"Kriminelle Bande" Die Seele verkauft für Geld und Macht
29.07.2014, 14:53 Uhr
Pariser Nobelviertel Neuilly-Sur-Seine: Mehr Schein als Sein?
(Foto: picture-alliance/ dpa)
"Die Eurozone ist ein riesiges Schneeballsystem!" Was passiert, wenn hochbrisante Unterlagen in die richtigen Hände gelangen? In "Kriminelle Bande" bohrt Flore Vasseur ein Guckloch in die korrupte Welt der Banker und Politiker.
Claire, Jérémie, Bertrand, Vanessa, Alison und Sébastien haben alles bekommen, was ihnen beim Abschluss an der Pariser Eliteuni versprochen wurde: Karriere, Geld, Einfluss. Oder leben sie in einer Scheinwelt aus Job, Ehe, Kindern, Psychoanalytikern? Wie kann es sein, dass ausgerechnet Antoine, das verlorene Mitglied der Clique, der einzige ist, der noch zu atmen scheint? Als ein geheimes Dossier auftaucht, das beweist, wie eine New Yorker Investmentbank Staatshaushalte manipuliert und die europäische Finanzkrise auslöst, gerät das Leben der einstigen Freunde außer Kontrolle – mit tödlichen Folgen.
Was bleibt von dir übrig, wenn du deine Seele an Banken wie Goldman Sachs verkaufst? Wenn du erkennst, dass du eine gefeierte Journalistin bist, aber niemand die Wahrheit hören will? Wenn du nur der Handlager der Politik bist? Und was machst du, wenn du Informationen über den größten Betrug der Wirtschaftsgeschichte mitten in der Eurozone erhältst? Du brichst zusammen. Oder du wachst endlich auf.
Fiktion oder Realität?
Die Machtstrukturen von Politik und Finanzwelt sind das Thema von Flore Vasseur – wie sie selber sagt, ihr Markenzeichen als Autorin. Vasseur, selbst Absolventin der Eliteschule HEC in Paris, Entrepreneurin im New York der Internetblase, Snowboarderin, Journalistin, Film- und Fernsehproduzentin legt mit "Kriminelle Bande" ihr drittes Buch vor, erstmals auch in deutscher Sprache.
Warum ausgerechnet einen Roman über die Finanzkrise? "Bereits 2005 habe ich einen Essay über die Finanzkrise geschrieben", erzählt Vasseur im Gespräch mit n-tv.de. "Doch niemand wollte ihn veröffentlichen. Nicht, weil sie mit dem Inhalt, den Ideen oder Stil nicht übereinstimmten, sondern weil ich nicht bekannt war. In Frankreich musst Du 60 Jahre alt sein, einen politischen Hintergrund und eine akademische Karriere haben, um solche Sachen zu machen." Ihr jetziger Verleger habe ihr dann geraten, Romane zu schreiben.
"'Kriminelle Bande' ist nun das dritte Buch geworden, in dem ich Fiktion nutze, um die Realität abzubilden. Und ich glaube, es funktioniert", so die Französin. "Ich bin aufgebracht darüber, was in der Finanzwelt geschieht. Und dieses wichtige Thema den Lesern zugänglich zu machen, ist eine wunderbare Herausforderung." Der besondere Clou ist, dass die verblüffendsten Wendungen in ihren Büchern keine Fiktion sind. Um das zu beweisen, hat die 1973 geborene Vasseur bei "Kriminelle Bande" erstmals ihre Quellen mittels QR-Codes am Seitenrand zugänglich gemacht. "Nach meinem ersten Buch behaupteten Journalisten, dass ich mir alles ausgedacht hätte – deshalb habe ich diesmal die Quellen aufgezeigt. Wie etwa die wahre Geschichte der Aktivitäten von Goldman Sachs in Libyen."
Auf die Idee, die Leseerfahrung auch um Videos und Musik zu erweitern, habe sie ihr deutscher Verleger Till Tolkemitt gebracht, den sie bei einem gemeinsamen Interview-Termin bei Wikileaks-Gründer Julian Assange kennengelernt hatte. Also sei es im Grunde Assange zu verdanken, dass "Kriminelle Bande" jetzt auch auf Deutsch erscheine, lacht Vasseur.
Dass Vasseur selbst die Führungsetagen dieser Welt aus eigener Anschauung kennt, spürt man. Sie sei tatsächlich für ein Projekt über Frauen in der Arbeitswelt im Goldman Sachs-Headquarter gewesen, wenn auch nicht in der Top-Etage, bestätigt sie flüsternd. "Aber wozu habe ich meine Vorstellungskraft?" Und die funktioniert so gut, dass man nach der Lektüre ohne weiteres glaubt, der Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein leide am Tourette-Syndrom. "Das habe ich ihm angedichtet – ich fand, das passt gut zu ihm. Das ist die kleine Rache der Autoren."
Dass sich Banken wie Goldman Sachs überhaupt für ihre Bücher interessieren, hält die Französin aber für unwahrscheinlich: "Ich bin noch nicht mal auf deren Radar." Ihr französischer Verleger sah das anders: Er fügte sicherheitshalber "Decknamen" wie Folman Pachs ein – schade, denn das gibt dem Roman eine unnötig alberne Note.
Unschmeichelhaftes Porträt der Bourgeoisie
"Kriminelle Bande" besticht jedoch nicht nur durch den Einblick in die Finanzwelt – Flore Vasseur liefert auch ein detailliertes Porträt der französischen Bourgeoisie. "Ich bin immer noch Teil dieser Welt", erzählt sie. "Ich war auf der Eliteuni HEC, also zählen meine Freunde zu der Art von Leuten, die ich beschreibe. Ich selber zähle dazu! Manchmal, wenn ich losgehe und die Geschäftsfrau spiele, denke ich: 'Ah, da ist Vanessa wieder!'"
Doch selbst wenn sie darüber lachen kann, dass sie sich in ihrer eigenen Romanfigur wiedererkennt - anderen einen Spiegel vorzuhalten ist schwer. Die Reaktionen auf ihr Bücher seien mehr als gemischt, bestätigt Vasseur. "Einige lehnen meine Bücher ab, andere haben Mitleid mit mir, weil ich den richtigen Weg verlassen habe." Wenn man in Frankreich das richtige Diplom von der richtigen Uni habe, dann klettere man die Karriereleiter hoch, "Unfälle" seien da nicht vorgesehen. "Sie passieren nur, wenn Du anfängst zu zweifeln." Mit der Finanzkrise und der Midlife-Crisis habe jedoch bei einigen ein Umdenken eingesetzt. "Und diese Freunde haben nun das Gefühl, ich sei ihnen einen Schritt voraus."
Sie werden weiter Mühe haben, mit der zierlichen Blondine Schritt zu halten. Denn gerade hat sich die Produktionsfirma Endemol die Rechte an "Kriminelle Bande" gesichert. Und Flore Vasseur selber stellt nicht nur zusammen mit dem TV-Sender Arte eine Serie zur Ideen-Konferenz "TED" zusammen, sondern plant auch noch ein neues Buch: "Ich denke, ich will vielleicht etwas über das Hacking, die Leaks, und die NSA machen – diese Sachen bedeuten mir viel." Die richtigen Eindrücke scheint sie damals in London bereits mitgenommen zu haben.
Exklusiv bei n-tv.de:
Quelle: ntv.de