Shakespare und Cervantes "Don Quijote" trifft "Hamlet"
23.04.2016, 18:06 Uhr
Im kroatischen Zagreb erinnert eine 3D-Lichtshow an William Shakespeare.
(Foto: imago/Pixsell)
Lange heißt es: Shakespeare und Cervantes starben am selben Tag. Inzwischen weiß man, so war es nicht. Und auch sonst hatten die schreibenden Zeitgenossen wenig gemein, faszinierend ist jeder auf seine Weise.
Die Welt hat das literarische Meisterwerk des "Don Quijote" im Grunde einem Rückschlag zu verdanken, den der Autor erleiden musste. Miguel de Cervantes wollte eigentlich als Verfasser von Theaterstücken und nicht als Romanschriftsteller berühmt werden. Als Theaterautor zog der Spanier jedoch gegen seinen Zeitgenossen Lope de Vega den Kürzeren, dessen Stücke beim Madrider Publikum besser ankamen. So entstand der "Don Quijote", das berühmte Buch über die Abenteuer des "Ritters von der traurigen Gestalt" und dessen Knappen Sancho Panza.
Cervantes' Werk erwies sich nach seiner Veröffentlichung 1605 rasch als Bestseller, wurde bald ins Englische und Französische übersetzt. Die große Popularität des Buches ermutigte den Autor, kurz vor seinem Tod noch einen zweiten Teil zu schreiben. Der "Don Quijote" gilt als Meisterwerk der Literatur und brachte dem Autor den Ruf ein, der Schöpfer des modernen Romans zu sein. Das eine Werk genügte, um Cervantes heute zu den Größten der Weltliteratur zu zählen.
Als der Größte gilt aber ein anderer: William Shakespeare. Im Gegensatz zu Cervantes hat er der Nachwelt eine Fülle von Werken hinterlassen, wie "Romeo und Julia", "Wie es Euch gefällt", "Hamlet", "Othello" oder "Macbeth". Viele seiner Zitate wurden zu geflügelten Worten. "Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage" aus dem dritten Akt des "Hamlet" ist vielleicht das berühmteste.
Nicht der gleiche Todestag

Shakespeares Werke sind nicht nur in alten Ausgaben noch immer lesenswert.
(Foto: imago/Vibrant Pictures)
Der spanische Romanautor und der britische Dramatiker - beide starben vor 400 Jahren. Die populäre Annahme, beide hätten sogar am selben Tag, am 23. April 1616, das Zeitliche gesegnet, ist aber falsch. In Spanien geht man heute davon aus, dass Cervantes am 22. April gestorben ist. Und als Shakespeare am 23. April 1616 starb, war in Spanien schon der 3. Mai. Denn dort galt bereits der Gregorianische Kalender, während die Briten noch am Julianischen Kalender festhielten. Es lagen demnach wohl elf Tage zwischen den beiden Todestagen.
Shakespeare ist längst zur Weltmarke geworden. Eine Google-Suche erbringt 123 Millionen Treffer. Aber dennoch gibt der Mann aus Stratford-upon-Avon der Welt noch heute reichlich Rätsel auf. Wer war der Autor epochaler Dramen, Komödien und Tragödien? Gesicherte Fakten über sein Leben sind spärlich. Geboren 1564 als Sohn des Handschuhmachers John Shakespeare und seiner Frau Mary, hat er eine Lateinschule besucht und 1582 die 26-jährige Anne Hathaway geheiratet.
Zehn Jahre später wird Shakespeare erstmals als Dramatiker in London erwähnt. Er erlebt einen steilen Aufstieg, Theater war damals so etwas wie ein Volksvergnügen. Doch Shakespeare spielte auch vor Elizabeth I. bei Hofe. Seine Stücke, diese Ränkespiele über Macht und Machtmissbrauch, aus gutem Grund verlegte Shakespeare sie stets in die Vergangenheit.
Verschwörungstheorien um die Autorenschaft
Auch ansonsten erlaubte sich der Engländer einige Freiheiten, die heutzutage jeden Dramatiker zu Fall bringen würden - Schummeleien, über die man nur den Kopf schütteln kann. "Er ließ Ägypter der Antike Billard spielen und führte die Uhr in Cäsars Rom ein, 1400 Jahre bevor dort das erste mechanische Ticken zu vernehmen war", so der Autor Bill Bryson.
Immer wieder ist zu lesen, der geniale Dichter sei gar nicht der Verfasser des riesigen Werks gewesen. Die Liste der hypothetischen Kandidaten sei auf mehr als 70 Namen angewachsen, sagt der Wiener Shakespeare-Forscher Prof. Manfred Draudt. "Aber das sind Verschwörungstheorien. Das ist alles völlig absurd und vor allem ökonomischen Interessen geschuldet." Allerdings habe Shakespeare tatsächlich nicht alle seine Werke allein geschrieben, darunter "Heinrich VI., Teil 1" oder "Heinrich VIII.", meint Draudt.
