge – als "Hobos" Richtung Westen reisen.

Huck und Charley: Den Horizont im Blick.

Huck und Charley: Den Horizont im Blick.

(Foto: © Dargaud)

Es ist die Zeit der Weltwirtschaftskrise, der " ", die Zeit des großen Trecks von Oklahoma nach Kalifornien. Auch diese Zeit kennt ihre Symbole, kennt ihre Helden: Sie heißen Route 66, Tom Joad und Woody Guthrie. Geschickter hat selten ein Comic den Bogen vom amerikanischen Bürgerkrieg bis in die 1930er Jahre geschlagen. Es sind die beiden großen Krisen Amerikas, es sind Zeiten der Sehnsucht und der Flucht.

Thirault/Cuzor: "O'Boys", Band 1 "Das Blut des Mississippi", Ehapa Comic Collection, 64 Seiten Hardcover, EUR 13,95 (D), ISBN: 978-3-7704-3348-3. Direkt im n-tv Shop bestellen. Band 2, "Zwei Katzen auf dem heißen Blechdach", ist bereits erschienen.

Rossi: "Der Planwagen des Thespis", Band 1 "Shakespeare und Muerte Kid", Piredda-Verlag, 48 Seiten Hardcover, EUR 14,50 (D), ISBN:978-3-941279-53-7. Direkt im n-tv Shop bestellen. Die Bände 2,3 und 4 sind bereits erschienen.

Quelle: ntv.de

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