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Am Anfang war die Musik ... Genesis

... und die Musik war bei den Menschen, und Genesis waren die Musik. Das ist, zugegeben, eine etwas freie Interpretation des Anfangs des Johannes-Evangeliums (Joh, 1,1). Aber die Band namens Genesis verkörpert eine Art Schöpfungsgeschichte jener Musik, die im Wortsinne unverzichtbarer Teil der universellen Sprache geworden ist. Der Name stammt übrigens von einem, dem der Mond als Teil des Universums 1965 zu seinem ersten Hit verhalf: dem Briten Jonathan King, der sich mit seinem Song "Everybody's Gone To The Moon" einen Millionseller in den USA ersang. Und der erste Produzent der Gruppe war.

Unter Nutzung des anmaßenden Bandnamens erscheint heute unter dem vergleichsweise bescheidenen Namen Genesis eine Bombast-Ausgabe ihrer ersten fünf Platten. Das stimmt nicht ganz, hör' ich die Fans einwenden. Richtig: "From Genesis To Revelation", "Von der Schöpfung bis zur Offenbarung" war der allererste Longplayer der 1967 gegründeten Kapelle. Erschienen bei Decca, das jetzt als Klassik-Label unter dem Dach eines anderen der so genannten Großen Vier firmiert. Und nicht bei dem Dachkonzern, der die Rechte an den Folgealben hat. Nieder mit der Globalisierung! Aber vielleicht rafft sich Universal ja noch auf, das eher poppige Album als Appendix zu dieser Box herauszubringen.

Platz eins mit Phil Collins

Womit wir bei dem Prachtstück wären, dessen erstes Album eine der vielen Wendungen in der Geschichte dieser so unglaublich kreativen Truppe markiert. Auf "Trespass" aus 1970 gab es keine kurzen Popsongs mehr, sondern für die damalige Zeit mit bis zu neun Minuten episch lange Stücke mit ausufernden Instrumentalteilen. Für Singlehits taugte das nicht, auch die Alben blieben zunächst wenig erfolgreich. "Nursery Cryme", das zweite, oder für die Bedingungslosen - bittschön - dritte Album (1971), schaffte es erst drei Jahre später bei der Wiederveröffentlichung auf, na ja, nennenswerte Plätze in den Verkaufslisten. Platz 39 im heimischen UK. Die erste Nummer eins hatte Genesis mit "Duke" in 1980 erst, nachdem deren genialer Sänger Peter Gabriel die Band schon fünf Jahre hinter sich gelassen und Drummer Phil Collins dessen Platz eingenommen hatte. "Selling England By The Pound", fast auf den Tag genau im November vor 24 Jahren auf den Markt gekommen, ist ein Konzeptalbum, das in seiner Genialität "Pet Sounds" von den Beach Boys oder "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" von der Beatles in nichts nachsteht. "The Lamb Lies Down On Broadway" schließlich ist eines der größten Livealben aller Zeiten. Mit dem Makel - oder dem Vorteil, je nach Standpunkt - dass kaum zu merken ist, dass die Band auf einer Bühne und nicht im Studio steht.

Musikalisch wurde die Truppe nach "Trespass" immer vielseitiger und komplizierter. Da mischte sich Mainstream-Rock mit Jazzigem, Rachmaninow und Schostakowitsch. Wo es zunächst als Dominante die Orgel von Tony Banks gab, sprangen später Zimbeln, Flöten und weiß der Henker was sonst noch drauf. Immer wieder faszinierend das Stakkato, das sich in vielen Tracks wieder findet. Über allem schwebt die mal flüsternde, dann weinerliche, schließlich energisch und dann schreiend klingende Stimme von Sänger Peter Gabriel.

Die Lyrik von Genesis könnte spannender und widersprüchlicher nicht sein: Behandelt "Foxtrott" SF- und religiöse Themen, so geht es auf "Nursery Cryme" in "Harold The Barrel" um subversiv-schwarzhumorige Themen wie den Versuch, einen Selbstmörder von seinem Plan abzubringen. Ein Ansatz zur Sozialkritik, der gleichwohl nicht bestimmend für die Texte wird. Dafür hat es schräge Wortspiele, wie den Sonnenschein im Bauch, der im Song "In The Cage" auf "The Lamb Lies Down On Broadway" thematisiert wird. Das auch in der Box als Doppelalbum erscheinende Werk handelt von einem Jungen aus Puerto Rico, der in einem Paralleluniversum seinen verschwundenen Bruder sucht.

Extra Songs sind vielversprechend

Keine Re-Edition ohne Boni. Auf den "Extra Tracks 1970-1975" sind so seltene Aufnahmen zu hören wie die Single "Happy The Man", die 1972 ungerechterweise nur wenig Beachtung fand. Oder "Twilight Alehouse", die Flipside der ersten mit einer UK-Nummer 21 bescheiden erfolgreichen 45er-Scheibe "I Know What I Like" aus dem Jahre 1974. Das Schmankerl: vier Tracks der legendären "Jackson Tapes", und zwar "Provocation", Frustration", Manipulation" und "Resignation".

Genesis sind keine Band, die durch Schulfreundschaften beim Rock and Roll landeten. Gitarrist Steve Hacket kam ebenso wie Trommler Phil Collins per Anzeige zur Gruppe. Das tut aber der Liebe keinen Abbruch, sondern hat dazu beigetragen, dass die Band immer besser wurde. Manchmal hat der freie (Musiker-)Markt ja auch etwas Gutes. Noch ist die Zeit nicht gekommen, Genesis der Gabriel-Periode der Klassik zuzurechnen. Aber sie wird kommen. Und da waren jene schlau, die sich jetzt schon die vorliegende Edition gesichert haben.

PS: Zumal es besagte Ausgabe nicht nur musikalisch, sondern auch ton-, bild- und verpackungstechnisch in sich hat: Das "Box Set" besteht aus sieben Hybrid-SACDs und sechs Audio-DVDs, dazu gibt es Interviews mit den Bandmitgliedern auf DVD sozusagen als Anlage auf den CDs/SACDs. Kleiner Hinweis: Sollte die Verschlussklappe der würfelförmigen Box nach dem Öffnen immer wieder herunterfallen, können Sie das Ding nach oben schieben, zwischen den Deckel und der inneren Unteroberseite der Box. Bei Fragen wenden Sie sich an Ihren Plattenhändler. Oder Ihren Apotheker, der Ihnen Beruhigungspillen verkauft, bis Sie es geschafft haben.

Genesis: "1970-1975" Box Set 7Hybrid-SACD/6AudioDVD
Charisma Virgin Music EMI

Quelle: ntv.de

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