"Damals herrschte ein immenser Produktionsdruck und ein großer Konkurrenzkampf unter den Schauspieler-Truppen. Es war der Beginn des Kommerz-Theaters. Man konnte sehr viel Geld in sehr kurzer Zeit verdienen. Da wurde dann mit Spezialisten zum Beispiel für komische oder Irrenhausszenen zusammengearbeitet. Aber etwa 90 Prozent der Hauptwerke Shakespeares stammen ausschließlich von ihm."
"Genie ohne Gesicht"

Es ist das Bild für Vergeblichkeit - der Kampf gegen Windmühlen, wie ihn Cervantes beschrieb.
(Foto: REUTERS)
Auch Leben und Werk von Cervantes wurden von zahllosen Literaturwissenschaftlern erforscht - und doch weiß man über den Schriftsteller ziemlich wenig. Es ist nicht einmal bekannt, wie er aussah, denn es ist kein Bildnis überliefert, das von ihm zu Lebzeiten gemalt wurde. Bei späteren Porträts stützten die Maler sich häufig auf die Beschreibung, die Cervantes im Vorwort seiner "Exemplarischen Novellen" von sich selbst gegeben hatte.
"Cervantes ist ein Genie ohne Gesicht", konstatierte die Zeitung "ABC". "Wir kennen einige Stationen seines Lebens, aber von seinem Alltag, seinem Privat- und Familienleben wissen wir kaum etwas", berichtete der Cervantes-Experte Francisco Rico. Das "Don Quijote"-Werk lasse aber Rückschlüsse zu. "Cervantes liebte die Ironie, er interessierte sich für das Geschehen in der Welt, stand diesem aber gleichzeitig fremd gegenüber", meinte das Mitglied der Königlichen Akademie (RAE).
Cervantes führte ein abenteuerliches Leben und fand erst spät zur Literatur. Er wurde 1547 in Alcalá de Henares östlich von Madrid als Sohn eines verarmten Chirurgen geboren. Mit 22 Jahren siedelte Cervantes nach Rom um, möglicherweise weil ihm in Spanien nach einem Duell Ärger mit der Justiz drohte. Er diente einem Kardinal und heuerte in Neapel bei einer dort stationierten Einheit der spanischen Marine an. Als Soldat nahm er 1571 an der Seeschlacht von Lepanto teil, die sich ein Verband christlicher Mächte mit der Flotte des Osmanischen Reiches vor den Küsten des heutigen Griechenlands lieferte. Obwohl Cervantes drei Schussverletzungen erlitt, blieb er bei der Marine.
Auf der Überfahrt zurück nach Spanien wurden Cervantes und sein Bruder Rodrigo von Piraten gekidnappt und nach Nordafrika verschleppt. Nach fünf Jahren in Gefangenschaft und vier gescheiterten Fluchtversuchen wurden sie freigekauft. Miguel de Cervantes versuchte sich nach seiner Rückkehr in die Heimat als Autor von Theaterstücken und arbeitete im Staatsdienst als Lieferant der Armee sowie als Steuereintreiber. Wegen des Vorwurfs der Unterschlagung saß er einige Zeit im Gefängnis.
Später Ruhm
In der Haft soll er nach unbestätigten Berichten die Arbeit an seinem Hauptwerk "Don Quijote" begonnen haben. Das Werk war ursprünglich als eine Satire auf die - von Cervantes verachteten - Ritterromane konzipiert. Aber es geriet zu einer Abhandlung über das Menschenbild des Autors und zu einem Porträt der damaligen spanischen Gesellschaft.
Cervantes starb verarmt und vereinsamt in Madrid. Lange Zeit wusste man nicht einmal mit Sicherheit, wo sich die Grabstätte befindet. Erst vor kurzem entdeckten Wissenschaftler in einem Madrider Kloster die Stelle, an der die sterblichen Überreste des Literaten begraben sein könnten. Der Fall zeigt exemplarisch das lange Zeit geringe Interesse in Spanien an dem Autor. Zwar gibt es zum 400. Todestags Ausstellungen, Theateraufführungen und Kongresse. Die spanische Regierung musste sich jedoch vorhalten lassen, sich um die Planung der Feierlichkeiten zu wenig gekümmert zu haben.
Anders ist das bei Shakespeare: Sein 400. Todestag wird vielerorts begangen. Eine "Pilgerstätte" ist sein Grab ist in der Holy Trinity Church in Stratford-upon-Avon. London-Touristen betrachten aber auch das Globe Theatre als eine Art Shakespeare-Tempel. Ob das 1997 wiedererrichtete Globe wirklich genau so aussieht wie vor 400 Jahren, als Shakespeare dort Teilhaber war, weiß man freilich nicht. Emma Rice, die Globe-Direktorin, will von allzu viel Nostalgie auch nichts wissen. Die Truppe des Globe hat eine Zwei-Jahres-Tour durch die Welt hinter sich. Gespielt wurde immer wieder "Hamlet", dieses Meisterwerk über Intrigen, Macht und Tod. Schlussakkord der Tour ist in London - am 23. April, dem 400. Todestag des Dichters.
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Quelle: ntv.de, Hubert Kahl und Peer Meinert, dpa